Essen. Grobe Asche, feiner Rasen – immer auf Kohle: Die Geschichte und Bedeutung des Revier-Fußballs zeigt eine imposante Ausstellung auf Zollverein.
Auf dem Platz trennen sie immerhin zwei Klassen. Für die Ausstellung „Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“ aber bilden Dortmund und Essen nun ein Team. Die gemeinsame Schau des Essener Ruhr Museums und des Dortmunder Fußballmuseums bietet dabei alles auf, was nicht nur Fußballfans begeistern dürfte. 450 Fotografien, prallvoll mit nostalgischen Erinnerungen und wechselvoller Ruhrgebietsgeschichte. Die erste fotografische Sonderausstellung zur Geschichte des Ruhrgebietsfußballs dreht sich dabei nicht nur um Tore, Punkte und Meisterschaften.
Die Aufnahmen von bekannten Fotografen wie Willy van Heekern, Rudolf Holtappel oder Marga Kingler gehen weit über das Spielfeld hinaus, zeigen ein Land, in dem Fußball viel mehr als ein Spiel ist, sondern, so Manuel Neukirchner vom Deutschen Fußballmuseum, „ein Identitätsstifter. Der Kitt, der die Menschen in der Region zusammenhält.“
„Das Herz des Fußballs schlägt im Ruhrgebiet“ hat auch der „Kaiser“ Franz Beckenbauer gewusst. Man wird ihm nicht widersprechen nach einem Rundgang durch die reiche Bilderschau, die vergleichsweise schnörkellos und ohne üppige Begleittexte durch mehr als 100 Jahre Sport- und Sozialgeschichte führt. Ein Kaleidoskop von Eindrücken zwischen Jubel und Euphorie, Trauer und Frust, Aufstieg und Abstieg.
Ausstellungseröffnung mit prominenten Gästen von Otto Rehhagel bis Bernhard Dietz
Elf Spieler auf dem Platz, elf thematische Rubriken in der Ausstellung. „Triumphe und Tragödien“ stehen als Oberthema ebenso zur Ansicht wie „Stadionbesuch“ oder „Legenden und Idole“. Einige davon haben sich zur Ausstellungseröffnung am Sonntag (7. Mai) sogar persönlich auf dem Welterbe Zollverein angesagt – von Trainer-Ikone Otto Rehhagel über Nationalmannschaft-Spieler Bernard Dietz bis zum Flankengott aus dem Kohlenpott“ Rüdiger Abramczik.
Die Schar der Autogrammjäger dürfte vielleicht nicht mehr ganz so groß sein wie bei der Autogrammstunde von Rot-Weiss Essen 1968, wo Andrang wie beim damaligen Sommerschlussverkauf herrscht. Und doch zeugt schon die erlesene Gästeliste am Eröffnungstag – mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf bis zur NRW-Kulturministerin Ina Brandes – von der populären Strahlkraft des Themas. Nicht zuletzt ist die Essener Schau auch Auftakt eines großangelegten, vom Bund geförderten Kulturprogrammes zur Europameisterschaft 2024 mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth an der Aufsichtsrats-Spitze der eigens eingerichteten Stiftung Fußball & Kultur.
Dass das „Land der 1000 Derbys“ dabei auch das Land der großartigen Fotokonvolute ist, macht die Schau im Ruhr Museum einmal mehr deutlich. Rund 50.000 Aufnahmen der rund vier Millionen Fotografien zählenden Sammlung im Archiv des Ruhr Museum beschäftigen sich mit dem Thema Fußball – im engeren wie auch im weiteren Sinne, was die Schau so reizvoll macht. Man sieht die Geburtsstunde des Arbeitersports vor der bergbaugeprägten Förderturm-Kulisse ebenso wie die Welt der modernen Hochglanz-Arenen.
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„Wir zeigen das Heute und das Gestern“, erklärt der Dortmunder Museums-Chef Manuel Neukirchner, für den schnell klar war, dass die Schau keine zwei Standorte braucht, wie zunächst angedacht, sondern aufs Welterbe Zollverein gehört. In den Boom-Jahren des Bergbaus ging es schließlich auch mit dem Ruhrgebietsfußball steil bergauf, erinnert Ruhr Museums-Direktor Theodor Grütter: 1955 wird Rot-Weiss Essen Deutscher Meister, gefolgt von Dortmund (1956/57) und Schalke 04. Kleinere Vereine indes verschwinden von der Landkarte, so wie die Zechenstandorte nach und nach schließen.
Mehr Infos zur Ausstellung
Die Ausstellung „Mythos und Moderne. Fußball im Ruhrgebiet“ läuft vom 8. Mai 2023 bis zum 4. Februar 2024. Mo bis So, 10 bis 18 Uhr. Eintritt 10/erm. 7 Euro. Ermäßigungen für Besucher des Deutschen Fußballmuseums und für Dauerkarten-Besitzer eines Ruhrgebietsvereins.
Zu den mehr als 400 Fotografien kommen auch besondere Exponate aus dem Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, darunter die berühmte „Pöhler“-Kappe von Dortmund-Coach Jürgen Klopp oder das Weltmeister-Trikot von Helmut Rahn.
Das Begleitprogramm umfasst mehr als 70 Veranstaltungen. Dazu gehören Fußball-Quiz und Fantalk ebenso wie Vorträge, Film- und Liederabende sowie Theater.
In den Sommerferien verwandelt sich das Welterbe dann sogar zum Fußball-Camp für Jugendliche. Alle Infos. www.ruhrmuseum.de/spielplan
Hier der Mythos, dort die Moderne. Zu den Schwarz-Weiß-Aufnahmen von kickenden Knirpsen auf matschigen Bolzplätzen, Amateurfußball-Krimis auf Asche und Fußballfans, die in den 1960ern noch mit Schlips und Anzug statt mit Kutte am Spielfeldrand stehen, kommen die Bilder der neuen, hoch kommerzialisierten Fußballwelt mit perfekt getrimmten Rasen, VIP-Bereich und teurer Bannerwerbung. Und während die Fans den Deutschen Meister Borussia Dortmund 1956 am Borsigplatz noch mit handgeschriebenen Plakaten begrüßen, gerät die Jubiläumsfeier zum 100. Vereinsbestehen der Borussen 2009 schon zum medialen Showevent.
Foto-Ausstellung „Mythos und Moderne“ im Ruhr Museum
In diesem Jahr könnte nach langer Zeit wieder eine große Party steigen und die Deutsche Meisterschaft nach Dortmund gehen. Der Ruhrgebietsfußball, so Grütter, erlebt am Ende dieser Saison wieder mal „Schicksalsmomente“. Und wird erneut unvergessliche Bilder liefern.