Essen. Otto Rehhagel hat als Trainer Geschichte geschrieben, das Fußballmärchen 2004 kommt jetzt ins Kino. Wie seine Karriere in Altenessen begann.

  • In der Lichtburg Essen findet am Mittwoch (10.11.) die Deutschlandpremiere von „King Otto“ statt
  • Der Dokumentarfilm zeichnet „eine der größten Überraschungen der europäischen Fußballgeschichte“: den völlig unerwarteten Sieg der griechischen Fußballnationalmannschaft bei der Europameisterschaft 2004 mit Otto Rehhagel als Trainer
  • In diesem Artikel lesen Sie, wie Rehhagels unvergleichliche Karriere in Altenessen begann

Sein Leben liest sich wie ein Roman, und der Autor hat es gut gemeint mit dem Hauptdarsteller. Pokalsieger, Meistertrainer… Otto Rehhagel hat viele Titel gesammelt in seiner unvergleichlichen Karriere, die vor 73 Jahren beim kleinen Vorortverein TuS Helene 28 in Altenessen begann und die ihn bis auf den Olymp führen sollte. Dort hat er unter all den Göttern als Sterblicher seinen Ehrenplatz.

Bei Rot-Weiss Essen ist Otto Rehhagel Ehrenmitglied und ein gerngesehener Gast

Da sitzt er Mitte Oktober 2021 im Pressebereich im Stadion an der Hafenstraße, wo er als Ehrenmitglied seiner Rot-Weissen ein oft und gerngesehener Gast ist, und soll erzählen wie das war damals bei der Fußballeuropameisterschaft, als er Griechenland zum Titel führte. 17 Jahre sind seitdem vergangen. Das ist lange her. Auch an Otto Rehhagel ist die Zeit nicht spurlos vorüber gegangen. Auch wenn die Frisur noch immer die gleiche ist und sein Haupthaar mit 83 Jahren beneidenswert voll.

Otto Rehhagel vor der Villa Hügel. Dieses Bild entstand 2013 kurz nach seinem 75. Geburtstag.
Otto Rehhagel vor der Villa Hügel. Dieses Bild entstand 2013 kurz nach seinem 75. Geburtstag. © Hennes Multhaup

Bis heute gilt der Sieg der griechischen Elf bei der Euro 2004 als eine der größten Sensationen im Fußballsport. Die Kicker der großen Clubs aus Athen und Saloniki waren als krasse Außenseiter ins Turnier gestartet. Niemand hätte auch nur einen Pfifferling auf sie gesetzt. „Meine Spieler wussten gar nicht wie gut sie sind. Aber ich wusste es“, erzählt ein aufgeräumter Otto Rehhagel. Wer wie er (fast) alles gewonnen hat, ist über jeden Selbstzweifel erhaben.

Otto Rehhagel gewinnt bei der Euro 2004 mit Griechenland den Titel, eine sportliche Sensation.
Otto Rehhagel gewinnt bei der Euro 2004 mit Griechenland den Titel, eine sportliche Sensation. © Getty Images | Laurence Griffiths

„King Otto“ heißt der Film, der die Geschichte fürs Kino noch einmal nacherzählt – und der am Mittwoch (10.11.) Deutschlandpremiere in der Essener Lichtburg feiert. Der Titel nimmt es vorweg: Otto Rehhagel, den sie in Griechenland als Nationalhelden verehren, spielt die Hauptrolle. „Ich war immer Realist, habe nie geträumt“, sagt er und lässt durchblicken, dass hinter jedem Erfolg harte Arbeit steckt. In Griechenland hat er Träume wahr gemacht. Im Restaurant „Hügolos“ hoch oben über dem Baldeneysee haben sie ihm dafür in Marmor gemeißelt ein Denkmal gesetzt. Vermutlich würde ihn jede griechische Taverne bis zu seinem Lebensende kostenlos frei Haus verköstigen.

Otto Rehhagel ist in Altenessen in einfachen Verhältnissen groß geworden

Es ist ihm anzusehen, Otto Rehhagel genießt den Erfolg und erinnert sich gerne daran zurück. Wer damals vor dem Fernseher saß, wird die Bilder noch vor Augen haben: Eine Million Menschen säumten die Straßen von Athen, als der Erfolgstrainer aus Deutschland und seine Mannschaft den Pokal nach Hause brachten. Im Schritttempo bahnt sich der Bus den Weg durch die Massen. „Sonst braucht man vom Flughafen eine Stunde. Wir haben fünf Stunden benötigt“, erzählt Rehhagel. „Wir waren alle wie benebelt.“ Auch er, der Realist.

Es ist eine schöne Geschichte. Und sie ist auch deshalb so schön, weil sie vom Aufstieg eines Essener Jungen erzählt, der aus einfachen Verhältnissen stammt und der es ganz nach oben geschafft hat. Als Sohn eines Bergmanns auf Zeche Helene, der im Alter von nur 39 Jahren viel zu früh starb. Als Sohn einer Mutter, die ihn und seine drei Geschwister alleine groß ziehen musste. „Ich habe viel erlebt“, sagt Otto Rehhagel und spricht davon, wie er als Fünfjähriger im Keller Schutz suchte, als auf Essen die Bomben fielen.

Otto Rehhagel hatte Maler und Lackierer gelernt. Dieses Foto zeigt ihn im Jahr 1960.
Otto Rehhagel hatte Maler und Lackierer gelernt. Dieses Foto zeigt ihn im Jahr 1960. © HORSTMÜLLER GmbH

Der kleine Otto wurde groß. Als Heranwachsender lernte er Maler und Lackierer. Ein Foto, aufgenommen 1960, zeigt ihn in weißen Anstreicher-Anzug mit Pinsel und Farbeimer auf einem Fahrrad, im Hintergrund typisch schmucklose Vorstadthäuser. Da spielte er noch bei TuS Helene. Im selben Jahr lotste ihn Georg Melches an die Hafenstraße zu Rot-Weiss Essen für 150 D-Mark im Monat und einen VW Käfer.

In der Mannschaft musste sich der Neue hinten anstellen. „Es gab damals in der Kabine nur eine Massagebank“, erinnert sich Rehhagel an sein erstes Jahr. Darauf lag Penny Islacker. „Was willst Du denn hier“, fragte ihn der Star der Mannschaft. „Ich will mich massieren lassen“, antwortete der junge Rehhagel, worauf Islacker entgegnete: „Komm in drei Jahren wieder.“

Bei RWE musste sich Otto Rehhagel durchbeißen

Der ehrgeizige Nachwuchsspieler beißt sich auch ohne Massage durch. Was danach kommt ist oft erzählt: erfolgreicher Spieler bei RWE und beim 1. FC Kaiserslautern, Meister und Pokalsieger als Trainer mit Werder Bremen… und schließlich Europameister mit Griechenland, die Spitze des Olymp.

Freunde fürs Leben

Der Dokumentarfilm „King Otto“ feierte bereits in Athen unter freiem Himmel Premiere. Otto Rehhagel war zugegen. Zu seinen ehemaligen Spielern hält er bis heute Kontakt, mit dem Titelgewinn bei der Europameisterschaft 2004 sei eine Freundschaft fürs Leben entstanden Am 10. November kommt der Film in Deutschland in die Kinos. Voraussichtlich im Frühjahr 2022 wird er auch im Fernsehen gezeigt.

Wie war diese Sensation möglich? „Es hat einfach alles gepasst“, sagt Otto Rehhagel. „Auch Außenseiter haben eine Chance.“ Allerdings hält er es heute für unwahrscheinlich, dass sich dieses Märchen wiederholt, im modernen Vereinsfußball, wo für Topspieler dreistellige Millionen-Summen gezahlt werden, schon gar nicht. Spitzenclubs wie Bayern München haben ihre Ausnahmestellung längst zementiert.

Dass Geld Tore schießt, wusste Rehhagel schon zu seiner aktiven Zeit nur zu gut, in der sich der Erfinder der „kontrollierten Offensive“ mit einfachen Weisheiten auch als Fußball-Philosoph einen Namen machte. Im Fußball gebe es nur eine Wahrheit: „Der Ball muss ins Tor“, gibt Rehhagel, befragt nach seinem Erfolgsrezept, im Stadion Essen zum Besten. Dass er einen gehörigen Anteil zum Titelgewinn der griechischen Nationalelf beigetragen hat, fällt dabei nicht unter den Tisch.

Otto Rehhagel mit seiner Frau Beate im Stadion Essen. Seit 55 Jahren sind sie verheiratet.
Otto Rehhagel mit seiner Frau Beate im Stadion Essen. Seit 55 Jahren sind sie verheiratet. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Für seine Lebensleistung wurde Otto Rehhagel vom Deutschen Fußballbund geehrt, der damalige NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück verlieh ihm das Bundesverdienstkreuz. „Ich habe mir alles erarbeitet“, sagt der Erfolgstrainer im Ruhestand. Ein nicht zu unterschätzender Anteil, gebührt seiner Frau Beate. Sie habe stets mitentschieden, erzählt Rehhagel und schickt mit den Augen vom Podium einen verliebten Gruß hinab in die erste Reihe.

Seit 55 Jahren sind die beiden verheiratet. Sein Blick war vermutlich als junger Mann der gleiche, als er seine Angebetete zum ersten Mal traf. Mit seinem VW Käfer hatte er den Sohn seines Nachbarn zur Grugahalle gefahren, weil der Bursche einen Brief abgeben sollte, erzählt Rehhagel. Im Grugapark liefen junge Leute Schlittschuh. Ob er es nicht auch einmal versuchen wolle, sei er gefragt worden. Da sei eine bildhübsche Frau auf ihn zugekommen. „Sie hat meine Hand genommen und bis heute nicht mehr losgelassen, meine Beate“.

Es ist vielleicht die schönste Geschichte des an Geschichten so reichen Lebens des Otto Rehhagel. Ganz nebenbei räumt der Fußballphilosoph mit einer anderen, weit verbreiteten Weisheit auf: Wichtig ist eben nicht nur auf’m Platz.