Essen-Werden. Welche Folgen hat der Klimawandel im Stadtteil und was ist zu tun? Die Essener Initiative „Gemeinsam für Stadtwandel Werden“ befragt Experten.
Die Aktionsgruppe „Klimagerecht.mobil.Werden“ der Initiative „Gemeinsam für Stadtwandel Werden“ ließ im Herbst aufhorchen, als sie für einen „Parking Day“ temporär Parkplätze der Werdener Innenstadt belegte – und dabei nicht nur auf ungeteilte Zustimmung stieß. Nun hatte die Gruppe zur ersten von zwei Diskussionsveranstaltungen zum Thema Klimawandel ins Haus Fuhr eingeladen.
Zu Gast war der Meteorologe Marco Mersmann vom Regionalverband Ruhr. Er stellte die Klimaanalyse 2022 der Stadt Essen, insbesondere für den Stadtteil Werden vor. Fazit: Es müsse mehr Grün und mehr Blau (Wasser) in die Stadtkerne, dafür aber Betongrau raus.
Maßvolle Verdichtung im Umland durch Schließung einzelner Baulücken
Der große Saal im Haus Fuhr war mit gut hundert Teilnehmern gefüllt. Froh war die engagierte Klimainitiative, dass ihr Angebot eine derart große Resonanz fand und das Publikum auch weit über zwei Stunden bei der Stange blieb. Der Klimawandel sei da, hielt Mersmann fest: „Die zwölf wärmsten Jahre waren alle nach 1988.“
Auch in Werdens Zentrum häuften sich heiße Tage und „Tropennächte“. Ausgerechnet hier befinden sich aber auch Einrichtungen wie Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Altenheime. Marco Mersmann unterbreitete konkrete Handlungsvorschläge: „Für den Stadtkern Entsiegelungen, Fassaden- und Dachbegrünungen.“ Fürs Umland könne man sich maßvolle Verdichtung vorstellen, aber eher durch Schließung einzelner Baulücken.
Infektionskrankheiten und Allergien häufen sich
Was zu Murren im Publikum führte. Viele Werdener finden nämlich, dass in Fischlaken und Heidhausen jetzt schon viel zu viel gebaut wurde: „Und haben sie den dadurch immer stärker werdenden Verkehr eingerechnet?“ An der Heidhauser Barkhovenallee hat der Experte jedoch eine Baugrenze gezogen. Zum Schutz von klimatisch wertvollen Räumen sollte an diesen Stellen eine über diese „Rote Linie“ hinausgehende Bebauung vermieden werden. Nur so könne der großflächige Erhalt klimapositiver Zonen gewährleistet werden.
Nächste Versammlung am 24. Mai
Es wurden bei der Veranstaltung im Haus Fuhr Handlungsvorschläge für ein gesundes Stadtklima, mehr Aufenthaltsqualität in der Werdener Innenstadt und eine klimagerechte Mobilität gesammelt.
Die Ergebnisse sollen am Mittwoch, 24. Mai, Vertretern von Politik, Kirche, Schulen und Arbeitgebern präsentiert werden. Das Treffen findet wieder ab 19 Uhr im Haus Fuhr, Heckstraße 16, statt.
Die Aktionsgruppe „Klimagerecht.mobil.Werden“ der Initiative „Gemeinsam für Stadtwandel Werden“ trifft sich am zweiten und vierten Mittwoch um 19 Uhr im Foyer von Haus Fuhr.
Nähere Informationen können per E-Mail an stadtwandel.werden@gmail.com erfragt werden.
Der Werdener Kinder- und Jugendarzt Tobias Gregor berichtete aus seiner Praxis Erschreckendes: Die Infektionskrankheiten häufen sich, mehr Allergien und das über die Atemluft aufgenommene Mikroplastik habe hormonelle Wirkung: „Seit Jahrzehnten verjüngt sich die Pubertät.“ Immer mehr Kinder hätten überdies „Kreidezähne“, sprich poröse Zähne, und ein erhöhtes Hautkrebsrisiko. Die Folgen des Klimawandels träfen eben nicht nur die Älteren: „Kinder sind die vulnerabelste Gruppe. Sie haben noch nicht das Immunsystem und die Schutzpuffer von Erwachsenen.“
Verschattete Wege helfen Kindern als vulnerabelste Gruppe
Eine Erwärmung der Erde um bis zu 4,4 Grad Celsius bis 2100 klinge heute vielleicht abstrakt: „Aber meine Patienten werden das Jahr 2100 erleben.“ Er forderte: „Die Bedürfnisse der Kinder müssen bei der Gestaltung der Wohnorte stärker berücksichtigt werden, etwa durch Verschattung der Wege. Trinkwasser muss überall verfügbar sein.“
Der Werdener Stadtplaner Michael Happe sagte, die Folgen von Extremwetter hätte man erst kürzlich erlebt. Das werde sich zukünftig häufen: „Bei Starkregen werden Teile der Werdener Altstadt unter Wasser stehen.“ Geradezu absurd findet Happe ein Bauprojekt an der Laupendahler Landstraße.
„Ein Baum ist die perfekte Antwort auf die Krise“
Dort, wo im Sommer 2021 Anwohner sogar von der Feuerwehr mit Schlauchbooten evakuiert werden mussten, entstehen Wohnungen. Und zwar mit einer zwei Meter hohen Schutzmauer, über der dann erst das Erdgeschoss beginne. Abgesehen davon, dass das wohl bei starkem Hochwasser nicht ausreiche, sei das doch Zeichen einer Sorg- und Hilflosigkeit, die man sich nicht mehr leisten könne.
Für den Landschaftsarchitekten Marvin Baggen steht fest: „Wir brauchen Kühlung, und die Kühlleistung eines Baums entspricht der von zehn Klimaanlagen. Ein Baum ist die perfekte Antwort auf die Krise.“ Sogenannte Baumrigolen haben Versickerungsflächen und darunter Wasserreservoirs, überhaupt benötigten Bäume deutlich mehr Raum für ihr Wurzelwerk. Dem müsse nachgekommen werden: „Eine Innenstadt ist doch mehr als nur Einkaufsmöglichkeit und Parkplätze.“ Die Qualität und die Größe der Grünflächen, die im Werdener Altstadtkern gerade einmal acht Prozent ausmachen, müssten deutlich erhöht werden.
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