Essen. In Essen betreuen Rotarier Demenzkranke, während sich deren Angehörige austauschen. Die haben sonst nie Pause – und erleben viel Ablehnung.

Frau B. nimmt seit zehn Jahren Abschied von ihrem Mann. Er hat eine Demenzerkrankung, verliert jeden Tag mehr von seiner Persönlichkeit. „Es ist schwer, zu erleben, wie ein Mensch verschwindet“, sagt seine Frau. Sie kämpft mit Erschöpfung – und mit dem Unverständnis anderer: „Man muss sich ständig rechtfertigen.“ Für Frau B. gibt es eine Insel, auf der sie sich alle zwei Wochen etwas erholen kann: ein Angebot des Alfried-Krupp-Krankenhauses Essen-Rüttenscheid, das Ehrenamtliche aus dem Rotary-Club Essen-Gruga tatkräftig unterstützen.

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„Angehörige von Menschen mit Demenz“ heißt die Gruppe, in der es keine Rolle spielt, ob die Betroffenen unter Alzheimer oder einer anderen Form der Demenz leiden. Frau B. betont jedoch, dass ihr Mann eine frontotemporale Demenz hat – denn die beginnt oft früh. Ihr Mann war gerade 70, als er morgens am Kühlschrank stand, eine Pampelmuse in der Hand und sagte: „Ich weiß nicht mehr, wie das heißt.“

Kann vorkommen, dachte Frau B., der auch mal ein Wort nicht einfiel, doch ihr Mann ließ sich sofort durchchecken, nahm jede Hilfe von Logopädie bis Gedächtnistraining an. Eine Weile lief es gut. „Nach fünf Jahren nahm die Krankheit einen heftigeren Verlauf. Mit Corona eskalierte es, weil die gesamte Struktur zusammenbrach.“ Kein Sport, kein Konzert, kein Kneipenbesuch.

Pflegende Angehörige sind hochbelastet

„Es fehlen wichtige Impulse, wenn man nicht mehr rausgehen kann“, bestätigt Susanne Johannes. Sie ist Fachkrankenschwester am Krupp-Krankenhaus und Teamleiterin des Demenzmanagements. Die Gruppe für die Angehörigen bietet sie gemeinsam mit Prof. Dr. Hans Georg Nehen an, der als Pionier der Altersmedizin gilt und bis zur Pensionierung Chefarzt im Essener Geriatrie-Zentrum Haus Berge war.

Bittere Geschichten aus der Pandemie könne jeder aus der Gruppe erzählen, sagt Susanne Johannes. „Da braucht man Menschen, die das nachvollziehen können.“ Dazu schöpfe die Gruppe aus Nehens Expertise. Der betont, dass es den typischen Demenzkranken nicht gebe; allgemein lasse sich aber sagen, dass man sich die Betroffenen als glückliche Menschen vorstellen dürfe – so lange sie gut betreut würden: „Sie sorgen sich nicht wegen des Ukrainekriegs, kennen keine Zukunftsangst.“ Nur: Die gute Betreuung 24 Stunden lang Tag für Tag, zehre an den Angehörigen: „Am Ende sind die kränker als die Demenzpatienten.“

Ehrenamtliche lassen sich auf die Demenzkranken ein

Und ihr Radius wird immer enger: Irgendwann nahmen viele nicht mal mehr an den Gruppentreffen teil, weil sie den dementen Partner keine zwei Stunden allein lassen konnten. Die müssten mitkommen und betreut werden, dachte Susanne Johannes. Der inzwischen verstorbene Krankenhauschef Prof. Dr. Thomas Budde vermittelte den Kontakt zu den Rotariern vom Club Essen-Gruga: Seit August 2021 kümmern die sich nun um Demenzkranke, während sich deren Angehörigen austauschen.

Austausch für Angehörige von Demenzkranken

Eine Demenz ist für die Patienten und ihre Angehörigen eine große Herausforderung. Symptome wie Gedächtnisstörungen, starke Unruhe oder Orientierungslosigkeit erfordern viel Verständnis und Geduld von den Angehörigen. Die zeitliche Beanspruchung kann den Betreuenden an die eigenen Grenzen führen.

In der Gruppe „Angehörige von Menschen mit Demenz“ am Alfried-Krupp-Krankenhaus Rüttenscheid tauschen sich maximal zwölf Betroffene untereinander und mit Experten aus und erhalten hilfreiche Tipps. Die Teilnahme ist kostenlos. Infos gibt es bei Susanne Johannes: telefonisch unter 0201 434-41071 oder per E-Mail an:

Mit dabei ist das Ehepaar Rißler, selbst schon um die 80. „Wir wollen nicht nur die Taschen aufmachen, wir sind immer interessiert, auch selbst anzupacken“, sagt Hildegund Rißler über ihren Rotary-Club. Ein Jahr lang wurden sie online für die anspruchsvolle Aufgabe geschult. Peter Rißler fühlte sich gut vorbereitet und berichtet begeistert von den Begegnungen. Etwa von der alten Dame, die kein Interesse an Gespräch oder Gesellschaftsspiel hatte, sondern erklärte, sie müsse jetzt nach Hause, arbeiten. „Da habe ich mich bei ihr eingehakt und bin mit ihr gelaufen.“ Runde um Runde um das Gelände.

„Wenn man etwas über die Menschen weiß, kann man Kontakte aufbauen, etwa über Familienfotos“, ergänzt Hildegund Rißler. Die eine sei sehr musikalisch, der andere erzähle gern eine aufregende Geschichte aus seiner Bundeswehrzeit und freue sich immer wieder über Zuhörer. „Emotionale Situationen bleiben viel länger erhalten als Kognitives“, sagt Nehen. „Für den Mann hat dieses bewegende Erlebnis hier und jetzt stattgefunden.“ Nicht vor Jahrzehnten.

Von Tag zu Tag können Fähigkeiten verloren gehen

Sich auf das Erleben der Demenzpatienten einzulassen, bereite ihnen Freude, sagen die Rißlers. „Wir sind in gewisser Weise Bezugspersonen – so lange sie uns wiedererkennen.“ Denn das könne von einem zum anderen Treffen verloren gehen. „Was ein Mensch mit Demenz heute kann, kann er morgen vielleicht nicht mehr“, bestätigt Nehen. „Gestern hat er sich allein die Zähne geputzt, morgen nimmt er die Zahnbürste zum Kämmen.“

Frau B. erzählt, wie ihr Mann früh keine Gesichter mehr erkannte, wie er Gespräche mied, in der Philharmonie mitdirigierte und seine „exzellenten Tischmanieren“ verlor. Als er im Restaurant mit Fingern aß, stichelten andere Gäste, ob er sich nicht benehmen könne. Der Tennisverein, in dem er lange gespielt hatte, machte es vermeintlich diskreter: „Sie schickten ihm keinen Spielplan mehr zu.“ Erst als sie anrief, erklärte man Frau B., dass ihr Mann nicht mehr in der Mannschaft sei.

Obwohl sie früh ein Netzwerk organisiert hatte, schmerzten solche Verbannungen aus dem alten Leben. „Als Angehörige eines Demenzpatienten ist man immer in Erklärungszwang“, sagt Frau B.. Mancher vereinsame, weiß Hans Georg Nehen: Der Freundeskreis wisse nicht mit dem Kranken umzugehen und wolle vom Alltag des Pflegenden nichts hören. „Bei uns werden die Angehörigen ihren Kummer los, und die Patienten treffen auf Menschen, die ganz unvoreingenommen sind“, sagt Susanne Johannes.

Jeden kann eine Demenz treffen

So fand der sportliche Mann von Frau B. eine Ehrenamtliche, die mit ihm spazieren ging. Diese 1:1-Betreuung ist nur möglich, weil insgesamt rund 15 Rotarier hier aktiv sind. Nach jedem Gruppentreffen gibt es eine Besprechung mit Nehen und Johannes – und beim Ehepaar Rißler noch eine private auf der Heimfahrt: „Es kommt zurück, was man reinsteckt“, sagen die beiden.

Demenz könne man nur verlangsamen, nicht heilen, betont Nehen. Eines Tages ist der Mensch, den man kannte, verschwunden. „Mein Mann fing an, überall hinzupinkeln“, sagt Frau B.. Natürlich strapaziere das die Geduld anderer. Auch sie selbst verließ die Kraft; seit Anfang 2022 lebt ihr Mann in einem Heim. Schweren Herzens habe sie das getan: „Es ist furchtbar.“ Für Hans Georg Nehen schließt sich daran eine gesellschaftliche Frage an: „Wir müssen überdenken, wie wir mit Demenzkranken umgehen.“ Treffen könne es jeden von uns.