Essen. 33 Jahre lang hat Prof. Nehen das Geriatrie-Zentrum Haus Berge geleitet. Nun geht er in den Ruhestand. Ein Gespräch über Demenz, Vorurteile und Senioren.
33 Jahre lang hat Prof. Hans Georg Nehen das Haus Berge in Bergeborbeck geleitet und es zu einem der deutschlandweit führenden Zentren in der Altersmedizin ausgebaut. Jetzt hat sich der 67-jährige Mediziner in den Ruhestand verabschiedet. Wir sprachen mit dem Geriatrie-Experten über seine Tätigkeit, die Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft und über sein Alter.
Herr Professor Nehen, mit Ihrem Team haben Sie Haus Berge aufgebaut. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?
Prof. Hans Georg Nehen: Der fällt mir leicht und schwer zugleich. Rückblickend war das eine tolle und erfolgreiche Zeit. Sie müssen sich vorstellen, als ich vor 33 Jahren die Leitung übernommen habe, da galt der Begriff Geriatrie unter meine Medizinerkollegen als Schimpfwort. Ich musste gegen Widerstände und Vorurteile kämpfen. Geriatrie war damals weder ein eigenständiges Fach noch gab es eine entsprechende Facharztausbildung. Das ist nicht mehr vergleichbar mit dem heutigen Stand.
Wie sahen die Widerstände aus?
Prof. Nehen: Das ist heute nicht mehr vorstellbar, aber manche Kollegen behaupteten damals, dass man demente Menschen nicht mehr medizinisch behandeln müsse, nach dem Motto: Der stirbt doch eh. Andere glaubten, dass sie als Internisten, Neurologen oder Allgemeinmediziner bereits Altersmedizin betreiben würden – also eine eigenständige Disziplin völlig unnötig sei. All diese Vorurteile sind inzwischen ausgeräumt. Heute ist die Geriatrie eine anerkannte und eigenständige Fachdisziplin.
Sie waren 34, also noch relativ jung, als Sie Chefarzt wurden. Was hat Sie ausgerechnet an der Altersmedizin gereizt?
Prof. Nehen: Geriatrie ist einfach ein spannendes Fach. Menschen ab 60 Jahre haben meist mehr als eine Erkrankung. Als Geriater musst du deswegen Schwerpunkte setzen, dir überlegen, welche Krankheit im Mittelpunkt steht. Man muss sich auch genau die verordneten Arzneimittel ansehen. Leider gibt es immer noch zu wenig Absprachen zwischen den niedergelassenen Kollegen, so dass es bei der Medikamentengabe zu Unverträglichkeiten und zu gesundheitlichen Einschränkungen kommt. Aber eine Diagnose alleine reicht nicht. Entscheidend ist der Allgemeinzustand des Patienten: Ist er noch mobil, kann er sich alleine versorgen, ist er geistig wach – all diese Überlegungen fließen ein. Eine gute und ausdifferenzierte Diagnostik, die den ganzen Menschen sieht, ist das Fundament einer guten Therapie.
Sie haben sich ja auch als einer der ersten Mediziner besonders den alten Menschen gewidmet, die unter Demenz leiden.
Prof. Nehen: Mit unserer Memory Clinic, der interdisziplinären Demenzstation und der Tagesklinik haben wir einen Weg beschritten, den so noch keiner vor uns gegangen ist. Und darauf bin ich wirklich stolz. Sie müssen sich vor Augen halten, dass wir die erste Generation sind, die wirklich den Abbau im Alter erleben, den körperlichen wie den geistigen Verfall. Deswegen gibt es, was den Umgang und die Behandlung dieser Altersgruppe angeht, keine Vorbilder. Demenz ist zwar nicht heilbar, aber diese Patienten haben wie alle anderen ein Recht auf eine gute Behandlung, die ihr Leben subjektiv verbessert. Da sie sich oft nicht mehr äußern können, ist eine genaue Patientenbeobachtung umso wichtiger. Daran sind bei uns alle beteiligt – vom Arzt bis zur Küchenfrau.
Dank Ihrer Forschung und Ihrer Arbeit ist die Geriatrie als eigenständiges Fach inzwischen etabliert. Sind Sie damit zufrieden?
Prof. Nehen: Ich habe damals ein Curriculum gegründet, um die Facharztausbildung auf den Weg zu bringen. Und ich war Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. Heute ist die Geriatrie ein Bestandteil des Medizinstudiums und der Ausbildung zum Allgemeinmediziner. Aber wir sind noch längst nicht mit dem Thema durch. Meiner Meinung nach gehört geriatrisches Wissen in jede Krankenhausabteilung und in jede Praxis. Davon sind wir noch weit entfernt. Aber wir müssen etwas tun, denn bald werden die geburtenstarken Jahrgänge alt.
Wie gehen Sie persönlich mit Ihrem Alter um?
Prof. Nehen: Ach, ich lasse mich überraschen. Ich habe mir vorgenommen, nicht an Fähigkeiten festzuhalten, die ich langsam verliere. Andererseits will ich nicht aufhören, zu lernen: Besonders Sprachen interessieren mich. Zuletzt habe ich Vietnamesisch gepaukt, weil ich nach Vietnam gefahren bin. Und ich freue mich auf meinen großen Garten.