Essen. Aus „Literatürk“ wird „Literaturdistrikt“. Warum das Festival einen neuen Namen hat und welche Autorinnen und Autoren in Essen erwartet werden.
Aus „Literatürk“ wird Literaturdistrikt: Das etablierte Lesefest will sich im mittlerweile 18. Jahr seines Bestehens eine neue Ausrichtung geben, wobei sich die programmatische Weiterentwicklung eigentlich schon länger abgezeichnet hat.
Das deutsch-türkische Lesefestival, das regelmäßig prominente türkischstämmige Autoren wie Can Dündar auf dem Podium begrüßt, hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend internationaler aufgestellt. Und obwohl sich „Literatürk“ mittlerweile zu einer bundesweit bekannten Marke in der Leselandschaft entwickelt hat, sei es angesichts einer zunehmend globalisierten Einwanderungsgesellschaft an der Zeit für eine Änderung, sagen die Organisatorinnen Semra Uzun-Önder und Fatma Uzun: „Der Name war nicht mehr zeitgemäß. ,Literatürk’ hat nicht mehr widergespiegelt, was das Festival schon in den letzten Jahren dargestellt hat.“
Mit dem neuen Titel wolle man mehr Offenheit signalisieren und „den Rahmen für mehr Diversität und ein noch vielfältigeres Programm bieten“, heißt es seitens der Veranstalterinnen. Vom 7. bis 19. November präsentiert man unter dem auch von Bundeskanzler Olaf Scholz bemühten Schlagwort „Zeitenwende“ an verschiedenen Leseorten der Stadt Autorinnen und Autoren von Sasha Marianna Salzmann bis Niklas Maak, von Marina Weisband bis Dietmar Dath.
Nicht nur der Festival-Name ist neu, auch der Verein hat sich neu aufgestellt. Nach dem Ausscheiden des in den Ruhestand verabschiedeten Grend-Geschäftsführers Johannes Brackmann haben die bisherigen Initiatorinnen Semra Uzun-Önder und Fatma Uzun die Leitung übernommen. Als Träger fungiert nun „Kulturdistrikt e.V.“. Der noch junge Verein wolle in Zukunft auch weitere Projekte initiieren, in Planung sei unter anderem ein Filmfestival in Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung, erklärt Fatma Uzun.
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Der Name ist neu, inhaltlich bleibt das Festival jedoch wiedererkennbar, in diesem Jahr ist die Anzahl der Autoren mit türkischen Wurzeln sogar vergleichsweise hoch. Mit dabei ist unter anderem Hakan Günday (13. November, 15 Uhr, Museum Folkwang) und Burhan Sönmez. Der kurdische Buchautor, Menschenrechtsanwalt und neue Präsident des Schriftstellerverbandes Pen ist am 11. November, 19.30 Uhr in der Zentralbibliothek, Hollestraße, mit „Labyrinth“ zu Gast. Gleich zur Eröffnung des Festivals am 7. November, 19 Uhr, kommt die Kolumnistin und taz-Autorin Fatma Aydemir mit ihrem Gesellschaftsroman „Dschinns“ ins Filmstudio Glückauf an der Rüttenscheider Straße. Geschichten um Herkunft, Familie und private Umbrüche, wie „Dschinns“ sie erzählt, gibt es eine ganze Reihe im Festivalprogramm.
Die eigene Familiengeschichte über fünf Jahrzehnte hat die mehrfach ausgezeichnete Journalistin Khuê Phạm in ihrem Debütroman „Wo auch immer ihr seid“ nachgezeichnet. Pham kommt am 10. November, 19.30 Uhr, in den Leseraum an der Akazienallee, der nun in Kooperation mit der Buchhandlung Proust als neuer Veranstaltungsort zur Verfügung steht, nachdem sich mit dem Ausscheiden von Johannes Brackmann auch das Kulturzentrum Grend als bisheriger Träger von „Literatürk“ aus dem Festival zurückgezogen hat.
Im Lese-Raum ist auch Christian Baron mit „Schön ist die Nacht“ zu Gast (18. November, 19.30 Uhr), einen Roman über die westdeutschen Siebzigerjahre.
Sasha Marianne Salzmann wird mittlerweile als eine der bedeutendsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur gehandelt. Der neue Roman „Im Menschen muss alles herrlich sein“ streift das Festival-Thema „Zeitenwende“ auf vielfache Art. Er erzählt vom Zerfall der Sowjetunion, von politischen und privaten Umbrüchen und der Geschichte dreier Frauen aus der Ukraine, die die Vergangenheit auch nach ihrer Flucht niemals ganz loslässt (8. November, 19.30 Uhr, Central im Grillo-Theater).
Für Sibylle Berg hat die „Zeitenwende“ längst stattgefunden
Am 15. November, 19 Uhr, wird das politisch mittlerweile schon arg strapazierte „Zeitenwende“-Schlagwort dann von der deutsch-ukrainischen Publizistin Marina Weisband und dem Youtuber und Podcaster Wolfgang M. Schmitt aufgegriffen (Zentralbibliothek, Hollestraße). Bei einem Podiumsgespräch wollen sie der Bedeutung des Begriffs im politischen und ökonomischen Sinne nachgehen. Für die Autorin und Kolumnistin Sibylle Berg wiederum hat die „Zeitenwende“ längst stattgefunden, nachzulesen in „RCE #RemoteCodeExecution“. Am 19. November, 19 Uhr, diskutiert sie darüber mit Autor und FAZ-Redakteur Dietmar Dath an der Hollestraße.
Auch die Herausforderungen der digitalen Gesellschaft sind Thema bei „Literaturdistrikt“ . FAZ-Architekturkritiker Niklas Maak beschreibt sie in „Servermanifest“ und fordert neue, kollektive Orte für die Aufbewahrung der kostbaren Datenschätze, ein „Centre Pompidou fürs digitale Zeitalter“ (14. November, 19.30 Uhr, Lese-Raum).
Zwölf Veranstaltungen stehen auf dem Programm, an sieben verschiedenen Spielstätten von der Rü-Bühne bis zur Casa des Schauspiel Essen. Dass sich gerade das auf interkulturelle Begegnung ausgerichtete Katakomben-Theater nicht in die Riege der Veranstaltungsorte einreiht, überrascht ein wenig.
Zu den insgesamt elf Lesungen gesellt sich außerdem die multimediale Performance „Songs of Gastarbeiter Vol. 2“ (16. November, 19.30 Uhr, Casa in der Theaterpassage) mit einem breiteren Einwanderer-Repertoire von Griechenland bis Spanien, von Protestsong bis Partymusik. Alle Infos: www.literaturdistrikt.de