Essen. Wachwechsel im Kulturzentrum Grend: Geschäftsführer Johannes Brackmann nimmt nach fast 25 Jahren Abschied. Ihm folgt Gemma Russo-Bierke.

Generationswechsel im Kulturzentrum Grend: Gründungsmitglied Johannes Brackmann gibt nach fast 25 Jahren die Geschäftsführung ab. Seine Nachfolge übernimmt die 38-jährige Gemma Russo-Bierke.

Ein Haus für alle: Als das „Grend“ 1996 nach achtjährigem Vorlauf in der ehemaligen, denkmalgeschützten Steeler Rektoratsschule eröffnet wurde, gab es die Idee, vieles unter einem Dach zu vereinen: Ein Ort der Weiterbildung zu sein, aber auch der bis dahin verschmähten Ruhrgebietskomödie eine Heimat zu geben, Konzerte zu veranstalten, eine Kneipe und sogar ein Gästehaus zu betreiben. Kurzum ein Treffpunkt für unterschiedliche Zielgruppen und Milieus zu sein.

Johannes Brackmann hat „immer schon für so viele Dinge gebrannt“

Für Johannes Brackmann, den Chemielaboranten, Sozialarbeiter und leidenschaftlichen Musiker, ist es der ideale Ort, um ganz unterschiedliche Ambitionen unter einen Hut zu bringen. „Ich habe immer für so viele Dinge gebrannt“, sagt der 65-Jährige. Und so hat er mit Gleichgesinnten damals aus drei schon etablierten Einrichtungen – der Werkstatt e.V., dem Zimmertheater (Theater Freudenhaus) und dem Werkstatt-Bildungswerk e.V. – nach „zähem Kampf“ und mit 1,5 Millionen Landesmitteln eine neue Einheit geschmiedet. Dass er als Grend-Geschäftsführer neben dem Interesse an gesellschaftspolitischen Fragen auch ein gewisses technisches Verständnis mitbrachte, habe nie geschadet. „Ich bin oft mit dem Schraubenzieher durchs Haus gelaufen.“

Hier mal bohren, da nachbessern: Dass die einst aus der Studentenbewegung der 1960er Jahre hervorgegangenen soziokulturellen Zentren nicht nur als Orte der kulturellen Teilhabe fungieren, sondern als Horte der Demokratie auch ganz konkret Position beziehen sollen, hat Brackmann ernst genommen und sich „immer gerne eingemischt“. Stadtteilübergreifend, vom aktuellen Radentscheid bis zu den Diskussionen im Jahr der Flüchtlingskrise 2015. Wie bedrohlich nahe politische Verwerfungen dabei auf das eigene Lebensumfeld einwirken können, hat man schließlich mit den Aufmärschen der selbst ernannten Bürgerwehr „Steeler Jungs“ und den Schüssen aufs Grend im März 2019 erfahren.

Gemma Russo-Bierke: „Das ist ein Ort, wo sich jeder einbringen kann“

Themen wie Vielfalt und Toleranz sollen in Zukunft deshalb weiter in den Vordergrund der Arbeit rücken, sagt Nachfolgerin Gemma Russo-Bierke, die sich nicht nur im Bereich der Weltmusik stärkere Akzente vorstellen kann. Die neue Grend-Geschäftsführerin kommt dabei nicht unbedingt mit dem klassischem Werdegang ins Grend. Die 38-jährige hat Jura und BWL in Mannheim studiert. Zuletzt hat die zweifache Mutter in Straelen gelebt. Groß geworden ist sie aber in Münster mit der Kunst des Vaters, der dort ein italienisches Kulturzentrum leitete. Das Klima von Austausch und Offenheit habe sie geprägt. „Egal, wo ich hingekommen bin, habe ich immer solche Orte gesucht“, sagt Russo-Bierke, die seit knapp einem Jahr in Essen lebt.

Im Grend will sie nicht nur den interkulturellen Austausch fördern, nun gelte es auch, den Generationswechsel im Publikum einzuleiten. Leute von Mitte 20 bis Mitte 30 seien zwar schwieriger zu erreichen, doch Gemma Russo-Bierke sieht angesichts der Bewegungen wie den „Fridays for Future“-Aktivisten wieder ein stärkeres Interesse an bürgerschaftlicher Beteiligung auch bei den Jüngeren. „Es ist die Chance dieses Hauses, dass sich jeder einbringen kann“, sagt sie über das Grend.

Ständige Gratwanderung zwischen eigenem Anspruch und ökonomischem Tun

Möglichst viele anzusprechen und gleichzeitig die Qualität zu wahren, das sei „eine ständige Gratwanderung zwischen eigenem Anspruch und ökonomischem Tun“, erklärt Johannes Brackmann. „Was dem Grend fehlt, sind Mittel um zu experimentieren“, bedauert der 65-Jährige. Dennoch will man nicht klagen. Die Stadt Essen fördert das Haus mit 243.000 Euro. Dazu kommen noch einmal rund 90.000 Euro vom Land für die Weiterbildungsangebote. Etwa die Hälfte des Etats wird durch Kurse, Eintrittsgelder und die Einnahmen des Gästehauses selber erwirtschaftet. Rund ein Dutzend Mitarbeiter kümmern sich um Technik und Verwaltung, insgesamt 50 Dozenten und 30 Schauspieler gehören zum Kollegenstamm.

So hat das zum Grend gehörende „Theater Freudenhaus“ mit seinen legendären „Freunden der italienischen Oper“ vor Jahren eine ganz eigene Nische erschaffen und sorgt seither für ein Alleinstellungsmerkmal: „Es gibt wenige Zentren, die selber Kunst machen“, freut sich Brackmann, selber Musiker der Brass-Band „Schwarz-Rot Atemgold” 09. Für die Musik wird er nun wieder mehr Zeit haben, auch wenn er weiter im Vorstand des Trägervereins bleibt. Auch das Festival „Literatürk“ darf weiter auf seine Unterstützung zählen. Für viele Dinge zu brennen, davon will Johannes Brackmann auch im Ruhestand nicht lassen.