Essen-Bergerhausen. Die Stadt Essen will das Schulgelände an der Kunstwerkerstraße für Wohnbebauung vermarkten. Jetzt gibt es neue Ideen, aber die Vermarktung ruht.

Interessenten, die das alte Schulgebäude an der Kunstwerkerstraße in Essen-Bergerhausen nutzen wollten, gab es schon einige. Im Sommer 2019 hatte der Rat beschlossen, das Gelände für Wohnbebauung zu vermarkten und dabei einen Investor zu bevorzugen, der das Schulgebäude erhalten will. Jetzt gibt es neue Überlegungen.

Die Stadtwerke planen dort ab Sommer 2022 umfangreiche Kanalarbeiten. Laut Stadtpresseamt kann die Vermarktung des Geländes deshalb nicht wie beabsichtigt 2022, sondern voraussichtlich, abhängig vom Baufortschritt der Stadtwerke, erst 2023 erfolgen.

„Das ist eine Chance für unsere Idee von inklusivem, nachhaltigem Wohnen“, sagt Maria Lüttringhaus. Die 57-Jährige war früher Fraktionsvorsitzende der Grünen in Essen. Als ihre Tochter Emma an Parkinson erkrankte, gründete sie 2017 ein inklusives Wohnprojekt an der Gervinusstraße in Frohnhausen. Emma starb 2020 mit 21 Jahren, im „Lüttring-Haus all inklusive“ leben aber weiterhin neun Menschen mit Behinderung selbstbestimmt in einer Art Wohngemeinschaft. Angebote wie Yoga oder Tanzen sorgen für Kontakte mit den Menschen im Stadtteil.

Auf dem Schulgelände in Essen-Bergerhausen könnte inklusives Wohnen entstehen

Als Maria Lüttringhaus die alte Schule in Bergerhausen das erste Mal sah, war ihr klar: „An der Kunstwerkerstraße könnte eine Art Lüttring-Haus 2 entstehen, also Wohnen für Menschen mit und ohne Behinderung, dazu Gemeinschaftsräume in der alten Schule.“ Auf dem Gelände könnten Mikrohäuser platziert werden, die man wie Legosteine leicht versetzen und bei Bedarf vergrößern oder verkleinern könne. Die Wohnungen sollen klein und günstig sein. Die Tinyhouses würden nur aufgesetzt, statt Flächen dauerhaft zu versiegeln. Solche Mikrohäuser stelle beispielsweise ein Essener Start-up-Unternehmen her.

Das alte Schulgebäude an der Essener Kunstwerkerstraße soll möglichst erhalten bleiben, darin sind sich viele Bürger, Politiker und der Bürgerverein Bergerhausen einig.
Das alte Schulgebäude an der Essener Kunstwerkerstraße soll möglichst erhalten bleiben, darin sind sich viele Bürger, Politiker und der Bürgerverein Bergerhausen einig. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

„In Essen gibt es reichlich Bedarf an Wohnraum für Menschen mit Behinderung“, sagt Maria Lüttringhaus. Sie ist deshalb optimistisch, seitens der Politik Unterstützung für ihre Idee zu bekommen, die sich ihrer Meinung nach für die Stadt durchaus rechnen würde. Wichtig sei ihr und Gleichgesinnten im Verein „Die RaumbotschafterInnen“, der sich in Gründung befinde, dass nicht nur die historische Bausubstanz, sondern auch der alte Baumbestand auf dem Gelände erhalten bleibe.

Lüttringhaus, die auch Inklusionsbeauftragte in der Bezirksvertretung III ist, kann sich auf dem Areal auch einen Gemeinschaftsgarten oder Waldkindergarten vorstellen. Durch die Nähe zu den Siepentälern sei es dort deutlich kühler sei als zum Beispiel im dicht besiedelten Rüttenscheid. „Und im Lüttring-Haus wohnen teils Menschen mit neurologischen Erkrankungen, für die Kühle sehr wichtig ist.“

Kanalarbeiten im Schulbereich sollen im Frühjahr 2023 enden

Bei der Kanalerneuerung im Bereich Kunstwerkerstraße handelt es sich laut Stadtwerke-Sprecher Dirk Pomplun um ein Projekt aus dem Abwasserbeseitigungskonzept der Stadt. Der Kanal von 1949 werde erneuert und gleichzeitig vergrößert. Da es sich um eine größere Baumaßnahme handelt, muss eine europaweite Ausschreibung erfolgen. Die Ausschreibung werde im Januar 2022 durchgeführt, der Baubeginn sei für Juli 2022 geplant.

Für den ersten Bauabschnitt werde man rund zwei Jahre benötigen. Den Bereich der Schule würden die Stadtwerke jedoch deutlich früher passieren. Die Baumaßnahme beginne auf Höhe der Hausnummer 113. Nach rund zehn Monaten werde man sich dann auf Höhe der Straße Schulkirchweg befinden. Damit könnte dann wieder eine Andienung an die Schule erfolgen. Somit wäre der Bereich an der Schule im Frühjahr 2023 wieder frei, wenn das Wetter mitspiele.

Mit ins Boot geholt haben sich die Bürger den pensionierten Leiter der städtischen Bauaufsicht, Hans-Dieter Schmitz. Er betont, dass es sich um einen ergebnisoffenen Prozess handele. Man müsse jetzt Architekten mit der Erstellung eines Konzept beauftragen, mit dem man in der Politik Überzeugungsarbeit leisten könne. „Es gibt nur wenige Grundstücke dieser Art, bei denen die Kommune das Heft in der Hand hält. Deshalb sollte man sich die Chance nicht entgehen lassen, dort einen anderen Weg zu gehen, Umweltaspekte berücksichtigen und etwas für die Gesellschaft Wertvolles planen“, so Schmitz.

Politiker signalisieren Unterstützung für das Projekt des inklusiven Wohnens

Da das Gelände seit vielen Jahren im Dornröschenschlaf liege, sollte man sich laut Schmitz Zeit lassen, um ein Konzept zu entwickeln, das den Erhalt des historischen Schulgebäudes und des alten Baumbestandes zulasse. „Die Stadt braucht Grundstücke für Wohnbebauung. Aber einfach alles niederzuwalzen, wäre keine gute Idee“, sagt Schmitz, der das Projekt aber durchaus als Herausforderung sieht.

Bei der Politik findet die Idee von Maria Lüttringhaus durchaus Gehör. Guntmar Kipphardt (CDU), Vorsitzender des Stadtplanungsausschusses, hält ein solches Konzept für realisierbar, stellt aber die Kostenfrage. Man sei sich zwar parteiübergreifend einig, das alte Schulgebäude in seinem Erscheinungsbild möglichst zu erhalten.

„Ein solches Gebäude zu sanieren, ist aber angesichts des doch sehr begrenzten Raumes sehr aufwendig. Da ist schon einiges an Kapital erforderlich.“ Entweder müsse man einen Mäzen oder einen starken Partner finden. „Da sind noch einige Fragen zu klären“, so Kipphardt, der die Akzeptanz eines solchen Vorhabens in der Bevölkerung für wichtig hält. Auch sein grüner Ratskollege Christoph Kerscht unterstützt solche Überlegungen, sie würden gut zur Nachhaltigkeitsstrategie und damit in die aktuelle politische Linie passen. Ob die Stadt das Grundstück dann verkaufe oder vielleicht in Erbpacht vergebe, müsse sich zeigen.

Als nächster Schritt soll eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben werden

Erst einmal wollen die Akteure jetzt eine Machbarkeitsstudie in Auftrag geben. Einen finanziellen Grundstock bilden die 130.000 Euro, die die Aktion Mensch gerade genehmigt habe. „Es gibt etliche Stiftungen, von denen wir Zuschüsse erhalten könnten“, ist Maria Lüttringhaus auch im Hinblick auf die Umsetzung der Idee optimistisch.

Man wolle nicht als Investor, sondern als Initiator und Projektentwickler antreten. Zeitlich könnte sich Maria Lüttringhaus eine Realisierung bis 2027 vorstellen. „Das würde gut passen, da dann die Internationale Gartenbauausstellung im Ruhrgebiet stattfindet.“ Sie ist überzeugt, dass die Nachbarn, die sich angesichts der geplanten Bebauung vor deutlich mehr Verkehr im Viertel fürchten, inklusives Wohnen begrüßen würden, da Menschen mit neurologischen Einschränkungen oft andere Verkehrsmittel nutzten.