Essen-Frohnhausen. Maria Lüttringhaus ist die neue Inklusionsbeauftragte einer Essener Bezirksvertretung. Bei einem ihrer Projekte sind Legosteine im Spiel.
Barrieren abbauen, sowohl bauliche als solche in den Köpfen der Menschen, das ist das erklärte Ziel von Maria Lüttringhaus. Sie ist die neue Inklusionsbeauftragte der Essener Bezirksvertretung III.
Wohnhaus für Menschen mit Behinderungen gegründet
Dass das Stadtteil-Parlament die 57-Jährige mit dieser Aufgabe betraut hat, ist folgerichtig. Denn die gebürtige Augsburgerin hat vor drei Jahren das Lüttringhaus gegründet, in dem zehn Menschen mit Behinderungen unter einem Dach leben. Ihre im vergangenen Herbst gestorbene Tochter Emma erkrankte in der Kindheit an Parkinson. Seither beschäftigte Maria Lüttringhaus die Frage, wie man ihr und auch anderen Menschen mit Behinderung ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen kann.
Alle, die dann nach der Gründung des Wohnprojektes an der Gerviniusstraße im Jahr 2017 einzogen, hatten vorher in Heimen oder in den eigenen Familien gelebt. Seither haben sie Assistenten an ihrer Seite, die die Menschen in ganz unterschiedlicher Weise begleiten und Aufgaben wahrnehmen. Diese reichen von der Pflege über Begleitung beim Einkauf oder im Haushalt. Die Assistenten, die nicht mit den Betroffenen zusammenleben, stammen aus verschiedenen Berufen, waren Pädagogen oder Mechaniker und kümmern sich nun um Menschen mit Behinderungen. Bezahlt werden sie aus den Kassen der Sozialversicherungen.
Menschen sollen sich auf Augenhöhe begegnen
Wenn die Essenerin sich davor verwahrt, die Kräfte Betreuer zu nennen, dann lässt sie keinen Zweifel daran, worauf es ihr bei Inklusion ankommt. Begegnung mit Behinderten soll auf Augenhöhe geschehen. Betreuen degradiere doch regelrecht die Menschen. Wenn ein solcher Begriff benutzt werde, macht sie denen keinen Vorwurf, die ihn in den Mund nehmen. Der habe sich eingebürgert. Gleichwohl möchte sie, dass sich Bewusstsein verändert und die Leute ihr Denken auf den Prüfstand stellen.
Neben solchen Hindernissen in der Inklusion gebe es aber auch solche, mit denen man es auf Bürgersteigen, an Ladeneingängen oder Haltestellen zu tun habe, erläutert Maria Lüttringhaus. In viele Geschäfte kommen Menschen mit Behinderungen schlichtweg nicht rein, weil eine Stufe oder gar eine Treppe davor ist, sagt sie. Im Lüttringhaus haben Bewohner und Freiwillige eine Reihe von stabilen Rampen aus Lego gebaut, die man in Kürze Händlern anbieten wolle, um Rollstuhlfahrern oder Menschen, die einen Rollator nutzen, einen Zugang zu ermöglichen. Dem Aufruf, Bausteine zu spenden, habe eine so große Resonanz erfahren, dass insgesamt über ein Dutzend Rampen entstanden seien.
Umdenken kann auch zur Entlastung des Gesundheitssystems führen
Erinnerung an die verstorbene Tochter
Emma, die Tochter von Maria Lüttringhaus, die noch eine weitere Tochter (19) und einen Sohn (17) hat, erkrankte in der Kindheit an Parkinson. Um zu vermeiden, dass sie mit zunehmenden Alter in einem Heim landet, gründete die Mutter das Wohnprojekt in Frohnhausen.
Als die Tochter im vergangenen Jahr starb, stand für Maria Lüttringhaus fest, dass sie das Wohnprojekt fortsetze, so habe es Emma auch gewollt.
An die junge Frau erinnern zahlreiche Fotos im Lüttringhaus und im Garten ist ein Beet ihr vorbehalten, auf dem Blumen gepflanzt, Steine oder Muscheln zur Erinnerung an Emma niedergelegt sind.
Emma + Wir: So heißt auch die die Inklusions-Initiative und dabei steht Emma für Eigenständig Mobil Miteinander Aktiv
Bordsteinabsenkungen sind ein weiteres Thema, das sich die Inklusionsbeauftragte vornehmen will. Auch wenn die Kante manchmal nur ein paar Zentimeter hoch sei, „jemand mit Rollator kommt an der Stelle nicht weiter“. Dabei seien Anpassungen auf den Gehwegen durchaus mach- und letztlich auch bezahlbar.
Ob nun Bürgersteige umgemodelt werden, öffentliche Einrichtungen ihre Zugänge umbauen oder der Kaufmann dafür sorgt, dass man barrierefrei in seinen Laden kommt, stehe immer das Motiv im Vordergrund: „Wir tun etwas für Behinderte oder auch für Menschen, die aufgrund ihres Alters unter körperlichen Gebrechen leiden.“ Auch hier kann Maria Lüttringhaus energisch werden. „Das ist doch falsch. Der Händler beispielsweise hat doch einen Nutzen, finden doch jetzt Kunden zu ihm, die ihn vorher nicht erreichen konnten.“ Und wo sich im öffentlichen Raum die Menschen ungehindert bewegen können, „sind in vielen Fällen auch Begleiter überflüssig, da die Leute auch so klar kommen“. Am Ende, so die Essenerin, lassen sich bestimmt auch Kosten im Gesundheitssystem sparen.
Beauftragte scheut keineswegs davor zurück, Benachteiligungen offen anzusprechen
Maria Lüttringhaus, die vor vielen Jahren beruflich nach Essen kam, weil hier ein Schwerpunkt in Stadtteilarbeit bestand und sie das entsprechende Studium mitbrachte, ist in der Kommunalpolitik und in zahlreichen Organisationen eng vernetzt. Sie verfüge über vielerlei Kontakte und verstehe sich auch gut mit vielen politischen Akteuren. Doch es gebe sicherlich auch die Einschätzung, dass sie nervig sein könne. „In der Sache bin ich klar und deutlich und wenn es darum geht beispielsweise Benachteiligungen offen anzusprechen, dann scheue ich keineswegs davor zurück.“
Als einstige Fraktionschefin bei den Grünen kenne sie zudem das politische Geschäft, das mache ihre Aufgabe als Inklusionsbeauftragte sicherlich ein wenig leichter. Beruflich begleitet die Sozial- und Diplompädagogin Städte, Kirchengemeinden und Organisationen in Fragen der Inklusion, der Jugendhilfe oder der Gemeinwesenarbeit.
Schwer fällt es ihr wiederum nachzuvollziehen, wie sich Politik und Verwaltung auf den Standort für das neue Stadtteilbüro in Frohnhausen verständigen konnten. „Da war von vorneherein klar, dass der Eingang nicht barrierefrei sein wird - und trotzdem trifft man eine solche Entscheidung.“ Vor zwei Jahren habe schon einmal ein Angebot für ein Ladenlokal bestanden. „Als man mich um Rat fragte, habe ich auf das dort vorhandene Barriereproblem hingewiesen.“ Damals sei es auch nicht dazu gekommen, jetzt schon. Das Thema lässt ihre keine Ruhe. Man könne beispielsweise einen Aufzug einbauen, dazu Fördermittel beantragen. Maria Lüttringhaus wird nicht locker lassen.
Mit Geduld und Ausdauer zum beruflichen Erfolg
Als Stellvertreterin steht Gülay Acar der Inklusionsbeauftragten Maria Lüttringhaus zur Seite. Die 50-Jährige ist seit ihrer Geburt in der gesamten Motorik und Bewegung sehr stark eingeschränkt. Wie schwierig es mitunter für Menschen mit Behinderung sein kann, die eigenen Talente und Fähigkeiten zur Geltung kommen zu lassen, hat sie selbst erlebt. Am Ende ihrer Hauptschulzeit sollte sie eigentlich in eine Behindertenwerkstatt wechseln. Doch indem sie Lehrer überzeugte und von ihrer Familie unterstützt wurde, gelang es ihr schließlich das Abi zu bestehen. In Köln absolvierte sie ein Psychologiestudium, war später im St. Josef-Hospital in Oberhausen tätig und hat jetzt die Projektleitung der ergänzenden unabhängigen Teilhabeberatungsstelle in Gelsenkirchen inne. In ihrem Beruf eine feste Stelle zu erlangen, habe viel Geduld und Ausdauer erfordert, erzählt Acar.
In der Türkei geboren und kurze Zeit später nach Deutschland gekommen, liegt ihr ganz besonders am Herzen, für ein gegenseitiges Verständnis der Kulturen zu werben.