Essen. 25 Jahre Soziokultur in Essen: Wie aus dem „Experiment Grend“ in Steele eine Erfolgsgeschichte wurde. Jubiläum wird noch von Corona überschattet.

Die große Jubiläumsparty fällt diesmal aus. 25 Jahre Kulturzentrum Grend – das ist nach mehr als anderhaltjähriger Corona-Pandemie eher ein beruhigtes Aufatmen als ein Jubelruf. Das Haus für (fast) alle, das so viele Sparten bedient und unterschiedliche Angebote macht, hat die Krise bislang recht gut überstanden. Das im Grend beheimatete Theater Freudenhaus hat den Spielbetrieb wieder gestartet, Veranstaltungs- und Bildungsangebote sind wieder angelaufen wie die Gastronomie. Überschwänglich gefeiert wird das Bestehen trotzdem nicht. Genutzt wird das Jubiläum bei allem Stolz auf das Erreichte vor allem auch zum Ausblick auf neue Herausforderungen.

Neuausrichtung im Theater Freudenhaus

Nicht nur Corona hat den Prozess der Neuausrichtung in den vergangenen Monaten zwangsläufig angestoßen. Im Steeler Grend haben – wie in vielen anderen soziokulturellen Einrichtungen des Landes – zuletzt einige interne Wechselprozesse eingesetzt. So hat der langjährige Geschäftsführer und Grend-Mitbegründer Johannes Brackmann seinen Posten im Juni 2020 an Gemma Russo-Bierke weitergegeben, die das Haus mitten in der Pandemie übernommen hat.

Die Coronazeit sei unglaublich anstrengend gewesen, habe aber auch Routinen durchbrochen und gezeigt, „dass wir uns mehr trauen können und müssen“, sagt die 40-jährige Geschäftsführerin. Neu ausrichten will sich unter anderem das Theater Freudenhaus. Jene Bühne, die vor 25 Jahren das Genre der Ruhrgebietskomödie populär gemacht hat. Die „Freunde der italienischen Oper“, der legendäre Theater-Scoop von Sigi Domke, ist mittlerweile so alt wie das Grend. Als Heimat der „Mutter aller Ruhrgebietskomödien“ war das Freudenhaus plötzlich auch weit über die Stadtteilgrenzen hinaus bekannt und beliebt.

Das Kultstück im Theater Freudenhaus: Die „Freunde der italienischen Oper“ sorgen seit 25 Jahren für Begeisterung.
Das Kultstück im Theater Freudenhaus: Die „Freunde der italienischen Oper“ sorgen seit 25 Jahren für Begeisterung. © WAZ | Grend

Der Ruhri-Schwank hat über die Jahre noch viele Ableger gehabt. Doch mittlerweile stehen mit „Stillstand“ oder „Ab durch die Mitte“ auch Produktionen auf dem Spielplan, die sich zeitgemäßer und politischer mit Fragen des gesellschaftlichen Zusammenhalts und des erstarkenden Rechtspopulismus beschäftigen. Ein Thema, das nicht zuletzt durch die Aufmärsche der selbst ernannten Bürgerwehr „Steeler Jungs“ und die Schüsse aufs Grend im März 2019 an Brisanz gewonnen hat und Anlass gibt, über die Auswirkungen und Reaktionen der Zivilgesellschaft nachzudenken. Wie das neue Programm angenommen wird, muss sich zeigen. „Wir werden einen langen Atem brauchen“, ahnt Gemma Russo-Bierke, zumal das Publikum generell noch zögerlich ist: „Wir sind immer noch dabei, die Menschen zurückzuholen.“

Als offenes Haus der Begegnung setzt man aber auch in Zukunft vor allem auf den persönlichen Kontakt. Während der Pandemie habe man die Digitalisierung deshalb mit Augenmaß vorangetrieben. „Wir leben nun mal von der ungesteuerten Begegnungen“, sagt Russo-Bierke. Im Grend funktioniere, was im digitalen Raum mit seinen einzelnen Nutzerprofilen eben selten passiere: Dass ganz unterschiedliche Gesellschafts- und Interessengruppen vom Heavy-Metal-Fan bis zum Feldenkrais-Anhänger eine gemeinsame Anlaufstelle haben.

Der Fotograf Dieter Kunst (Mitte) ist einer der Protagonisten des Stadtteilprojekts „Auf der Suche nach der Seele von Steele“. Rainer Besel (re.) vom Theater Freudenhaus und Raphael Batzik (li.) haben ihn beim Kunstspaziergang begleitet.
Der Fotograf Dieter Kunst (Mitte) ist einer der Protagonisten des Stadtteilprojekts „Auf der Suche nach der Seele von Steele“. Rainer Besel (re.) vom Theater Freudenhaus und Raphael Batzik (li.) haben ihn beim Kunstspaziergang begleitet. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Themen wie Diversität, kulturelle Vielfalt und gesellschaftliche Teilhabe dürften im Grend in den kommenden Jahren deshalb noch stärker an Bedeutung gewinnen, die Ausrichtung in die Stadtteile noch weiter forciert werden. Mit dem Projekt „Auf der Suche nach der Seele von Steele“ hat das Theater Freudenhaus schon einmal künstlerisch Neuland vor der eigenen Haustür betreten.

Das Grend und seine Vorgeschichte

Das Jubiläum „25 Jahre Grend“ wird am Freitag, 5. November, mit einem kleinen Festakt und einer Vorstellung von „Freunde der italienischen Oper“ gefeiert. Bis zum 17. November werden verschiedene Theater-Produktionen gezeigt, auch einige Veranstaltungen des Literaturfestival „Literatürk“ sind Bestandteil des Jubiläumsprogramms. Infos und Tickets: www.grend.de

Das Kulturzentrum Grend haben vor 25 Jahren unterschiedliche Akteure wie die „Werkstatt. e.V., das damalige Zimmertheater in Essen e.V. und das Werkstatt-Bildungswerk e.V. auf den Weg gebracht. Um die Sanierung der „Alten Rektoratsschule“ in Steele und deren Finanzierung hatte es zuvor jahrelange Auseinandersetzungen mit der Stadt gegeben.

Das im Frühjahr 2021 gestartete Stadtteil-Projekt wurde durch die Konzeptförderung des Landes NRW möglich. Die auf drei Jahre angelegte und mit 150.000 Euro ausgestattete Förderung soll dabei helfen, „die künstlerisch-kulturelle Ausrichtung zu schärfen, Strukturen zu professionalisieren und neue Formate auszuprobieren“, so das NRW-Kulturministerium. Der städtische Corona-Sonderfonds und „Neustart Kultur“-Mittel des Bundes haben dem Grend ebenfalls durch die Coronakrise geholfen.

Angesichts des seit Jahren extrem auf Kante genähten Etats bleibt die Finanzierung des von der Stadt Essen jährlich mit 243.000 Euro unterstützten Hauses, das sonst etwa die Hälfte des Etats durch Kurse, Eintrittsgelder und Einnahmen des Gästehauses erwirtschaftet, aber weiterhin eine Herausforderung. Das war schon vor 25 Jahren so, als aus der „Alten Rektoratsschule“ nach langjährigen Verhandlungen das Kulturzentrum Grend wurde. Damals ein „Experiment mit offenem Ausgang“, heute eine Erfolgsgeschichte.