Essen. Der Essener Thomas Olbricht zählt zu den bedeutendsten Sammlern Europas. Warum ihm eine Ausstellung im Museum Folkwang besonders viel bedeutet.

Vielleicht sind es die Glückshormone, der Ausstoß von Serotonin beim Kauf eines neuen Kunstwerks, die Thomas Olbricht – von Haus aus Endokrinologe, aber längst einer der bedeutendsten Sammler Europas – antreiben. Vielleicht ist es eine verfeinerte Ausprägung des Jäger-und-Sammler-Prinzips. Vielleicht ist es einfach die Neugier auf die Welt, die Thomas Olbrichts moderne Wunderkammer über Jahre gefüllt hat: Mit feinsten Elfenbein-Statuetten, kostbaren Bergkristall-Prunkschalen oder dem anatomischen Modell eines menschlichen Auges.

Aber auch ein Meteorit aus der namibischen Wüste und ein Korallen-Christus neben dem Goldkreuz von Gerhard Richter gehören zu den unzähligen Objekten, die der Essener Sammler in die Waben des goldenen Kunsthelms gesteckt hat, der schon an sich ein Wunderwerk ist. Bis 2023 beherbergt diese außergewöhnliche Haube des kubanischen Künstlerduos „Los Carpinteros“ nun Werke aus der staunenswerten Sammlung Olbricht. Und schon der Titel der Sammlungspräsentation spricht die Einladung zum Entdecken aus. „...sogar der Fachmann staunt!“

Mit der Mao-Bibel auf den Mond: Das Werk eines zeitgenössischen chinesischen Künstlers ist zwischen gedrechselten Holzpokalen und Elfenbein-Statuetten platziert.
Mit der Mao-Bibel auf den Mond: Das Werk eines zeitgenössischen chinesischen Künstlers ist zwischen gedrechselten Holzpokalen und Elfenbein-Statuetten platziert. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Der Satz nimmt Bezug auf ein ebenfalls ausgestelltes Kunstwerk von Sigmar Polke. Doch das Staunen und Raunen soll auch Prinzip der Ausstellung sein, die „ganz bewusst nicht wie aus dem Lehrbuch gelesen werden soll“, sagt Folkwangs künstlerischer Koordinator Hans-Jürgen Lechtreck. Nicht jedes der rund 200 Exponate, die auch den gesamten Saal füllen, ist also erklärt. Nicht jede Kunst-Wabe weist Herkunft und Bedeutung des kostbaren Inhalts aus. Und erst recht wuchert dieses hervorragende Sammelsurium quer durch die Epochen und Themen nicht mit Namen und imaginären Preisschildern.

Altes und Neues, Leben und Tod, Erhabenes und Profanes werden hier in lustvoller Kunst-Kreuzung mit- und nebeneinander präsentiert. Das wiederentdeckte Prinzip der Wunderkammer – in der Renaissance und im Barock eine Sehenswürdigkeit der adeligen Gesellschaft – kommt der Passion des Universalsammlers Thomas Olbricht dabei entgegen: Dem habilitierten Mediziner und Chemiker, von dem man weiß, dass er Briefmarken so leidenschaftlich sammelt wie Sanduhren und Totenschädel und Modelle von Feuerwehrautos mit dem selben Ehrgeiz zusammenträgt wie sämtliche Editionen des Kunstweltstars Gerhard Richter, die 2017 im Museum Folkwang zu sehen waren.

Kooperationsvereinbarung sichert dem Museum Folkwang Zugriff auf Sammlungsteile zu

In Essen soll ein Teil der immensen Olbricht-Sammlung künftig auch regelmäßig präsent sein. Eine Kooperationsvereinbarung sichert dem Museum in den kommenden Jahren einen Zugriff auf spezifische Bestände zu, Werkgruppen von Polke und Baselitz sollen unter anderem dazugehören. Die Arbeiten wandern zwar nicht fest ins Museum-Depot; sie dürfen über die Zeit der Vereinbarung zwar auch andernorts ausgeliehen, aber nicht veräußert werden, erklärt Folkwang-Chef Peter Gorschlüter.

Auch ein Wabenschatz: „Homo Bulla“ von Paul Hazelton beinhaltet menschliches Haar, Hausstaub, Klebemittel, Goldblatt und Seide samt Glühbirne.
Auch ein Wabenschatz: „Homo Bulla“ von Paul Hazelton beinhaltet menschliches Haar, Hausstaub, Klebemittel, Goldblatt und Seide samt Glühbirne. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Es ist kein Schenkung, aber ein Geschenk an ein Museum, „das mich seit 50 Jahren begeistert“, sagt Thomas Olbricht. Zehn Jahre lang hat der Essener Mediziner, Mit-Erbe der (haar)kunstliebenden Wella-Dynastie, sein privates Museum, den „me Collectors Room“ in Berlin, betrieben. Mit dem Rückzug aus der Hauptstadt 2020 hat Olbricht auch eine Richtungsentscheidung als Kunstmäzen getroffen – zurück ins Ruhrgebiet, nach Essen, wo die Familie seit den 1970er Jahren lebt. Und wo sich das Museum Folkwang nun nicht nur zum 100. Geburtstag im Jahr 2022, sondern auch darüber hinaus wohl auf vielerlei Art über einen derart bedeutenden Unterstützer wie Olbricht freuen dürfte.

Zumal dessen Wunderkammer-Prinzip doch ideal Bezug nimmt auf den Museumsgründer Karl Ernst Osthaus, der ja auch mit einer naturwissenschaftlichen Sammlung begonnen habe, erinnert Museums-Chef Peter Gorschlüter. Gerade auf dessen vielseitiges Interesse nimmt eben auch der 2014 geschaffene Kunsthelm von Los Carpinteros Bezug. Auch dieses eigentlich nur für fünf Jahre in Essen beheimatete Ausstellungs-Objekt hat Olbricht mittlerweile gekauft und dem Haus als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt

Das Fetzentödlein stammt aus dem Nachlass von Modezar Yves Saint Laurent

Die Olbricht Stiftung

Die Präsentation „ . . . sogar der Fachmann staunt!“, Werke aus der Sammlung Olbricht ist bis zum 15. Januar 2023 innerhalb der begehbaren Vitrinenarchitektur Helm/Helmet/Yelmo des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros zu sehen.Die rund 200 gezeigten Wunderkammerobjekte hat der Essener Sammler Thomas Olbricht zusammengetragen. Seine Olbricht Stiftung engagiert sich nicht nur für die Kunst, sondern auch für die kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen. In Essen profitiert davon unter anderem die Bodelschwinghschule.

Staunend steht man also vor diesem Waben-Schatz und vor dem Mann, der die Kunst zu seinem Lebenswerk erklärt hat. Thomas Olbricht kann dabei ebenso leidenschaftlich wie lebendig über die Objekte reden, als wären sie gestern erst in seinen Besitz gelangt. Etwa über das „Fetzentödlein“, eine morbide Skelett-Figur, die er bei einer Nachlass-Auktion von Yves-Saint Laurent gekauft hat. Über den Nautilus-Pokal, den wohl „ganz, ganz wenige Museen“ in dieser Ausfertigung zeigen können. Oder über Kehinde Wileys 2009 entstandenes riesiges Gemälde mit dem „King of Pop“ Michael Jackson hoch zu Roß, im Stile barocker Reiterbildnisse. Vor dem Gemälde hätten damals lauter Paare ein Selfie gemacht haben, „das musste ich haben“.

Einen Teil seiner verzweigten Sammlung hat Olbricht im vergangenen Jahr versteigern lassen, doch die Sammellust ist dem Kunstliebhaber, Jahrgang 1948, nicht vergangen. Am Ende gehe es ja darum, „dieser digitalisierten Flachbildschirmwelt“ etwas Aufregendes, Dreidimensionales entgegensetzen. Für einen wie Thomas Olbricht bleibt die Kunst jedenfalls ein lebenslanges Abenteuer.