Essener Norden. Zwei Contilia-Krankenhäuser dicht. Die Akutversorgung ist weggebrochen, der Schock in Essen sitzt tief. Chronik eines Dramas in zehn Akten.
Die Bombe platze vor einem Jahr: Ende Juni verkündete Klinik-Betreiber Contilia endgültig, dass beide Krankenhäuser im Essener Norden geschlossen werden und machte dann schnell Nägel mit Köpfen. Viele Bewohner der nördlichen Stadtteile sind entsetzt, vor allem, weil zwölf Monate später noch immer keine Akutversorgung vor Ort erkennbar ist. Die Chronik der Katastrophe gliedert sich in zehn Kapitel.
Juni 2020
Entscheidung von Contilia:„Die Häuser werden nicht weiter betrieben“, beschließt der Aufsichtsrat der Contilia GmbH, meint damit das Marienhospital in Altenessen und das St. Vincenz Hospital in Stoppenberg und löst einen Aufschrei aus, der noch nicht verhallt ist. Neubau-Pläne für eine 300 Millionen Euro teure 725-Betten-Klinik im Herzen Altenessens sind geplatzt. Enttäuschung, Trauer, Wut und Fassungslosigkeit macht sich in der Bevölkerung, bei den Mitarbeitenden und der Politik breit.
Juli 2020
Der Protest formiert sich schnell: Mehrere Demonstrationen gegen die Klinikschließungen finden Hunderte Anhänger - die Nord-Süd-Debatte in Essen ist voll entflammt, die Bewohner fürchten eine spürbare Verschlechterung der Gesundheitsversorgung in der Nordhälfte der Stadt. Oberbürgermeister Thomas Kufen beteuert einerseits, den Norden nicht im Stich zu lassen und betont andererseits, dass die Stadt selbst „kein Krankenhaus betreiben“ werde. Das Uniklinikum meldet sich mit der Idee eines „Smart Hospital“-Konzept, das auf Digitalisierung und eine ganz neue Herangehensweise in der Gesundheitsversorgung setzt, sich aber nicht im Schnellschuss umsetzen lässt. In den nächsten Monaten gibt es immer wieder Demos gegen die Krankenhaus-Schließungen.
September 2020
Geburtsabteilung schließt: Die erste Fachabteilung des Marienhospitals schließt. Jetzt bietet kein Essener Krankenhaus nördlich der A40 mehr diesen Service an. 605 Geburten gab es in der Altenessener Klinik im Jahr 2019 noch - etwa zehn Prozent der Essener Geburten.
Oktober 2020
Marienhospital schließt: Die Lichter an der Hospitalstraße sind endgültig aus. Ab dem 1. Oktober werden keine Patienten mehr aufgenommen. Thomas Kufen will sich für ein zukunftsfähiges Konzept für den Standort und die medizinische Versorgung der Bürger einsetzen. Die werden im Zweifel jedoch zu Patienten, die behandelt und operiert werden müssen - das allerdings ab sofort woanders - etwa in Borbeck. Das dortige Philippusstift soll künftig „Herz der stationären medizinischen Versorgung im Norden sein“, heißt es von Seiten der Contilia.
November 2020
Notdienstpraxis schließt: „Da unsere Notdienstpraxen eine Anbindung an den stationären Bereich benötigen, können wir die Einrichtung nicht weiter betreiben“, sagt Frank Bergmann, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.
Dezember 2020
St. Vincenz Krankenhaus schließt: Der Abschied von 134 Jahren Hospital-Geschichte auf dem Stoppenberg, er ist einer auf Raten: Erst ziehen die Fachabteilungen Zug um Zug ins Philippusstift, ab 1. Dezember steuern die Rettungsdienste das Vincenz nicht mehr an, die letzte Operation geht zwischen Weihnachten und Neujahr über die Bühne. Die letzten 15 Patienten werden vor dem Jahreswechsel entlassen.
Seitdem stehen die Bürger im Essener Norden ohne Krankenhaus, Akutversorgung und Notdienstpraxis da.
Februar 2021
Gesundheitsbericht: Zum ersten Mal legt die Stadt einen Gesundheitsbericht vor, der Zahlen und Daten aus dem Gesundheits-Sektor zusammenführt und als Grundlage für Analysen dient. Später beauftragt die Stadtverwaltung das Institut for Health Care Business damit, eine Bedarfsplanung zu erstellen, alle Ideen für eine zukünftige Gesundheitsversorgung im Norden zusammenzutragen und in ein Gesamtkonzept zu gießen. Mit Ergebnissen wird im September gerechnet.
März 2021
Gesundheitskiosk wird vorgestellt: Explizit kein Klinik-Ersatz, aber eine Anlaufstelle für Bürger soll es noch in diesem Jahr mit Gesundheitskiosken in Altenessen und Stoppenberg geben: Dort werden Patienten in Fragen zur Gesundheit und Gesundheitsförderung beraten. Die Bürger werden aktiv und niederschwellig in ihre Behandlung einbezogen und motiviert, Krankheiten frühzeitig vorzubeugen und an Gesundheits- und Versorgungsprogrammen teilzunehmen.
April 2021
Klinik-Begehren startet: Nach juristischem Hin und Her starten Essener den Versuch, die Politik mit einem Bürgerbegehren zur Gründung einer kommunalen Klinik-Gesellschaft zu zwingen. Ersatzweise soll die Stadt als Investor und Betreiber wohnortnahe Klinik-Standorte reaktivieren – oder neu bauen. Martin Schlauch, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses, schätzt, dass bis zum aktuellen Zeitpunkt rund 4000 Unterschriften gesammelt wurden, mindestens 13.400 werden benötigt.
Juni 2021
Zukunftsplanungen werden konkreter: Ein Jahr nach der Schreckens-Nachricht seitens Contilia müssen die Bürger im Norden noch immer für jede Akutversorgung ihren Stadtbezirk verlassen. Gesundheitsdezernent Peter Renzel erklärt in den Bezirksvertretungen unterdessen immer wieder, dass die Verwaltung mit Akteuren der Kassenärztlichen Vereinigung, der Krankenkassen, der niedergelassenen Ärzte, des Uniklinikums und aus verschiedenen anderen Bereichen fieberhaft daran arbeitet, den Bürgern etwas präsentieren zu können. Voraussetzung dafür sind die Ergebnisse des Instituts for Health Care Business.