Essen. Bis Donnerstag dürfen auch die letzten 15 Patienten nach Hause: Dann macht nach dem Marienhospital auch das St. Vincenz in Stoppenberg dicht.
Sie tanzen vor der Tür und im OP-Saal, im Innenhof und auf dem Stationsflur; es tanzen Ärzte und Schwestern, Bürokräfte und Hausmeister, und ja, auch das Lehr-Skelett und der quicklebendige Patient auf dem Operationstisch, der die Defibrillator-Kontakte im Takt schwenkt. Denn dieser südafrikanische Pop-Hit "Jerusalema" verbreitet einfach gute Laune - auch, wenn einem zum Heulen zumute ist wie der Belegschaft des St. Vincenz Krankenhauses in Stoppenberg. Das nahm jetzt per Tanzvideo Abschied vom Haus. Am Donnerstag ist Feierabend.
Viel los ist eh nicht mehr, der Abschied von 134 Jahren Hospital-Geschichte auf dem Stoppenberg, er war einer auf Raten: Erst zogen die Fachabteilungen Zug um Zug ins Borbecker Philippusstift um, ab 1. Dezember steuerten dann die Rettungsdienste das Vincenz im Notfall nicht mehr an, und die letzte Operation ging vor einer Woche über die Bühne. Aktuell werden im Vincenz noch 15 Patienten versorgt, doch auch die, so hieß es am Montag auf Nachfrage, können nach derzeitiger Planung noch vor dem Jahreswechsel nach Hause.
Es gibt Gespräche über die Immobilie - aber noch keine Zusage
Was bleibt, ist eine fast 140-jährige Historie, die 1881 ihren Anfang nahm, als man angesichts der wachsenden Zahl von Unfallverletzten und Lungengeschädigten aus dem Bergbau Pläne für ein Krankenhaus schmiedete. Das wurde dann 1886 eröffnet und immer wieder erweitert.
Zurück bleibt nun eine Immobilie, die Klinikbetreiber Contilia gerne in absehbarer Zeit versilbern möchte. Es gibt Gespräche mit der Stadt, aber eine Zusage, dass diese auch zum Zuge kommt, existiert dem Vernehmen nach nicht. Hätte die Kommune am Ende das Nachsehen, es würde manchen nicht wundern, denn wie so vieles beim Umbau der Krankenhaus-Landschaft durch Contilia erfolgte auch der Rückzug aus Stoppenberg im Streit.
Nach mehreren Strategiewechseln diesmal konsequent durchgezogen
Schließlich hatte die Stadtspitze ausdrücklich auf eine Öffnung über den Jahreswechsel hinaus gesetzt. Doch einmal mehr seien "Fakten geschaffen, bevor es einen adäquaten Ersatz für die Bürgerinnen und Bürger gibt", ließ Oberbürgermeister Thomas Kufen nachlesbar genervt verlauten.
Immerhin: Nach mehreren Strategie-Wechseln - vom einkassierten Neubau eines Mega-Krankenhauses in Altenessen über gehegte und wieder gekippte Verkaufspläne der katholischen Kliniken im Norden bis zur Groß-Investition am Philippusstift in Borbeck - zog die Contilia ihren letzten Kursschwenk im Juni konsequent durch: Das Marienhospital in Altenessen schloss Ende September seine Pforten, St. Vincenz folgt zum Jahresende.
Namensgeber ist der Schutzpatron der Krankenhäuser, ausgerechnet
Dass Letzteres nach dem heiligen Vincenz von Paul benannt wurde, dem Schutzpatron der Krankenhäuser, ausgerechnet, ist nur eine jener bitteren Fußnoten, an die die Belegschaft zum Schluss noch mal erinnert. Dass die Häuser ausgerechnet "in schwerer Pandemie-Zeit" abgewickelt werden, eine andere.
Befürchtungen, andere Standorte und etwa auch das Philippusstift in Borbeck könnte mit dem Zustrom der Patienten überlastet sein, hält man bei Contilia für übertrieben, auch wenn ein Brandbrief von Ärzten genau dies beklagt: "Im Tagesverlauf kann die Zahl der ankommenden Patienten mitunter stark schwanken", lässt der Klinikbetreiber zwar wissen, "dies kann bei der Aufnahme in einigen Fällen leider auch zu Wartezeiten führen".
80 Prozent der Belegschaft in geschlossenen Kliniken blieb bei Contilia
Dies habe aber "nichts mit den grundsätzlichen Versorgungskapazitäten des Hauses zu tun". Das Philippusstift verfüge hinsichtlich der stationären Versorgung der Patientinnen und Patienten vielmehr über "freie Kapazitäten".
Auch die Mitarbeiter glaubt man gut untergebracht. "Wir haben mit fast allen Mitarbeitenden einvernehmliche Lösungen gefunden", betont der Klinikbetreiber, und betont, man habe dabei auch "versucht, die persönlichen Wünsche und Vorstellungen (...) zu berücksichtigen". Rund vier Fünftel der Belegschaft seien nach der Umstrukturierung weiter bei der Contilia-Tochter KKE oder einer anderen Einrichtungen des Gesundheits-Konzerns beschäftigt. Die anderen hätten in anderen Häusern angeheuert.
Dank an die "treuen Patienten" mit einem Tanz, der um die Welt ging
Dass es bei alledem nicht nur um Jobs geht, um Fallzahlen und den allseits gepredigten Betten-Abbau, macht die Belegschaft am Vincenz in ihrem anrührenden Abschiedsvideo deutlich: klatschend, tanzend, mit wenigen Worten. Man bedankt sich bei den treuen Patienten "und allen, die es gut mit dem Krankenhaus und den Menschen gemeint haben" und setzen im Takt munterer Afro-Beats noch ein letztes Mal auf Teamwork.
Sie sind bei weitem nicht die einzigen. Denn nicht nur der Zulu-Song "Jerusalema" erobert die Welt, sondern auch der dazugehörige Tanz-Wettstreit ("Jerusalema dance challenge"), bei dem vor allem Teams aus Kliniken teilnahmen. "Jerusalem ist meine Heimat", heißt es darin, "Schütze mich, Begleite mich, Lass mich hier nicht zurück”.
Ein Trauerzug, ein Tanzschritt noch, ein Absacker, "dann gehn wa"
Und so machen sich einige Unentwegte am Mittwoch um elf noch einmal auf den Weg: Ein Trauerzug vom Rathaus Stoppenberg zum St. Vincenz soll den Protest gegen die Schließung einmal mehr zum Ausdruck bringen. Außerdem setzt man auf eine "Teilrettung" durch das Krankenhaus-Begehren, das mit einer neuen Fragestellung aufwartet.
Die Stoppenberger Belegschaft dagegen scheint abgeschlossen zu haben. Zum Schluss ihres knapp fünfeinhalbminütigen Videos zeigt sie noch ein Transparent: "Schicht im Schacht", heißt es da lakonisch: "Getz nochn Absacka, dann gehn wa".
Denn das Leben geht ja weiter. In Jerusalem. In Stoppenberg. Und anderswo.