Duisburg. Aufregung in einer Zechensiedlung: Die Stadt hat viele Verstöße gegen den Denkmalschutz durch Umbauten festgestellt. Es drohen horrende Kosten.

  • Duisburger Denkmalbehörde beanstandet bauliche Veränderungen in Zechensiedlung
  • Betroffen ist die Arbeitersiedlung in Neumühl: Meist beseitigten Eigentümer Vorgärten
  • Stadtverwaltung setzt Frist bis 1. Dezember 2022 zur Wiederherstellung
  • Auch Wohnungstüren und Fenster, Dächer und Anbauten wurden oft nicht denkmalgerecht ausgebessert
  • Viele Häuser gehören kleinen Eigentümergemeinschaften
  • Verwalterin: Viele Anwohner hätten „riesige, seitenlange Teilungserklärungen“ nicht verstanden
  • Verärgerte Betroffene appellieren an Politik: Kann der Denkmalschutz aufgehoben werden?

Die ganze Zechensiedlung ist in Aufruhr, seitdem die Briefe der städtischen Denkmalbehörde in den Briefkästen lagen. Die Fachleute aus dem Rathaus haben sich die seit 1996 geschützte Arbeitersiedlung rund um den Bergmannsplatz in Duisburg-Neumühl erstmals genauer angesehen und teilweise erhebliche Verstöße ausgemacht. Insbesondere Vorgärten sind unerlaubt verschwunden. Sie wurden asphaltiert, damit dort Autos parken oder Müllboxen stehen können. Die Stadt Duisburg verlangt nun von den Hauseigentümern, den „denkmalgerechten Zustand wiederherzustellen“. Sie setzt eine Frist bis zum 1. Dezember 2022 und droht Ordnungsverfahren an.

Zunächst sind die Behördenschreiben nur an gut zwei Dutzend Familien von der Borussiastraße gegangen. Die Denkmalschützer kündigen darin an, die Verstöße straßenweise abzuarbeiten. „Die Erfassung der Vorgärten ist hier der erste Schritt“, heißt es in den Briefen. Und seither herrscht Unruhe. Die Angst vor hohen Umbaukosten und vor hohen Geldstrafen geht um in der Bergmannssiedlung.

„Es geht um Existenzen“: Alle Zechenhäuser sind wohl von Denkmalschutzverstößen betroffen

„Es geht um Existenzen. Alle haben da natürlich Angst“, sagt Sabine Klüwer, die in dem Wohnquartier sechs Häuser für deren Eigentümer verwaltet. „Fast jeder ist betroffen.“

Zwar gebe es die gepflasterten Vorgärten nur vereinzelt, aber „Wohnungstüren, Fenster, Dächer, Außenrollos“ oder auch Anbauten sind meist nicht denkmalgerecht ausgebessert worden.

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Demnach haben sich viele ihre Häuser über die Jahrzehnte schön gemacht, auch ihre Gärten, denn selbst für Mieter „gelten die Mietverträge auf Lebenszeit“.

„Wir haben alle die Hoffnung, dass die Politiker uns helfen können“, sagt der Neumühler Sascha Salewski. Er hat seinen Vorgarten gegen Müllboxen getauscht – und will nicht gewusst haben, dass der Denkmalschutz das verbietet.
„Wir haben alle die Hoffnung, dass die Politiker uns helfen können“, sagt der Neumühler Sascha Salewski. Er hat seinen Vorgarten gegen Müllboxen getauscht – und will nicht gewusst haben, dass der Denkmalschutz das verbietet. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

Dass Vorgärten verschwinden, sei erst aus Parkplatzmangel in den letzten Jahren modern geworden, weiß Sabine Klüwer. Dass überhaupt unerlaubt Stellplätze angelegt wurden, dafür macht sie vor allem die großen Unternehmen verantwortlich, die beim Hausverkauf die jetzigen Eigentümer nicht aufgeklärt hätten. Schließlich gehe es meist um Arbeiterfamilien, um „einfache Leute“, die teils gar nicht die Vertragswerke ihrer Eigenheime verstehen.

80 Seiten dicke Gestaltungsfibel

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Die Häuser gehörten früher der inzwischen aufgelösten Duisburger Bau- und Verwaltungsgesellschaft. Sie hat an ihre Mieter verkauft und die übrigen Immobilien an die ebenfalls städtische Wohnungsbaugesellschaft Gebag übergeben, die auch an Privatleute verkauft. Viele Häuser gehören jedoch nicht einzelnen Familien, sondern kleinen Eigentümergemeinschaften aus der Nachbarschaft. Diese „riesigen, seitenlangen Teilungserklärungen“, die für Verwalterin Sabine Klüwer zum Tagesgeschäft gehören, hätten längst nicht alle Betroffenen in der Zechensiedlung verstanden.

Tatsächlich haben einige Hauseigentümer wegen der Behördenbriefe überhaupt zum ersten Mal in die fast 80 Seiten dicke Gestaltungsfibel geschaut oder deren Tragweite verstanden. So waren auch Sascha Salewski und seine Frau Bianca geschockt, als die Denkmalbehörde den Vorgarten zurückverlangte und forderte, dass die Müllboxen wieder verschwinden sollen. Beim Hauskauf habe die Gebag ganz bestimmt nicht darauf hingewiesen, dass der Garten erhalten bleiben muss oder dass die Müllboxen verboten sind. Einige Nachbarn hätten die Pflastersteine schon seit fast 30 Jahren vor der Haustür. Dass dies verboten sein könnte, das habe in der Siedlung niemand geahnt. „Wir haben alle die Hoffnung, dass die Politiker uns helfen können“, sagt Salewski.

Lokalpolitiker wollen den betroffenen Hauseigentümern zur Hilfe springen

Diesen Hilferuf hat Ratsherr Karlheinz Hagenbuck vernommen und für sein Wählerbündnis SGU zur Bürgerversammlung aufgerufen. Gut zwei Dutzend Neumühlerinnen und Neumühler sind an die Borussiastraße gekommen. Sie lassen Dampf ab, bei manchen brodelt sogar der Zorn. Doch alle hören zu, wie es weitergehen könnte.

In der Bergmannssiedlung in Duisburg-Neumühl geht bei den Anwohnern die Angst vor hohen Geldstrafen und horrenden Umbaukosten um. Ratsherr Karlheinz Hagenbuck (gelbe Jacke) hat sie spontan zur Bürgerversammlung zusammengetrommelt.
In der Bergmannssiedlung in Duisburg-Neumühl geht bei den Anwohnern die Angst vor hohen Geldstrafen und horrenden Umbaukosten um. Ratsherr Karlheinz Hagenbuck (gelbe Jacke) hat sie spontan zur Bürgerversammlung zusammengetrommelt. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Die Bezirksvertretung hat damals entschieden, welche Häuser unter Denkmalschutz kommen. Dann kann sie auch beschließen, die Siedlung aus dem Denkmalschutz wieder herauszunehmen“, ruft Hagenbuck in die Menge und erzählt, dass der Denkmalschutz eigentlich nur ein politischer Kniff war, um die gegen 1900 erbauten Zechenhäuser vor dem Abriss zu schützen.

Diese Idee war in den 70er-Jahren aufgekommen. Geplant gewesen sei eine Hochhaussiedlung wie der Hagenshof, der City-Wohnpark oder die Weißen Riesen.

Den Schutz für die Häuser wolle Hagenbuck aufheben lassen, damit endlich Energiesparmaßnahmen an den Gebäuden erlaubt seien, von Dämmungen bis zu Photovoltaikanlagen. Dann müssten auch die verschwundenen Gärten nicht wieder zum Blühen gebracht werden. Ein entsprechender Antrag liegt der Hamborner Bezirksvertretung bereits vor.

„Die Rechtslage ist eindeutig“: Hoffen auf Kulanz und Augenmaß

Derweil setzt sich Bezirksbürgermeisterin Martina Herrmann (SPD) bei der Denkmalbehörde dafür ein, dass die Frist zunächst verlängert wird. Denn sie hält es für illusorisch, dass bis Dezember auch nur ein Vorgarten umgebaut werden kann. Denn selbst wenn Hauseigentümer in der aktuellen Energiekrise und Inflation das nötige Geld für einen Landschaftsgärtner hätten, sei so schnell wohl kein Termin zu bekommen. „Ich möchte für alle eine finanzierbare Lösung“, so Herrmann weiter. Sie kündigt entsprechende Prüfanträge an.

Die kurze Frist bis Dezember hält auch SPD-Bezirksvertreter Christoph Hagenacker für „eine Frechheit“. Er habe Verständnis für die Wut, die den anwesenden Lokalpolitikern bei der spontanen Bürgerversammlung in der Borussiastraße entgegenschlägt.

Die Zechenhäuser in Duisburg-Neumühl sind zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Viele Familien haben sie inzwischen als Eigenheim gekauft oder haben darin ein lebenslanges Mietrecht (Archivbild).
Die Zechenhäuser in Duisburg-Neumühl sind zum Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden. Viele Familien haben sie inzwischen als Eigenheim gekauft oder haben darin ein lebenslanges Mietrecht (Archivbild). © Funke Foto Services | Udo Milbret

Zumal die Stadt selbst sich mit örtlichen Projekten deutlich Zeit lasse. So arbeitet die Verwaltung längst an einem Alleenkonzept und soll darauf aufbauend auch ein Baumkonzept für die denkmalgeschützte Siedlung erstellen.

Schon lange beschweren sich Anwohner über wuchernde Wurzeln, die die Bürgersteige anheben und das Wasser aus den Gärten ziehen. Zudem verkümmern ihre Blumen im Baumschatten, berichten einige Hauseigentümer. Der Grund für Pflastersteine sei also mitnichten nur Parkplatzmangel, sondern auch die Untätigkeit im Rathaus. Denn ohne die Konzepte dürfen keine wuchernden Bäume gefällt werden.

„Die Rechtslage ist eindeutig“, ordnet der SPD-Ratsherr Sebastian Haak im Gespräch mit der Redaktion ein. Dass der Denkmalschutz einfach aufgehoben werden kann, wie es die Fraktion Linke/SGU nun fordert, bezweifeln die Sozialdemokraten allerdings. Dagegen fordert Haak, die angemahnte Frist solange auszusetzen, bis das Baumkonzept fertig ist. Erst dann sei klar, welche Bäume gefällt werden und wie sich anschließend die Gärten vor den Zechenhäusern bestmöglich bepflanzen lassen. Er erwarte von der Denkmalbehörde, dass sie „mit Augenmaß auf die Siedlung schaut“, zudem sieht er den Ortscharakter nicht gefährdet, weil ungenehmigt „Kunststofffenster statt Holzfenster“ eingebaut sind. Mit dieser Meinung steht er nicht allein.

Derart beseitigte Vorgärten sind laut Denkmalschutz in der Zechensiedlung Bergmannsplatz in Neumühl verboten.
Derart beseitigte Vorgärten sind laut Denkmalschutz in der Zechensiedlung Bergmannsplatz in Neumühl verboten. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Gartenstadtcharakter“: Stadt Duisburg pocht auf den Denkmalschutz

Konkret gestellte Fragen zu der Angelegenheit beantwortet die Stadt Duisburg der Redaktion nicht. Jedoch teilt Stadtsprecherin Anja Kopka unter anderem mit, dass beabsichtigt sei, „miteinander Lösungen für die Wiederbegrünung der gepflasterten Vorgärten zu finden, weswegen nun das Gespräch mit den Eigentümern gesucht wird“. Das Quartier sei aber als „Arbeitersiedlung von außergewöhnlicher Qualität mit Gartenstadtcharakter“ und für die Geschichte der Stadt und von Haniel wichtig.

Zwar haben die Hauseigentümer die Hoffnung, dass schnell Gras über die Angelegenheit der gepflasterten Gärten wächst. Aber damit ist aktuell nicht zu rechnen.

>> DER GEBAG GEHÖREN RUND 80 IMMOBILIEN IN DER ARBEITERSIEDLUNG

  • Der städtischen Gebag gehören nach eigenen Angaben noch rund 80 Immobilien in der denkmalgeschützten Neumühler Siedlung.
  • Einige wenige Mieter haben demnach angefragt, ob sie ihre Vorgärten versiegeln dürfen. Das habe die Gebag aber nicht gestattet. „Unseres Wissens nach sind also keine Gebag-Objekte von etwaigen denkmalrechtlichen Verstößen betroffen“, so eine Sprecherin.

>> DENKMALGESCHÜTZTE SIEDLUNGEN IN DUISBURG

  • Als der Bergbau zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Ruhrgebiet expandierte, wurden Bergarbeitersiedlungen gebaut, um den angeworbenen Arbeitern aus den Niederlanden, Schlesien und Österreich-Ungarn Unterkünfte bieten zu können.
  • In Duisburg wurde 1903 rund um die Zeche Rheinpreußen eine Bergarbeitersiedlung erbaut. Die Siedlung Rheinpreußen liegt heute im Duisburger Stadtteil Hochheide (Bezirk Homberg). Heute sind die Bewohner der denkmalgeschützten Siedlung Eigentümer. Die Siedlung ist Teil der Route der Industriekultur.
  • Weitere (teilweise) denkmalgeschützte Siedlungen in Duisburg: Siedlung Bissingheim, Eisenbahner-Siedlung Wedau, Schulz-Knaudt-Straße und Umgebung in Hüttenheim, Margarethensiedlung in Rheinhausen-Hochemmerich, das Dorf Friemersheim, das Dichterviertel in Hamborn.
  • Die Stadt gibt auf https://bauauskunft.duisburg.de Auskunft dazu, welche Straßen und Häuser in Duisburg unter Denkmalschutz stehen.