Duisburg-Meiderich. Künstlerin Claudia Thoelen fotografierte in den 80ern den Hagenshof in Meiderich samt Bewohner. Die Bilder sind beeindruckende Zeitzeugnisse.
Der Duisburger Hagenshof in Meiderich, eine Plattenbausiedlung, genießt einen zweifelhaften Ruf – und ist doch ein Zeitdokument, wurden in den 70er Jahren doch deutschlandweit Wohnbunker dieser Art aus dem Boden gestampft. Das Leben in den, damals neuen, Wohnhäusern hat 1983 bis 1984 die Fotografin Claudia Thoelen festgehalten. Auf den schwarz-weißen, unspektakulären Alltagsbildern tobt das wilde Leben – auch wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht. Jetzt sind die Bilder bei der Internetgalerie „Pixelprojekt Ruhrgebiet“ ausgestellt, und Claudia Thoelen erzählt von ihrer Arbeit am Hagenshof – und von Begegnungen mit einer gewaltbereiten Bande.
Duisburger Hagenshof: „Soziale Distanz und Anonymität“
Geboren wurde Claudia Thoelen 1958 in Essen, gelebt hat sie lange in Mülheim, mittlerweile wohnt sie in Hamburg. Während ihres Fotografiestudiums an der Folkwang-Hochschule (damals: Gesamthochschule Essen) gab sie einen Fotokurs in Meiderich – und bekam den Tipp, doch mal mit der Kamera am Hagenshof vorbeizuschauen. „Diese großen Wohnanlagen sind damals viel diskutiert worden“, erinnert sich die Künstlerin, „da ging es vor allem um die Anonymität und die soziale Distanz in den Wohnblöcken.“
Am Hagenshof fiel ihr vor allem die fehlende Infrastruktur auf, „es gab kein einziges Geschäft in der Nähe“. Zunächst sei sie nur „herumflaniert“, schon bald ergab sich aber ein Kontakt zum Bürgerhaus in der Siedlung. „Dann habe ich viel Zeit investiert, das Leben dort zu begleiten. Die Menschen waren ja im Prozess, sich dort ihre eigenen Oasen einzurichten.“ Im Zuge der der Arbeit darf Thoelen auch in einige Wohnungen hinein – und fotografiert zum Beispiel eine Dame in ihrem spartanischen Schlafzimmer. „Deren Tochter hat sich kürzlich gemeldet, sie hat sich und ihren Bruder auch selbst auf den Fotos wiedergefunden“, freut sich die Fotografin.
Schlägergruppe rückte Fotografin auf die Pelle
Die freundschaftliche Koexistenz der Künstlerin mit den engagierten Hagenshof-Bewohnern, „die in vielen nachbarschaftlichen Clubs aktiv waren“, wird aber jäh unterbrochen. Eine „gefährliche Gruppe“, näher möchte Thoelen die Männer nicht beschreiben, habe äußerste Gewaltbereitschaft gezeigt. „Das war schon sehr bedrohlich“, erinnert sich die Künstlerin heute.
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Die Fotos sind trotzdem echte Hingucker geworden – im künstlerischen wie im dokumentarischen Sinne. Die unwirkliche, beinahe nihilistische Landschaft und Architektur beißt sich sehr spannend mit dem nahezu lächerlich weltlichen Alltag der Duisburger. Sonnen im Bikini direkt vor hunderten Wohnungsfenstern, verranzte Hauseingänge mit Kinderbildern, geschmacklich fragwürdige Inneneinrichtung oder eine Hochzeitsfeier auf dem staubigen Acker vor dem Clubhaus – selten gab es einen so direkten und unspektakulär-aufsehenerregenden Blick in den Alltag vor 40 Jahren. Es mag romantische Vergangenheitsverklärung sein: Aber die scheinbare Einfachheit der Zeit entfaltet eine fast tröstende Wirkung.
Hagenshof bescherte Claudia Thoelen ihr erstes verkauftes Werk
In den 80er Jahren allerdings erkämpfte sich die Fotografie gerade erst das Prädikat „Kunst“. „Es gab eine Abkehr von der Magazinfotografie, die Fotografen konnten mit ihren Bildern dort nicht das erreichen, was sie wollten“, erinnert sich Claudia Thoelen, neue Herangehensweisen an die fotografische Arbeit nahmen Fahrt auf. „Ich habe mich sehr von dem 2014 verstorbenen Fotografen Michael Schmidt beeinflussen lassen“, erklärt Thoelen ihren künstlerischen Ansatz.
Zu ihrer Hagenshof-Fotoserie gab es Mitte der 80er Jahre übrigens auch eine Ausstellung – natürlich im Bürgerhaus Hagenshof. „Die Menschen haben sich sehr gefreut, damals“, sagt Thoelen, „in diesem benachteiligten Milieu fühlten sie sich dadurch aufgewertet, dass die ausgestellt wurden, dass sie jemand beachtet hat.“ Passenderweise war es auch die Hagenshof-Ausstellung, die der Künstlerin eine Premiere bescherte – ihr erstes verkauftes Foto.
>> Mehr über das Werk von Claudia Thoelen
• Die Hagenshof-Bilder von Claudia Thoelen gibt es auf pixelprojekt-ruhrgebiet.de zu sehen. Dort ist auch ihre zweite Bilderserie für das Projekt ausgestellt: „Da Silva – Eine portugiesische Migrantenfamilie, 1982“.
• Mehr von und über Claudia Thoelen gibt es auf ihrer Homepage alzheimer-ausstellung.de – inklusive Kontakt zur Künstlerin und Übersicht ihres Œuvre.