Duisburg. An der Rheinklinik ist ein neues Quartier geplant. Nachbarn befürchten eine Katastrophe für Beeckerwerth – manche denken sogar schon an Wegzug.

Von der großen Neubausiedlung mit Rheinblick, die mit 300 neuen Wohnungen hinterm Deich entstehen soll, verspricht sich die Stadt Duisburg einen Gewinn für Beeckerwerth. Stadtplanerin Merle Möhlenbeck sieht darin „ein sehr willkommenes Projekt, das zu einer Aufwertung des Stadtteils führen wird und zu einem anderen Blickwinkel auf Beeckerwerth“, wie sie bereits im vergangenen Sommer einordnete.

Die Nachbarn des großen Baugrundstücks, auf dem derzeit noch die Rheinklinik steht, befürchten angesichts des Mammutprojekts, das derzeit bis 2030 angelegt ist, eine jahrelange Dauerbaustelle. Und wegen der schieren Größe des geplanten Wohnquartiers eine Katastrophe für das kleine Beeckerwerth mit seinen knapp 3700 Einwohnern (Stand: 2021).

Wohnquartier Deichhöfe: Wie viel Dreck, Lärm, Verkehrschaos erwartet die Nachbarschaft?

Die Rheinklinik in Duisburg-Beeckerwerth soll für die geplante Neubausiedlung abgerissen werden.
Die Rheinklinik in Duisburg-Beeckerwerth soll für die geplante Neubausiedlung abgerissen werden. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

„Wie viel Lärm und wie viel Dreck müssen wir wie lange ertragen?“, greift Anwohnerin Martina Hielscher nur ein paar Fragen derjenigen Beeckerwerther auf, die wie sie selbst an der Ahrstraße, gegenüber der Rheinklinik, leben. Zudem befürchtet sie ein Verkehrschaos – und das nicht nur während der jahrelangen Bauarbeiten. „Wenn die A 42 zu ist, steht hier jetzt schon stundenlang der Verkehr vor meinem Balkon“, sagt die 57-Jährige. Wie soll das erst werden, wenn Lastwagen Baumaterial liefern und bestimmt die schmale Ahrstraße verstopfen? Oder später, wenn im Wohnquartier rund 1000 zusätzliche Menschen mit vielleicht 500 Autos leben?

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„Hier in Duisburg müssen Wohnungen gebaut werden, das ist uns allen klar“, ergänzt Nachbarin Ute Wipperfürth. Bislang seien jedoch seitens des Investors und der Stadtverwaltung zu wenige Informationen über das Projekt Deichhöfe bekanntgegeben worden. Solch ein „Riesenbauprojekt“, finden die beiden Beeckerwertherinnen, verdiene eine offizielle Bürgerveranstaltung. „Denn viele Leute lesen keine Zeitung und haben davon noch gar nichts mitbekommen“, weiß Wipperfürth. „Auch nicht, dass die Rheinklinik abgerissen wird.“

Stadt Duisburg sieht zu viele Fragen ungeklärt für Info-Veranstaltung

Aktuell sei es für eine solche Informationsveranstaltung noch zu früh, sagt die Stadt auf Anfrage. Tatsächlich gibt es noch viele offene Fragen zu dem Quartier. So hat demnach die ausstehende Deichsanierung, für die nicht die Stadt zuständig ist, entscheidenden Einfluss auf die Neubausiedlung im Deichhinterland. So muss etwa die Sanierungsart geklärt werden, aus der sich die Schutzzonen ergeben. Diese setzt der Planfeststellungsbeschluss für die bis 2030 vorgesehene Deichsanierung fest, für den zuvor alle Details konkret geklärt werden.

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Auswirkungen auf das Wohnbauprojekt hat zusätzlich der Bebauungsplan, der derzeit im Rathaus erarbeitet wird. Die Bezirksvertretung fordert dabei Mitspracherecht und will etwa eine Quote für Sozialwohnungen von 30 Prozent durchsetzen. Ebenso eine Bebauung nach modernstem Standard, begrünte Dächer und Fassaden.

Alte Bäume müssen wohl den Wohnhäusern weichen

Den Naturschutz findet dagegen Anwohnerin Karin Höppner auch in diesen politischen Forderungen deutlich zu wenig berücksichtigt. Zumal auf dem Baugebiet für die Neubauten ein gutes Dutzend Bäume gefällt werden müssten. „Diese alten Bäume sind über hundert Jahre alt, sie wurden vor dem Ersten Weltkrieg gepflanzt. Die lassen sich nie wieder ersetzen.“ Ihr Verlust müsse also möglichst verhindert werden, auch wegen der Tiere.

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    Jedoch nicht nur wegen einer jahrelangen Dauerbaustelle, einem Verkehrskollaps oder wegen Baumkahlschlag sorgen sich die Beeckerwerther, auch wie sich der „dörfliche Charakter“ im Stadtteil später durch den großen Zuzug verändern wird.

    Junge und ältere Menschen, Singles und Paare sind wohl die Hauptzielgruppe für die Mietwohnungen mit zwei, drei oder vier Zimmern. Doch sind es Nachbarn, die sich für das Miteinander im Stadtteil interessieren, sich am Gemeinschaftsleben beteiligen? Oder wird das Quartier „ein Dorf im Dorf?“ Das würde man gern wissen.

    Infrastruktur im kleinen Beeckerwerth ist nicht auf großen Zuzug vorbereitet

    Zudem mahnen die drei Einwohnerinnen an, dass die aktuelle Infrastruktur nicht für bis zu 1000 neue Menschen ausgelegt ist. Wird darauf nicht reagiert, drohe eine Katastrophe für den Ort. „Wir haben hier nur noch einen Netto, einen Getränkeladen, einen Arzt, eine kleine Altentagesstätte. Für die Jugend gibt’s hier nichts“, sagt Martina Hielscher. Ein Drogeriemarkt fehlt, auch die Sparkasse hat geschlossen und schickt nur noch einen Bus in den Stadtteil. Dagegen ist die beliebte Busverbindung nach Meiderich, ins Herz des Bezirks, seit 2019 gekappt und ältere Menschen dadurch abgehängt.

    Das ehemalige Schwesternwohnheim der Rheinklinik bleibt erhalten. Der Investor will es vor der Neuvermietung sanieren.
    Das ehemalige Schwesternwohnheim der Rheinklinik bleibt erhalten. Der Investor will es vor der Neuvermietung sanieren. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

    Diese Standortdefizite sehen auch die Bezirksvertreter und fordern neben einer besseren Verkehrsinfrastruktur auch besseren Einzelhandel und Angebote für die Jugend. Für die Bauphase soll zudem geprüft werden, ob die Baumaterialien tatsächlich hauptsächlich gut zehn Jahre lang per Lkw transportiert werden müssen. Vielmehr sollten Schiffe auf dem Rhein eingesetzt werden.

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    Dass ihre Anliegen gehört werden, freut die Menschen von der Ahrstraße. Dennoch wünschen sie sich belastbare Informationen. „Die meisten hier wollen nicht Jahre lang mit lautem Lärm und dickem Dreck leben“, erläutert Hielscher. Daher bittet sie den Investor und die Stadt schnellstmöglich alle Fakten auf den Tisch zu legen – zumal einige Nachbarn wegen der Dauerbaustelle schon mit einem Wegzug liebäugeln.

    Der gerade erarbeitete Bebauungsplan sieht, bevor er gültig wird, auch eine frühzeitige Bürgerbeteiligung vor, erklärt ein Stadtsprecher. Nur müssen vorher alle Rahmenbedingungen klar sein, darunter auch die Deichsanierung. Diese offenen Fragen sind jedoch noch längst nicht geklärt.

    >> DAS WOHNQUARTIER HINTERM RHEINDEICH IST UMSTRITTEN

    Das geplante Wohnquartier hinterm Rheindeich ist umstritten. So verweisen einige Duisburgerinnen und Duisburger auf den Hochwasserschutz. Schon jetzt stehe Wasser bei Starkregen oder Hochwasser in vielen Beeckerwerther Kellern.

    Tatsächlich habe die Stadt nach der NRW-Flutkatastrophe 2021 die Pläne für eine Prüfung des Hochwasserschutzes vorgezogen und sehe „bislang keine unüberwindbaren Hindernisse“ für eine Bebauung, sagt ein Stadtsprecher und verspricht: „Wir werden das Thema Hochwasserschutz aber auch im weiteren Verfahren immer wieder intensiv prüfen.“

    Der neue Investor, die DAF-Gruppe (Deutsches Finanzkontor), hat den Zeitplan für das Wohnquartier geändert, weil er auf Details der Deichsanierung wartet. Das Projekt ist in sechs Bauabschnitte bis 2030 angelegt, ursprünglich sollten 2022 bereits zwei von 18 geplanten Neubauten begonnen werden. Stattdessen will die DAF-Gruppe die Sanierung des ehemaligen Schwesternheims vorziehen und zieht es dafür gerade leer.

    Der Abriss der Rheinklinik ist für 2026 vorgesehen.