Duisburg-Beeckerwerth. Der Nahverkehr ist Mist, der Supermarkt klein, Kirchen und Kneipen geschlossen. Senioren sind in Beeckerwerth abgehängt. Was sich ändern muss.

Ans Wegziehen will Rosemarie Krafzik gar nicht denken. Dafür schwärmt die 83-Jährige viel zu sehr von ihrer Heimat Beeckerwerth, in der sie schon als Kind lebte. Ein „richtiger Urlaubsort“ sei der Stadtteil mit dem Rheindamm und der ebenfalls schönen Spazierstrecke an der Vogelwiese. Doch für Senioren gebe es kaum Angebote, die gesamte Infrastruktur sei auf Jüngere ausgelegt. „Beeckerwerth ist ideal für junge Familien mit Kindern“, räumt Krafzik ein. Die Älteren aber seien längst auf der Strecke geblieben – und die größte Schuld daran gibt sie der Stadt Duisburg und deren Töchtern.

Beeckerwerth im Stadtteil-Check- „Das grünste Fleckchen“ Was ist das größte Problem in dem kleinem Ortsteil? Da müssen Rosemarie Kraftzik und andere betroffene Seniorinnen wie Doris Kulp, Helga Nikolajczak und Edeltraud Tritschoks nicht überlegen. „Ohne Führerschein hängt man hier tot überm Zaun“, zitieren sie ihren Nachbarn Oliver Wolters über die Ergebnisse des Stadtteil-Checks. Besonders stark leidet die Lebensqualität der älteren Menschen, seit die Duisburger Verkehrsgesellschaft (DVG) und der Stadtrat die direkte Busverbindung nach Meiderich gekappt haben.

Ältere Menschen sind ohne Auto aufgeschmissen

Trotz Protesten, auch aus dem benachbarten Laar, änderte sich auch nichts, als die DVG später den neuen Nahverkehrsplan nachbesserte. Die Direktverbindung gab es nicht zurück und darunter leiden neben Jugendlichen vor allem die Älteren. Der aktuelle Fahrplan bedeutet einen Einschnitt in viele ihrer Lebensbereiche, vom Einkaufen bis zum Seelenheil. Beide großen christlichen Kirchen feiern unabhängig von der Corona-Pandemie keine Gottesdienste mehr in Beeckerwerth.

„Wir sind aufs Auto angewiesen“, bestätigt Doris Kulp (69), die ihren eingemotteten Wagen wieder nutzt, nachdem sie in Meiderich an der Basarstraße einkaufen wollte und dafür in Ruhrort umsteigen musste. Den Anschluss könnten Fahrgäste kaum schaffen, es sei denn sie seien „Dauerläufer“.

Für Senioren hat sich der Nahverkehr in Duisburg-Beeck verschlechtert. Dass die Direktverbindung nach Meiderich weggefallen ist, spüren ältere Menschen in ganz vielen Lebensbereichen.
Für Senioren hat sich der Nahverkehr in Duisburg-Beeck verschlechtert. Dass die Direktverbindung nach Meiderich weggefallen ist, spüren ältere Menschen in ganz vielen Lebensbereichen. © FUNKE Foto Services | Oliver Müller

Zuhause beim nahe gelegenen Netto kaufen, kommt für die vier Beeckerwertherinnen nicht infrage. Das kleine Sortiment sei nicht mit dem der anderen Ketten vergleichbar und überhaupt nicht auf Senioren ausgeleget.

Vielmehr, so wollen es Rosemarie Krafzik und ihre Bekannten bemerkt haben, habe sich das örtliche Angebot an den vielen türkischstämmigen Familien in Beeckerwerth ausgerichtet. Sie essen, ergänzen die Damen, zwar auch gerne orientalische Lebensmittel wie Fladenbrot und würzen mit Kreuzkümmel, aber sie kaufen lieber dort ein, wo sie auch Gabelspaghetti bekommen, viel frisches Gemüse oder an einer Fleischtheke kleine Portionen Aufschnitt.

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Dass man nicht mehr vernünftig einkaufen kann, hat für Helga Nikolajczak (79) auch damit zu tun, dass Duisburg-Kontor den Wochenmarkt eingestampft hat. Jedoch wissen die Seniorinnen, dass der letzte Markthändler aufgab, als die Standgebühren höher waren als seine Einnahmen. „Der Markt ist einfach zu teuer, viele haben nur eine kleine Rente“, bedauert Nikolajczak.

Einziger Treffpunkt: Die Seniorentagesstätte soll bald wieder öffnen

Für den Markt wird es also zunächst keine Lösung geben. Auch eine Post oder Gaststätte fehlen. Die Vereinskneipe, die der Karnevalsverein für seine Stammtische öffnet, ist für Ältere zu weit von der Bushaltestelle weg Der letzte Friseur hat ebenfalls aufgegeben. Lediglich junge Frauen können sich noch zu besonderen Anlässen wie Hochzeit oder Abiball wunderschön stylen lassen.

Für ein anderes Problem zeichnet sich hingegen eine Lösung ab. „Die Begegnungsstätte ist die einzige Anlaufstelle, die es hier für Senioren gibt, sie ist unser Zuhause“, sagt Rosemarie Krafzik, die das Zentrum schon seit vielen Jahren ehrenamtlich mit Doris Kulp und Edeltraud Tritschoks für die Pfarrei St. Michael betreibt. Wegen Corona ist es seit langem geschlossen, öffnet aber voraussichtlich wieder im September. Neu geplant sind dann einmal im Monat ökumenische Nachmittage mit Singen und Beten. Am meisten vermissen die gut 15 Stammgäste aber das gemeinsame Kaffeetrinken mit Kuchen.

Die derzeit geschlossene Begegnungsstätte für Senioren wollen Edeltraud Tritschoks und die übrigen Ehrenamtler ab September nach langer Corona-Zwangspause wieder öffnen. Sie ist der einzige verbliebene Treffpunkt für ältere Menschen in Duisburg-Beeckerwerth.
Die derzeit geschlossene Begegnungsstätte für Senioren wollen Edeltraud Tritschoks und die übrigen Ehrenamtler ab September nach langer Corona-Zwangspause wieder öffnen. Sie ist der einzige verbliebene Treffpunkt für ältere Menschen in Duisburg-Beeckerwerth. © FUNKE Foto Services | Michael Dahlke

„Wenn die Begegnungsstätte endlich wieder öffnet, würden sich alle Leute drüber freuen, die haben alle Verlangen danach“, sagt Stammgast Helga Nikolajczak. Regelrecht jubeln würden die Älteren hingegen, wenn endlich die Busse nach Meiderich wieder durchfahren, da sind sich alle vier Seniorinnen einig. Die Situation verändern würde aber auch schon ein gutsortierter Lebensmittelhandel mit Frischfleischtheke.

Demo vorm Rathaus mit Rollatoren und Transparenten ist nicht möglich

Rosemarie Krafzik hofft, dass diese Veränderungen aus dem Stadtteil heraus angestoßen werden können, vielleicht mit einem wiederbelebten Runden Tisch. „Was sollen wir denn sonst machen? Für eine Demo mit Transparenten und Rollatoren vors Rathaus ziehen?“

>> DER SCHLECHTE NAHVERKEHR BERÜHRT VIELE LEBENSBEREICHE

● Beeckerwerther, die sonntags einen Gottesdienst besuchen möchten, müssen zur katholischen Pfarrkirche St. Michael nach Meiderich oder zur evangelischen Kirche am Beecker Denkmal. Das nehmen viele Senioren nicht auf sich, weiß Edeltraud Tritschoks, weil der Nahverkehr so getaktet ist, dass man lange unterwegs ist, zu früh ankommt und nach der Messe lange auf den Bus warten muss. Daher schaue sie inzwischen Fernsehgottesdienste.

● Nach Ruhrort oder Beeck fahren inzwischen auch viele Ältere mit dem Bus, wenn sie Geld vom Konto abheben wollen. In Beeckerwerth gibt es keine Bankfiliale mehr und der Sparkassenbus kommt nur zweimal pro Woche für jeweils eine Stunde.