Essen. . Thyssen-Krupp macht die Zukunft des Stahlstandorts Duisburg abhängig von den politischen Entscheidungen zur Ökostrom-Förderung. Es hänge viel „vom Umfeld und den politischen Weichenstellungen ab“, sagt Konzernchef Heinrich Hiesinger. Ein Interview mit dem kompletten Thyssen-Krupp-Vorstand.
Es ist ungewöhnlich, dass sich ein kompletter Vorstand zum Interview bereiterklärt. Allerdings sind die Führungsgremien der Konzerne auch selten so klein wie im Fall Thyssen-Krupp. Die Themenpalette indes ist groß: Stellenabbau, milliardenschwere Fehlinvestitionen im Ausland, Sorgen um den Stahlstandort Duisburg. Es gab viele Themen, über die zu reden war. Mit Vorstandschef Heinrich Hiesinger, Finanzvorstand Guido Kerkhoff und Personalchef Oliver Burkhard sprachen Ulrich Reitz, Thomas Wels, Ulf Meinke.
Sie Drei halten den Minimal-Rekord für den kleinsten Vorstand eines Dax-Konzerns, neben Beiersdorf und Infineon. Ist das nicht ein wenig riskant mit so wenigen Leuten an der Spitze, gerade in der größten Unternehmenskrise?
Heinrich Hiesinger: Es war nicht geplant, dass wir die Zahl der Vorstandsmitglieder von sechs auf drei halbieren. Aber es hilft uns in der jetzigen Situation, denn es schafft Akzeptanz, wenn wir das Signal aussenden: Auch an der Spitze wird gespart.
Aber Sie können nicht doppelt so viel arbeiten.
Hiesinger: Klar ist, dass die Führungsebene direkt unterhalb des Konzernvorstands mehr Verantwortung übernehmen muss. Das ist eine große Chance für das Führungsteam.
In jedem Vorstand gibt es Intrigen. Das lehrt die Erfahrung. In einer so kleinen Gruppe können Sie sich aber Intrigen überhaupt nicht leisten.
Hiesinger: Ist doch gut so. Aber so manche Konzernkarriere hat mit einer Intrige begonnen. Wollen Sie wirklich sagen, Sie seien so etwas wie die drei Musketiere? Einer für alle, alle für einen?
Guido Kerkhoff: Klar stehen wir näher zusammen. In einem so kleinen Team muss man sich aufeinander verlassen können.
Sie streiten sich nie?
Hiesinger: Sachlich haben wir teilweise unterschiedliche Auffassungen, aber wir greifen nie die Person an.
Herr Kerkhoff, Herr Hiesinger sagt, man müsse auch mal das Handy ausmachen am Wochenende. Wann hat er Sie zuletzt am Sonntag angerufen?
Kerkhoff: Oh, solche Anrufe sind extrem selten. Vielleicht einmal eine Einladung zum Grillen.
Sie kommen alle drei von außen. Heißt das auch: Abschied von der Tradition, die Thyssen-Krupp ausmacht?
Oliver Burkhard: Nein, dieser Konzern hat vieles aus der Vergangenheit, was ihn stark gemacht hat und was auch in der Zukunft erhaltenswert ist. Es gibt kaum ein Unternehmen, in dem die Beschäftigten so stolz sind auf die Produkte, die sie herstellen. Ich kenne Mitarbeiter, die können Ihnen drei Stunden lang überzeugend die Vorzüge einer Nockenwelle erklären – mit einer Intensität, die begeistert. Manchmal übertreiben wir es aber ein bisschen, wenn wir den Mythos der Vergangenheit zu sehr überhöhen.
Wenn man eine so große Tradition hat, ist es dann ein Segen, unbelastet und von außen ins Unternehmen zu kommen?
Hiesinger: Das lässt sich nicht verallgemeinern. Natürlich brauchen wir für unseren Kulturwandel genügend Unabhängigkeit. Doch die Veränderungen haben wir ja bereits angestoßen als wir noch zu sechst waren. Ich mag die Eigenheiten und Traditionen des Unternehmens sehr, aber die Tradition darf uns nicht davon abhalten, nach vorne zu gehen. Tradition schützt nicht im Wettbewerb der Zukunft.
Reden wir über Macht. Wer das Geld hat, hat die Macht. Sind Sie der Mächtigste am Tisch, Herr Kerkhoff?
Kerkhoff: (Lacht laut) Wenn Sie’s am Geld fest machen, habe ich die geringste Macht.
Sie sind doch der Schäuble von Thyssen-Krupp. Haben Sie auch eine Art Veto-Recht wie der Finanzminister am Kabinettstisch von Frau Merkel?
Kerkhoff: Es geht nicht um ein Veto-Recht. Wir wollen den Konzern umbauen und zukunftsfähig machen. Dazu gehört, auch in schwierigen Zeiten finanzielle Spielräume zu erhalten. Wir haben relativ wenig Eigenkapital, aber wir haben uns gut mit Geld eingedeckt. Klar ist: Wir brauchen eine Balance zwischen Kostendisziplin und Zukunftssicherung. Deshalb investieren wir ja auch trotz der angespannten Finanzen mehr als 600 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung.
Kommt Thyssen-Krupp um eine Kapitalerhöhung herum?
Reichen die Spielräume aus, um eine Kapitalerhöhung herumzukommen?
Kerkhoff: Wir haben einen solchen Schritt grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Es gibt keinen weiteren Dax-Konzern mit einer Acht-Prozent-Eigenkapitalquote. Aber mindestens ebenso problematisch ist: Wir haben sieben Jahre lang kein Geld verdient. Die Trendwende hinzubekommen, dass Thyssen-Krupp aus seinen Geschäften heraus wieder Geld verdient, das ist der wichtige Punkt. Und das haben wir im 3. Quartal geschafft.
Muss ein Finanzchef auch ein Unternehmer sein?
Kerkhoff: Klar, er muss unternehmerisch denken.
Hiesinger: Übrigens gilt das auch für den Personalchef.
Burkhard: Gut, dass Sie das sagen.
Hiesinger: Was mir wichtig ist: Die alte Denke in Ressorts reicht heute in einem Vorstand nicht mehr aus. Ich erwarte, dass sich jeder mit seinem gesamten Wissen, seinen Erfahrungen und Ideen bei allen Themen einbringt. Ohne dieses Verständnis wird es sonst auch gefährlich in einem so kleinen Team.
Dauernd ist von der Krise bei Thyssen-Krupp die Rede. Schreckt das eigentlich junge Talente ab?
Burkhard: Wir haben einen sehr guten Namen. Wir können nicht erkennen, dass die Zahl der Bewerbungen von guten Leuten abnimmt. Im Gegenteil. Es interessieren sich nicht nur Desperados für Thyssen-Krupp, sondern gerade Leute von guten Universitäten, die Interesse an der Veränderung in unserem Unternehmen haben. Allein hier im Haus sind es 120.000 Bewerbungen, die jedes Jahr eingehen.
Kerkhoff: Eine Krise ist auch die Stunde der Guten und Mutigen. Denn es gibt etwas zu bewegen. Ich habe zunehmend Blindbewerbungen bei mir auf dem Tisch von exzellenten Leuten aus sehr guten Unternehmen.
Hiesinger: Bei mir klopfen auch Leute an, die sagen, sie möchten mitmachen, weil ihnen das neue Führungsverständnis gefällt. Wir als Vorstand versuchen das ja auch vorzuleben: Offenheit, Ehrlichkeit, wenig Hierarchie, gegenseitige Unterstützung und Wertschätzung.
Was Thyssen-Krupp tut, um weiblicher zu werden
Der Vorstand von Thyssen-Krupp ist zu hundert Prozent mit Männern besetzt. Was tut das Unternehmen, um weiblicher zu werden?
Hiesinger: Wir haben uns ein klares Ziel gesetzt. Wir möchten den Anteil von Frauen in Führungspositionen bis zum Jahr 2020 verdoppeln – auf 15 Prozent. Ich halte aber nichts vom Ansatz der Politik, dies auf den Aufsichtsrat und den Vorstand zu beschränken. Wenn man Frauen fördern will, muss man sie kontinuierlich entwickeln. Zu große Karrieresprünge sind da eher hinderlich. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Eine vernünftige Entwicklung braucht also vor allem Zeit, keine Symbolik.
Bleibt es bei nur drei Konzernvorständen?
Hiesinger: Es gibt Überlegungen, uns zu entlasten. Aber das ist Sache des Aufsichtsrates und dort ist noch keine abschließende Entscheidung gefallen.
Werden Sie in Zukunft mehr Fachkräfte aus dem Ausland brauchen, weil in Deutschland Ingenieure fehlen?
Burkhard: Eine große Rolle spielt natürlich, wo wir unsere Geschäfte machen und wo das Wachstum ist. Die allermeisten Arbeitsplätze entstehen bei Thyssen-Krupp im Ausland. Wir müssen sicherstellen, dass wir den Bedarf, den wir beispielsweise in China haben, auch bedienen können. Und im Inland?
Burkhard: Fällt unsere Bilanz positiv aus. Im Saldo bauen wir sogar Arbeitsplätze auf, wir haben mehr Jobs geschaffen, als weggefallen sind. Von Mai 2011 bis heute haben wir 4000 Zugänge und 3700 Abgänge.
Aber es sind noch große Stellenabbau-Programme unterwegs. In der europäischen Stahlsparte sollen 2000 Stellen abgebaut werden, in den weltweiten Konzernverwaltungen 3300.
Burkhard: Es stimmt, dass wir sparen und uns verändern müssen. Das wirkt sich auch auf unsere Mitarbeiterstruktur aus. Wir werden in Zukunft weniger Beschäftigte im gewerblichen Bereich haben, und mehr Ingenieure und Akademiker.
Wie sieht es denn in der Konzernzentrale in Essen aus?
Burkhard: Diese Zentrale hat gerade einen Arbeitsplatzabbau hinter sich. Das Ergebnis ist: Das Quartier ist jünger geworden, im Schnitt um zwei Jahre. Das Motto war eben nicht: Zuletzt gekommen, als erster wieder weg. Das macht uns auch stolz. Und wir haben mittlerweile einen Anteil weiblicher Führungskräfte hier im Haus von 25 Prozent, zuvor waren es 18 Prozent.
Kerkhoff: Ich habe übrigens erlebt, dass gemischte Teams oft besser arbeiten. Frauen haben eine hohe Leistungsbereitschaft. Das spornt alle an.
Burkhard: Und viele Frauen sind besser organisiert.
Kerkhoff: Oh, ja.
Hiesinger: Aber es ist ganz klar: Wir suchen immer die Beste oder den Besten aus. Nur wenn beide Bewerber gleich gut sind, würden wir uns für die Frau entscheiden.
Interne Stellenbörse sollte Seilschaften ausschließen
Sie haben den Stellenabbau über einen internen Arbeitsmarkt organisiert. Sprich: Alle Mitarbeiter müssen sich auf die Stellenprofile neu bewerben. Für große Freude sorgt das nicht gerade.
Burkhard: Große Freude wäre ja auch etwas übertrieben. Es geht zunächst einmal um das Lösen vieler Probleme. Ein Problem war, dass die Zentrale zu groß und zu teuer ist während wir an anderen Stellen im Konzern längst schlanker geworden sind. Wir haben ein Viertel des Geschäftes verkauft. Damit hat uns auch ein Viertel der Mitarbeiter verlassen. Die Zentrale ist aber gleich groß geblieben. Das kann nicht sein. Wie wir das umgesetzt haben, war für den Konzern ein neues Verfahren. Es gab einen so genannten Matching-Prozess.
Was heißt das?
Burkhard: Das heißt: Nachdem die Führungskräfte ein neues Stellenprofil formuliert haben, wurden die Mitarbeiter aufgefordert, ihr eigenes Profil abzugeben. Der anschließende Abgleich, das Matching, erfolgte anonym ohne Namen. Am Ende war zu sehen, wer mit seinen Fähigkeiten am besten zu der jeweiligen Aufgabe passt. 650 Beschäftigte haben sich am Verfahren beteiligt, 450 Stellen waren verfügbar. Der programmierte Ausschluss von Seilschaften.
Burkhard: Natürlich können Sie die Personalarbeit nicht dem Computer überlassen, entschieden haben am Ende die Verantwortlichen. Aber die Ergebnisse der Matching-Runde waren Begründungsgrundlage auch für Trennungsgespräche. Natürlich führt das zu Unruhe. Wir haben schließlich alles infrage gestellt. Aber das war notwendig, um den Leistungsgedanken in den Vordergrund zu stellen.
Hiesinger: Sie haben Recht, ich habe auch öffentlich die Seilschaften im Konzern angesprochen. Ich hake das Thema jetzt ab und wir schauen nach vorn. Unser Anspruch war, dass wir auch beim Personalabbau unserem Leitbild folgen und offen, ehrlich und transparent sind.
Konzernbetriebsratschef Wilhelm Segerath fürchtet die Verlagerung von Dienstleistungsjobs ins Ausland. Wird es solche Verlagerungen weg aus Deutschland geben?
Kerkhoff: Wir haben eine Zentrale gebaut, die insgesamt zu teuer ist. Wir müssen kostengünstiger werden. Daher gucken wir uns alle Funktionen an. Dazu gehört auch der Service-Bereich. Wir sind derzeit in einer Konzeptphase und führen Sondierungsgespräche mit dem Betriebsrat. Klar ist, wenn wir Serviceeinheiten effektiver organisieren, können wir in der Verwaltung besser werden.
Hiesinger: Das ist aber nichts Neues. Wir haben Mitte Mai erklärt, dass wir bis zu 3300 Stellen in der Verwaltung streichen wollen, davon etwa 50 Prozent in Deutschland. Dazu gehören auch die weltweiten Service-Bereiche.
Ihre größte Baustelle liegt in Brasilien. Die Verhandlungen dort sind Chefsache?
Hiesinger: Die Durchführung der Verkaufsverhandlungen für unsere Stahlwerke in Brasilien und den USA fällt zunächst einmal in die Verantwortung von Herrn Kerkhoff und seinem Team. Aber natürlich kümmern wir uns dort, wo es sinnvoll ist, gemeinsam. Ich muss nicht immer mit am Tisch sitzen, sondern nur in Sondersituationen.
Woran hakt es? Wie man hört, hätten sie die beiden Stahlwerke in Brasilien und in den USA für über drei Milliarden Euro verkaufen können.
Hiesinger: Zu Zahlen sagen wir nichts. Ich bestätige sie nicht, ich verneine sie nicht. Wir haben nie Stellung genommen zu Inhalten der Verhandlungen.
Läuft Ihnen bei den Verhandlungen die Zeit davon?
Hiesinger: Natürlich ist unser Wunsch, Steel Americas zu verkaufen. Aber wir müssen ehrlich bleiben. Egal, wie die Verhandlungen ausgehen: Die Investitionen in die Stahlwerke in Amerika sind für unser Unternehmen ein Fehlschlag und eine extreme Belastung für die Finanzen. Unterm Strich können wir nur noch Schadensbegrenzung betreiben. Für uns gilt bei allem, was wir tun, im Sinne des gesamten Unternehmens zu handeln. Heißt: Wir werden unsere Stahlwerke nur dann verkaufen, wenn die Verkaufsbedingungen eine tragfähigere Lösung ermöglichen, als ein Fortführen von Steel Americas im Konzern.
Man könnte den Eindruck bekommen, Sie seien erpressbar.
Hiesinger: Wir sind nicht erpressbar. Wenn die Bedingungen zu schlecht sind, werden wir es auch ertragen, dass wir nicht verkaufen. Das streben wir nicht an aber wir haben auch keine Angst davor.
Die hohe Verschuldung macht wohl eine Kapitalerhöhung nötig, die Anleger brauchen aber Klarheit über die Zukunft der Stahlwerke in Brasilien und Alabama. Ein Dilemma?
Hiesinger: In der Tat wäre eine Entscheidung für eine Kapitalerhöhung am besten, wenn wir die Ergebnisse der Verkaufsverhandlungen vorliegen haben.
Wie schnell tickt die Schuldenuhr in den Auslandsstahlwerken?
Kerkhoff: Wenn Sie sich die Geschäftszahlen zu unserem dritten Quartal anschauen, können Sie sehen, dass unsere Schulden konstant geblieben sind. In den letzten sieben Jahren war das nicht so.
Hiesinger: Wir haben inzwischen im operativen Geschäft keinen Mittelverbrauch mehr– inklusive Steel Americas. Es ist nicht mehr so, dass die Schulden steigen, im Gegenteil.Das ist ein großer Fortschritt und gibt uns Gelassenheit in den Verhandlungen zum Verkauf der Stahlwerke in Brasilien und Alabama.
Also, keine Angst vor Heuschrecken?
Hiesinger: Nein. Allerdings haben wir auch nie welche angesprochen oder gerufen.
Sie haben mit der schwedischen Firma Cevian einen klassischen Finanzinvestor im Eigentümerkreis.
Hiesinger: Cevian investiert schon seit einiger Zeit in unser Unternehmen. Wir haben festgestellt, dass es ein ähnliches Verständnis dazu gibt, was nötig ist, um ThyssenKrupp nach vorne zu bringen. Mir ist wichtig, dass Cevian immer wie jeder andere Investor auch behandelt worden ist.
Konzernbetriebsratschef Segerath kritisiert eine allzu starke Ausrichtung am Kapitalmarkt.
Hiesinger: Fakt ist: Wir haben sieben Jahre lang mehr Geld ausgegeben als eingenommen. Und das ist nicht akzeptabel. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, haben wir ein echtes Problem. Hinzu kommt: Innerhalb der ersten neun Monate unseres Geschäftsjahrs erwirtschaften auch die Geschäftsbereiche, mit denen wir die Zukunft gestalten wollen, noch keinen Überschuss. Man kann uns also nicht den Vorwurf machen, wir hätten schon acht Prozent Rendite und streben nun zwölf Prozent an. Wir müssen erst einmal den Zustand erreichen, überhaupt wieder Geld zu verdienen, um damit die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens und die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter zu sichern.
Kämpft der Konzern um seine Existenz, wie es gelegentlich heißt, oder ist eine solche Darstellung Schwarzmalerei?
Hiesinger: Unsere Finanzen sind vor allem durch den Abbau von Altlasten und Risiken stark belastet. Wir wussten, dass wir hier in eine sehr schwierige Situation kommen würden. Deswegen haben Herr Kerkhoff und sein Team mit über sieben Milliarden Euro verfügbaren finanziellen Mitteln Vorsorge getroffen. Natürlich liegt unsere Eigenkapitalquote – unser Verhältnis von Finanzschulden zum Eigenkapital – auf einem Niveau, das dauerhaft so nicht sein darf. Aber seitdem wir die Dinge angepackt haben, drehen wir den Trend um. Durch die Verkäufe konnten wir unsere Schulden von 6,5 auf 5,3 Milliarden Euro reduzieren, die operativen Ergebnisse steigen und wir hatten im dritten Quartal einen positiven Geldsaldo. Solange das so bleibt, ist das Unternehmen nicht gefährdet. Wenn wir irgendwann stagnieren würden oder abrutschen, gäbe es eine Gefährdungssituation. Gleichzeitiginvestieren wir massiv in die Zukunft. Wir haben im zweiten Jahr in Folge die Ausgaben für Forschung und Entwicklung erhöht. Wir bauen fünf Fabriken in China, zwei in Indien. Von den 150.000 Mitarbeitern arbeiten die allermeisten an den Zukunftsthemen. Und die sehen, dass wir vorankommen.
Waren Sie überrascht vom Verhalten des finnischen Konzerns Outokumpu, der die Edelstahlsparte von Thyssen-Krupp übernommen hat. Das Bochumer Nirosta-Stahlwerk soll zwei Jahre früher als geplant geschlossen werden.
Hiesinger: Hier spielt vermutlich eine gewisse Unerfahrenheit eine Rolle. In Deutschland geht man ein solches Thema anders an, wenn man geübt ist in der deutschen Mitbestimmung. Outokumpu will einen mit der IG Metall vereinbarten Vertrag brechen. In Ordnung ist das nicht – oder?
Burkhard: Herr Hiesinger hat sich diplomatisch ausgedrückt. Es ist nicht besonders klug gewesen, nicht das Gespräch mit den Arbeitnehmervertretern zu suchen, wenn es ein Problem gibt.
Kerkhoff: Ich möchte allerdings auch eine Lanze für Outokumpu brechen. Die Kommunikation war sicherlich nicht optimal, aber Outokumpu ist kein zweiter Fall Nokia in Bochum.
Das müssen Sie erklären.
Kerkhoff: Die Lage ist ganz anders: Outokumpu verdient definitiv kein Geld. Und zur Ehrlichkeit gehört auch: Die Verlustbringer kommen ausnahmslos von Thyssen-Krupp. Dass das Stahlwerk in Bochum schon seit Jahren angezählt war, ist nicht neu. Ursprünglich sollte im Jahr 2015 die Wirtschaftlichkeit überprüft werden, bevor eine Schließung entschieden wird. Nun soll Bochum geschlossen werden. Outokumpu steht nach wie vor zu der Verlagerung von Benrath nach Krefeld. Wenn man sich die finanzielle Situation ansieht, versuchen sie in der Substanz das zu halten, was sie gesagt haben.
Hiesinger: Für Outokumpu ist die Entscheidung der Kartellbehörden, AST in Italien abgeben zu müssen, ein Riesenschlag gewesen. Dort gehen ihnen enorme Vorteile verloren. Auch der Markt hat sich deutlich schlechter entwickelt als erwartet. Wir müssen Verständnis haben, dass hier eine veränderte Situation entstanden ist.
Was kann Thyssen-Krupp tun?
Hiesinger: Das sind Verhandlungen zwischen der IG Metall und Outokumpu. Wir können lediglich beratend tätig sein. Nimmt Thyssen-Krupp seine Verantwortung wahr? Immerhin ist der Konzern noch an dem Gemeinschaftsunternehmen mit Outokumpu beteiligt.
Burkhard: Wir haben vereinbart, dass wir insgesamt 600 Mitarbeiter übernehmen. Etwa 210 Mitarbeiter haben den Weg von Outokumpu zu uns gefunden. Das heißt: Es geht noch um etwa 390 Beschäftigte. Zu dieser Vereinbarung stehen wir. Ein Großteil dieser Mitarbeiter wird eine Beschäftigung bei HKM und bei Thyssen-Krupp Steel in Duisburg aufnehmen.
Das Kartellamt ermittelt wegen des Verdachts von Preisabsprachen unter den Herstellern von Autostahl. Wie groß sind die Risiken für Thyssen-Krupp?
Hiesinger: Aus dem Amnestieprogramm für aussagewillige Mitarbeiter haben wir keine Anhaltspunkte erhalten. Das Bundeskartellamt ermittelt. Es muss jedem klar sein, dass in einer solchen Situation signifikante Risiken nicht ausgeschlossen werden können.
Wie steht es um den Stahlstandort Duisburg?
Hiesinger: Die Branchensituation für unser Stahlgeschäft in Europa ist derzeit brutal hart. Aber unsere Mannschaft in Duisburg beweist, dass wir in dieser äußert schwierigen Situation noch schwarze Zahlen schreiben. Das Niveau ist sicherlich für alle Beteiligten unbefriedigend, aber wir haben das angepackt und senken die Kosten.
Wird Thyssen-Krupp in absehbarer Zeit von der Stahlproduktion Abschied nehmen?
Wird Thyssen-Krupp in absehbarer Zeit von der Stahlproduktion Abschied nehmen?
Hiesinger: Es gibt keinen Automatismus, dass eine Trennung von Steel Americas auch einen Abschied von Steel Europe nach sich zieht. Wie gesagt: Es gibt keine Pläne für einen Abschied von der Stahlproduktion in Europa. Allerdings hängt viel auch vom Umfeld und den politischen Weichenstellungen ab.
Kann Weiterentwicklung des Unternehmens auch bedeuten: Börsengang der Aufzugsparte oder der Autozuliefergeschäfte?
Hiesinger: Da wird derzeit viel zu viel spekuliert. Wir als Vorstand haben eine Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern und Eigentümern dieses Unternehmens. Und das bestimmt unser Tun.
Braucht Deutschland eine Energie-Rückwende?
Hiesinger: Vor allem brauchen wir ein neues Erneuerbare-Energien-Gesetz. Allein die höhere EEG-Umlage, die von 5,3 auf 6,24 Cent pro Kilowattstunde steigt, macht bei uns jährlich zusätzliche 15Millionen Euro aus. Dabei hat unsere Stahlsparte nach neun Monaten gerade mal 33 Millionen Euro als Ergebnis erzielt. Und das, obwohl wir eine Härtefall-Regelung haben. Wenn wir die EEG-Umlage voll bezahlen müssten, hätten wir einen Betrag von über 300 Millionen Euro zu zahlen. Damit wären wir tief in den roten Zahlen.
Welche Schlussfolgerung ziehen Sie?
Hiesinger: Es ist unabdingbar, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz überarbeitet wird. Bis dahin muss die Härtefall-Regelung auf jeden Fall bestehen bleiben, denn unsere Wettbewerber außerhalb Deutschlands haben diese Kosten nicht. Das schließt auch ein, dass die Eigenstrom-Erzeugung aus Prozessgasen ebenfalls befreit bleibt. Das ist ein sehr wichtiger Aspekt. Wir haben schon seit Jahrzehnten Hunderte von Millionen investiert, um diese Gase umweltschonend zu sammeln, wieder zur Energieerzeugung zu nutzen und selbst zu verbrauchen.
Können hohe Energiekosten den Standort Duisburg in Gefahr bringen?
Hiesinger: Wenn in Sachen EEG die falschen Entscheidungen getroffen werden, entscheiden nicht wir als Vorstand über die Zukunft von Steel Europe, sondern dann entsteht eine Situation, in der uns die Entscheidung abgenommen wird. Das wollen wir nicht. Dann würden unsere eigenen Bemühungen zur Makulatur. An dieser Stelle kämpfen wir.
Ein Wort noch zum Strukturwandel im Revier: Ruhrbischof Overbeck hat ziemlich deutlich erklärt, dass er sich ein Umdenken im Ruhrgebiet wünscht, damit es Wandel in der Region gibt. Stimmen Sie dem Bischof zu?
Hiesinger: Ich habe seine Äußerungen als sehr mutig, ehrlich und klar empfunden. Er hat offensichtlich aufrütteln wollen. Der Bischof hat Recht, wenn er darauf hinweist, dass Tradition allein nicht reicht. Wir brauchen Aufbruch. Wurzeln sind gut, aber sie sind auch dazu da, Kraft für Neues zu entwickeln.