Essen. Bonbons, Dosen, Luftballons: Viele Parteien umwerben im Wahlkampf auch die jüngsten Wähler vor Schulen - und sogar Kinder, die noch lange nicht wählen dürfen. Eine Handhabe, die Eltern nicht immer kritiklos hinnehmen. Einige Städte versuchen, Wahlkampf-Aktionen vor Schulen gar nicht erst zuzulassen.

Ein Grundschul-Kind freut sich fast immer über eine kleine Überraschung. Auch am Tag der Einschulung – und selbst dann, wenn auf einem Tütchen ein Parteilogo prangt. Die Sängerin Judith Holofernes („Wir sind Helden“) war dagegen nicht begeistert, als ihr Sohn am ersten Schultag in Berlin ein solches „Wahl-Paket“ in den Händen hielt.

Ihrer Verärgerung machte sie per Blogeintrag Luft: Auf den meisten Einschulungsfotos seien nun „verwirrte kleine Kinder“ mit Partei-Tüten in der Hand zu sehen, und neben ihnen „leicht vergrätzte Eltern, die den Kindern natürlich ihre Geschenke nicht wieder abnehmen wollen.“

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Der Bundestagswahlkampf findet auch vor Schulen statt. Die heiße Phase ist längst eingeläutet und wird in NRW ab dem 4. September einen Höhepunkt erreichen. Zu Beginn des neuen Schuljahres werden auch an Rhein und Ruhr viele Parteien vor die Schulen ziehen. An Infoständen diskutieren sie mit jungen Wählern, verteilen Info-Flyer und Geschenk-Tüten. Die Parteien entscheiden in ihren jeweiligen Orts-Gruppen, ob sie so einen Wahlkampf machen - eine übergeordnete Vorgabe gibt es offenbar nicht.

Kontaktaufnahme läuft schon während der Ferien

Der Kreisverband der Grünen in Dortmund sucht schon in den Sommerferien den Kontakt zum Wähler-Nachwuchs. „Wir schreiben derzeit Förder-, Haupt- und Gesamtschulen an und verschicken unter anderem Programme in leichter Sprache“, sagt Kreisgeschäftsführerin Martina Müller. Die Kandidaten seien zudem zu Podiumsdiskussionen eingeladen.

Ab dem 4. September wird auch vor dem Schulhof Wahlkampf betrieben. Rund zehn Mal wollen die Dortmunder Grünen vor Unterrichtsbeginn zu Gymnasien und Berufskollegs ausrücken. „Wir verteilen Flyer von den Kandidaten“, so Müller. Außerdem gebe es für die Nachwuchs-Wähler Brause, Traubenzucker und Grünen Tee. Die Verpackungen sind im typischen Grünen-Grün gehalten.

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Des Weiteren stehen Slogans darauf - Sprüche wie "Wir sprudeln vor Ideen - und Du?" (Brause), "Ich mag die Grünen - und Du?" (Gummibärchen) oder "Ziehen lassen - Schwarz-Gelb in den Ruhestand schicken" (Grüner Tee). Die Essener Grünen verteilen nach eigenen Angaben auch Sonnenblumenkerne oder Rucola-Salat – das komme allerdings seltener vor.

Wahlkampf an Grundschulen wird kritisiert

Grundschulen sind für die Grünen in Dortmund aber offenbar tabu. „Instrumentalisieren von Kindern ist nicht in Ordnung“, lautet die Botschaft von Geschäftsführerin Müller. Die Einschulung sei ein sehr persönlicher Tag, der nicht durch Wahlwerbung gestört werden dürfe. „Uns ist wichtig, den jungen Menschen ans Herz zu legen, überhaupt wählen zu gehen."

Nicht alle Parteien sehen Wahlkampf vor Schulen unkritisch 

Bei der SPD scheint Wahlkampf vor Schulen relativ straff durchorganisiert. Die Bundespartei versorgt ihre Ortsverbände regelmäßig mit passendem Werbematerial: dem sogenannten „Schulstarter-Paket“. „Darin ist unter anderem ein Stundenplan zum Ausmalen“, sagt die Kreisgeschäftsführerin des SPD-Unterbezirks Dortmund, Christa Becker-Lettow.

Manche Ortsverbände böten auch Luftballons oder Äpfel an – wie viele letztendlich auf das Paket zurückgreifen, sei aber schwer zu sagen. Das Arsenal der Wahlgeschenke scheint über die Parteigrenzen hinweg unerschöpflich: SPD-Parteigenossen in Duisburg werben auch mit Brotdosen, Wachsmalstiften oder Traubenzucker. Bei der Linkspartei in Düsseldorf verteilt man ab und zu auch Kugelschreiber mit Parteilogos sowie Brillenputztücher.

"Jugendliche nicht bedrängen"

Einige Ortsverbände der Parteien meiden den Wahlkampf vor Schulen dagegen. Thomas Wolters, Kreisgeschäftsführer der FDP in Duisburg, zeigt sich gar „überrascht“ von der Handhabe anderer Politiker.

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Zwar besuche auch seine Partei in Duisburg Podiumsdiskussionen an Schulen. Aber Wahlkampf vor dem Klassenraum? „Ich würde die Jugendlichen nicht so bedrängen wollen“, sagt Wolters. Für Aktionen vor weiterführenden Schulen habe er noch irgendwo Verständnis, an Grundschulen aber sei das seiner Meinung nach „fast schon verzweifelt“.

Ähnlich sieht das die CDU in Essen. „Wir wollen den Wahlkampf nicht vor die Schulen treiben. Da sind wir zurückhaltend“, heißt es. Auch die Grünen in Duisburg und die Dortmunder Piraten stellen sich gegen Werbung vor Schulen.

Elternvertreter: "Wahlkampf hat vor Schulen nichts zu suchen" 

Für Elternvertreter ist das eine Selbstverständlichkeit. "Wahlkampf hat genau wie kommerzielle Werbung vor Schulen nichts zu suchen", sagt Regine Schwarzhoff, Vorsitzende des Elternvereins NRW. Schulen seien schließlich ein politisch neutraler Ort. "Ich finde, das verbietet sich schon aus Anstandsgründen."

Zudem sehe sie auch den Sinn nicht - Schüler seien ja überwiegend minderjährig und deshalb bei der Bundestagswahl nicht einmal wahlberechtigt. "Wenn man an ihre Eltern herankommen möchte, sollte man sich schon etwas anderes einfallen lassen", sagt Schwarzhoff. Besonders ärgerlich sei, dass man sich als Elternteil gegen Wahlwerbung kaum wehren könne.

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Viele Kommunen an Rhein und Ruhr wollen es dazu erst gar nicht kommen lassen. In einigen Städten und Gemeinden müssen Wahlkampf-Aktionen vom Veranstalter bei den Behörden angemeldet werden. Nach Angaben des Schulministeriums verhindern so viele Kommunen Störungen durch Wahlwerbung schon im Voraus. "Aus den Erfahrungen der vergangenen Jahre wissen wir, dass die Kommunen bei ihren Genehmigungen zur Sondernutzung des Straßenraums bereits darauf achten", sagt ein Sprecher.

"Bannmeile" um Schulen herum

In Essen hat sich die Politik dafür gar auf eine "Bannmeile" geeinigt - die Parteien des Rates haben es sich selbst auferlegt, im Umkreis von 100 Metern um Schulen herum keinen Wahlkampf zu machen, sagte ein Sprecher. Momentan gebe es mit derartigen Aktionen keine Probleme, weil es folglich schon lange keine Anträge mehr gegeben habe. Ähnlich soll es in Duisburg sein.

In Dortmund dagegen können Parteien nach Angaben der Stadt auf eine "pauschale Sondernutzungserlaubnis" zurückgreifen - sie erlaubt es ihnen, im Vorfeld der Wahl ohne zusätzliche Genehmigung einen Infostand auf öffentlichen Plätzen aufzustellen.

Elternvertreterin Schwarzhoff fordert: Die Schüler sollten komplett in Ruhe gelassen werden. Einige Parteien halten sich zumindest vor Schulhöfen daran - andere gehen stattdessen einen direkteren Weg. Das berichtet zumindest ein Parteienvertreter: „Wir schreiben die Jungwähler an. Postalisch.“