Berlin. . Die Geburt des Kindes, die Demenz des Vaters, die eigene schwere Krankheit, rührende Worte der Ehefrau: Politiker zeigen ihren Wählern in diesem Sommer den Menschen hinter ihren gewichtigen Entscheidungen. Einige haben das “Menscheln“ ziemlich gut drauf - andere werfen eher irritierende Fragen auf.
Guido Westerwelle hat es getan. Ursula von der Leyen auch. Oder Daniel Bahr, Andrea Nahles. Und noch viel mehr Politiker. Sie alle haben zuletzt offen über sich selbst geredet, über Persönliches, und in Interviews in vielen Magazinen oder Zeitungen bisweilen Einblicke in ihre Seele gegeben. Gewöhnlich sprechen Politiker selten über Privates. Dieser Sommer aber lässt sich gefühlig an.
Wohlgemerkt, um Homestorys geht es nicht. Gesundheitsminister Bahr etwa will seine Privatsphäre weiter schützen. Keine Babyfotos, keine Geschichten vom Wickeltisch. Und doch sei ihm klar, dass er anders wahrgenommen werde, „wenn ich Vater bin“. Darüber hat er neulich geredet – über die Elternrolle – , was aber Bezüge zu seinem Job hat, etwa zur Präimplantationsdiagnostik.
Was die Politik mit einem macht, wird Andrea Nahles in Stresssituationen bewusst. Dann falle es ihr schwer, sich zu öffnen, dann habe sie Angst, „dass ich nicht zurückfinde hinter die härtere Schale, die ich für meine Arbeit brauche“. Ihre Freunde fühlten sich „manchmal ausgeschlossen“. Es war nicht das erste Mal, dass die SPD-Generalsekretärin der „Brigitte“ Einblicke in ihr Seelenleben gab.
Westerwelle: "Man wird unglaublich vorsichtig"
Ursula von der Leyen gab viel preis. Die Öffentlichkeit erfuhr aus ihrem Interview mit der Schauspielerin Maria Furtwängler – Freundinnen und Schicksalsgenossinnen –, wie beide lernen mussten, mit der Demenz ihrer Väter umzugehen. Von der Leyen erzählt von ihrer „Scham“ und vom „Bemühen, alles zu kaschieren“; bis sie irgendwann akzeptierte, „dass er ist, wie er ist“. Es sind sehr private Schilderungen. Dazu gehörte Mut.
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Überwindung kostete es Westerwelle. Wie fast jeder Politiker weiß er über schlechte Erfahrungen mit den Medien zu berichten. „Man wird unglaublich vorsichtig“, was nicht nur gut sei, sagt der Außenminister. Im Rückblick auf seine Amtszeit erzählte er in Interviews von den Verletzungen; auch von den vielen Droh- und Schmähbriefen. Auf die Frage, ob er daran gedacht habe, dass viele Angriffe etwas mit Vorurteilen gegen Homosexuelle zu tun hätten, antwortete er: „Das habe ich nicht gedacht. Das ist der Fall gewesen.“
Steinbrück rührt Rede seiner Frau zu Tränen
Auch im Fall von Wolfgang Schäuble kann das Private politisch sein. Der Finanzminister wurde gefragt, ob er sich auch vor 20 Jahren so milde wie heute über die Homo-Ehe geäußert hätte. Er hatte dafür damals kein Verständnis, und irgendwie fällt ihm das noch heute nicht leicht. Aber der konservative Haudegen hat gelernt: „Wir können nicht anderen vorschreiben, wie sie leben sollen.“ Schäuble kann nicht sagen, wer sich mehr gewandelt hat, er oder unsere Gesellschaft, aber in seiner Familie hat er eines festgestellt: „Die Zeiten, dass wir den Kindern sagen, wo es langgeht, sind vorbei.“ Hat er von den Kindern Liberalität gelernt?
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Hemmungen hat Wolfgang Bosbach früh abgelegt. Der CDU-Politiker sprach mehrmals in großer Offenheit über seine Krebserkrankung. Gerade erst gab er auf Mallorca ein Interview zusammen mit Tochter Caroline. Am Spagat zwischen Politik und Privatleben versuchte sich auch sein Parteifreund Peter Altmaier. Der Umweltminister gab Auskunft über seine Essgewohnheiten, seinen vergeblichen Kampf gegen sein Übergewicht, sein Single-Dasein. „Der liebe Gott hat es gefügt, dass ich allein durchs Leben gehe.“ Ein Satz, der allerdings eher Rätsel aufgab.
Wie viel einer preisgibt, muss jeder selber wissen. Dass die Bürger im Wahlkampf auch ein Gefühl für den Menschen hinter dem Kandidaten bekommen wollen, ist gerade einem Kanzlerkandidaten klar. Auf ihrem letzten Parteitag bot die SPD Peer Steinbrück und seiner Frau Gertrud ein Forum, um ihn von seiner menschlichen Seite zu zeigen. Die Regie, falls es eine gab, ist der SPD völlig entglitten, als Gertrud Steinbrück über die Zumutung der Kandidatur sprach; darüber, wie wenig seine Arbeit gewürdigt werde. Ihn hat es zu Tränen gerührt.