Duisburg. Birgit Stieler ist eine selbstbewusste Frau - und alleinerziehende Mutter von vier Kindern im Alter von 10 bis 18 Jahren. Die Familie lebt von Hartz-IV. Ihre Erfahrungen verarbeitet die Duisburgerin im Buch „Relativ arm. Leben in der Bedarfsgemeinschaft“.
Birgit Stieler hat ihr Leben im Griff – das sieht man nicht nur an ihrem gepflegten Äußerem und an der akkurat aufgeräumten Wohnung. Die selbstbewusste, alleinerziehende Mutter von vier Kindern, zwei Mädchen im Alter von 10 und 11 und zwei Jungs im Alter von 15 und 18, lebt von Hartz-IV – und hat ein Buch darüber geschrieben. „Relativ arm. Leben in der Bedarfsgemeinschaft“ ist im Engelsdorfer Verlag erschienen und schildert tagebuchartig das tägliche Leben ihrer Familie mit Arbeitslosengeld II. Sie erzählt von den mühsamen Kämpfen mit der ARGE um Zuschüsse für die Kinder, von ihren Kochplänen und wie es am Ende des Monats nur noch Pellkartoffeln mit Quark gibt, und von den Vorurteilen der Menschen, denen sie begegnet.
Birgit Stieler verfällt in ihren Alltagsbeschreibungen nie in Selbstmitleid oder Gejammere, auch eine Beschimpfung der Arbeitsagentur liegt ihr nicht. Sie ist keine Nörglerin oder Anklägerin, sie ist optimistische Realistin. Die Autorin macht das Beste aus ihrem Leben, in dem ihr das Wohlergehen ihrer Kinder am wichtigsten ist. Mit der NRZ sprach die Schriftstellerin über Hartz-IV-Klischees, Bürokratie und das Muttersein.
Frau Stieler, Ihr Buch „Relativ arm. Leben in der Bedarfsgemeinschaft“ ist mit Unterstützung der Stadt Duisburg entstanden.
Birgit Stieler: Ja, den nötigen Druckkostenzuschuss von knapp 100 Euro hat das Kulturbüro beigesteuert. Sie halten das Buch für förderungswürdig, weil ich realistisch schildere, wie ich als Alleinerziehende von Hartz-IV lebe. Ich möchte den Menschen mit dem Buch meine Alltagssorgen zeigen und wie man damit umgeht – und ihnen auch Mut machen, ein gutes Vorbild sein.
Wie ist das mit den Gewinnen, die Sie mit dem Buch erzielen?
Stieler: Das ist sehr wenig. Aber ich führe über alles genau Buch, auch über die Kosten der Lesungen und so weiter. Bis jetzt gab es da mit der Arbeitsagentur aber noch keine Probleme.
Ihr Alltag zwischen Kindererziehung, den Anforderungen der Arbeitsagentur und Minijobs liest sich stressig …
Stieler: Ja, mein Leben hat mit den Vorurteilen, die es über Hartz-IV-Empfänger gibt, nicht viel gemein. Die Leute denken immer, man hängt besoffen auf dem Sofa rum und wäre faul. Ich will aber was aus mir machen.
Sie haben früher in Rheinberg gelebt, nun wohnen Sie in Duisburg. Ist die Reaktion auf Sie hier anders?
Stieler: Ja, auf jeden Fall. Die Duisburger sind viel toleranter und verständnisvoller. Hier gibt es ja auch wesentlich mehr Armut.
Wie geht es Ihren Kindern mit der Situation?
Stieler: Meine Kinder sind gute Schüler, auch sehr fleißig neben der Schule. Die wollen was aus sich machen und raus aus dem Hartz IV Milieu. Die werden in der Schule auch nicht wegen Armut gemobbt, meine Kinder sind keine Opfertypen. Eher das Gegenteil: Mein einer Sohn musste die Schule wechseln, weil er als Streber beschimpft wurde. Auf der neuen Schule kann er in Ruhe lernen. Meine Kinder sind alle recht selbstbewusst. Mein Ältester macht jetzt eine Ausbildung bei Thyssen, er wurde über ein Projekt dafür aus vielen ausgewählt.
Hat Ihrer Familie das Bildungspaket genutzt?
Stieler: Ja, teilweise schon. Es ist nur immer problematisch, dass ich für viele Dinge, Klassenausflüge oder Ähnliches das Geld vorstrecken muss und noch nicht mal weiß, ob ich es von der ARGE erstattet bekomme. Manches wird erstattet, manches nicht. Und die Bearbeitung der Anträge dauert sehr lange. Aber grundsätzlich ist das ein Schritt in die richtige Richtung.
In Ihrem Buch schildern Sie den Stress mit Ihren diversen Minijobs, die oft schlecht bezahlt werden. Obwohl Ihnen vom Gehalt viel abgezogen wird, gehen Sie arbeiten.
Stieler: Viele Jobs sind als Alleinerziehende ja leider nicht möglich, die Arbeitgeber wollen einen auch gar nicht, wenn man wegen der Kinder so unflexibel ist. Ich bin gelernte Rechtsanwaltsgehilfin, früher habe ich sehr gut verdient, mein damaliger Mann blieb zu Hause bei den Kindern. Zur Zeit bin ich Zeitungsausträgerin, unter anderem für die NRZ. Da muss ich zwar sehr früh aufstehen, aber das ist praktisch, weil ich wieder zu Hause bin, bevor meine Kinder aufstehen. Ich möchte unbedingt arbeiten, aber es muss eben ein Job sein, der sich mit der Kindererziehung verbinden lässt. Vielleicht wird das anders, wenn die Kinder älter sind. Ein Bürojob, das wäre schön.
Literarisch sind Sie sehr aktiv, Sie haben vor „Relativ arm“ zwei Lyrikbände veröffentlicht und haben eine Autorengruppe gegründet.
Stieler: Ja, ich habe auch viele Lesungen. Das ist mir wichtig - integriert sein. Beteiligung am Leben ist wichtig. Fürs Rumhängen bin ich nicht gemacht.
Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was sich ändern soll?
Stieler: Die Minijobs und Ähnliches, das gehört abgeschafft. Wir brauchen einen Mindestlohn. Diese Politikerfloskel stimmt: Arbeit muss sich lohnen. Und ich würde mir wünschen, dass mehr anerkannt wird, wie viel Arbeit es ist, Kinder großzuziehen und einen Haushalt zu schmeißen.