Duisburg.
Wie sozial ist unsere Stadt? Welcher Lebenssituation sind viele Kinder, Jugendliche, Familien, Alleinerziehende und Senioren ausgesetzt? Diese Fragen versucht die Serie „Die soziale Stadt“ zu beantworten.
Geschehen soll dies in Gesprächen mit Menschen, die sich unmittelbar mit der sozialen Lage befassen. Den Auftakt der Serie bildet die Situation der Kinder in einem Gespräch mit dem Geschäftsführer des Diakonischen Werkes, Pastor Stephan Kiepe-Fahrenholz.
"Einsatzfreudiges Jugendamt"
Und der ist überzeugt: „In Duisburg wird viel getan.“ Und doch reicht es am Ende nicht, um der wachsenden sozialen Probleme Herr zu werden, wenn nicht gegengesteuert wird. „Wir haben in Duisburg ein einsatzfreudiges Jugendamt und mit seinem Leiter Thomas Krützberg einen Kämpfer für den Etat. Trotzdem verzeichnen wir steigende Zahlen für Maßnahmen in der erzieherischen Hilfe. Immer mehr Kinder im Alter zwischen acht und zwölf Jahren müssen aus ihren Familien herausgeholt werden.“
Ursache nach der Erfahrung von Kiepe-Fahrenholz: „Die schlechte wirtschaftliche und soziale Lage in der Stadt.“ Verstärkt machen die Mitarbeiter Armutskarrieren aus: „Erst haben wir die Eltern betreut, jetzt betreuen wir die Kinder.“ Familien mit Erziehungsschwierigkeiten gebe es überall, doch massiver sind sie in Ortsteilen mit Zuzug: Bruckhausen, Hochfeld und Marxloh. „Aber es gibt auch andere Ortsteile, die auf der Kippe stehen: Beeck, Kaßlerfeld, Neuenkamp, auch Wanheimerort, Untermeiderich und Wehofen.“
Zu wenig Plätze für U-3-Betreuung
Den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz sieht Kiepe-Fahrenholz als erfüllt an. Für jedes Kind im Kindergartenalter lasse sich in der Regel ein Platz finden, Wartelisten wie in früheren Zeiten seien Einzelfälle. „Es gibt allerdings zu wenig Plätze für die U-3-Betreuung. Die Nachfrage ist viel größer als das, was vorgehalten wird.“ Das habe drei Gründe: „Die Familien wollen ja aus ihrer schlechten wirtschaftlichen Lage heraus.“ Vater wie Mutter wollen arbeiten, dazu braucht es ein Betreuungsangebot fürs Kind. Auf der anderen Seite stehe ein großer bürokratischer Aufwand für den Ausbau der U-3-Plätze: „Viele Kindertagesstätten-Gebäude wurden in den 50er Jahren gebaut. An- und Ausbau gestalten sich schwierig.“ Und letztlich: „Die Zahl der Kinder in Duisburg geht nicht so stark zurück, wie es die Statistiker angekündigt haben.“
Ebenfalls mehr Bedarf als Möglichkeiten gibt es laut Kiepe-Fahrenholz für integrative Plätze in Kindertageseinrichtungen, in denen auch behinderte Kinder aufgenommen werden können.
Sprachförderung zeigt bereits Wirkung
Ein Defizit sieht der Geschäftsführer des Diakonischen Werkes trotz aller Bemühungen in der Vergangenheit weiterhin in der Zusammenarbeit von Kindertageseinrichtungen und Grundschulen. „Es gibt keinen Plan für den Übergang von der KiTa zur Schule. Der müsste systematischer gestaltet werden.“ Gefordert seien hier Jugendamt und Bildungsholding. „Die Schulen führen oft noch ein Eigenleben.“ Hoffnungen setzt Kiepe-Fahrenholz in die mit dem Bildungspaket vereinbarte Stärkung der Schulsozialarbeit.
Die Sprachförderung zeige hingegen bereits Wirkung: „Die Sprachstandserhebungen beweisen, dass es sich verbessert hat.“ Vor allem in der türkischen Gesellschaft habe sich einiges verändert: „Es gibt weniger Vorbehalte gegen die Kindertagesstätten. Das Anmeldealter geht kontinuierlich nach unten und fast überall sitzen Eltern von Migranten-Kindern in den Beiräten.“
„Hände weg von der Kinder- und Jugendhilfe“
Könnte Kiepe-Fahrenholz sich etwas wünschen, dann wäre es dies: „Ein kooperierendes, geschlossenes Bildungssystem von der Kindertagesstätte bis zum Beruf. Jedes Kind muss mit Bildung und Ausbildung groß werden, um einen vernünftigen Beruf erlernen zu können. Wir können nicht immer nur sagen: ,Die Jugend ist unsere Zukunft’ und sie gleichzeitig aussortieren. Ich vermisse da eine gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung.“ Wer jetzt nicht gefördert wird, werde zum Problemfall in zehn Jahren. Nach den Einschnitten im vergangenen Jahr durch das Haushaltssicherungskonzept laute die Botschaft heute: „Hände weg von der Kinder- und Jugendhilfe“.
Untragbar sei, dass inzwischen fast 25 % der Minderjährigen bis 15 Jahren unter der Armutsgrenze leben. „Dass vor diesem Hintergrund über Bildungsgutscheine oder Sozialtickets überhaupt diskutiert wird, erschließt sich mir auch intellektuell nicht mehr.“
Ausgebaut werden müsse das Netzwerk zur Verhinderung von Kindeswohlgefährdung. Stephan Kiepe-Fahrenholz: „Ich glaube, dass Gefährdung und Missbrauch von Kindern in dieser Stadt größer sind als das, was wir mitkriegen und herauskommt. Hier sehe ich einen über das Elternhaus hinausgehenden Schutzauftrag der Gesellschaft, der entschlossener wahrgenommen werden muss.“