Duisburg. Die arabische Welt ist im Umbruch. Die Schlagzeilen werden dominiert von Berichten über Straßenschlachten. An der Universität Duisburg Essen setzen sich die Experten des Instituts für Entwicklung und Frieden mit den Ereignissen auseinander.

Dr. Jochen Hippler analysiert im Interview mit WAZ-Mitarbeiter Sinan Sat die politische Situation, Chancen und Risiken der Umbrüche.

Erst Tunesien, dann Ägypten und jetzt scheint die Libysche Regierung unmittelbar von einem Sturz bedroht zu sein. Wie erklären Sie diesen Dominoeffekt?

Dr. Jochen Hippler: Ganz neu ist das alles nicht. Die Proteste haben schon vorher angefangen und gehen über die arabische Welt hinaus. 2007/2008 haben anderthalb Millionen Menschen in der Hauptstadt Pakistans für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit demonstriert und den Präsidenten Pervez Musharraf gestürzt. Nach der Wahlfälschung 2009 im Iran waren alleine in Teheran drei Millionen Menschen auf der Straße. Die meisten Gesellschaften in dieser Region sind in den letzten Jahrzehnten versteinert, Widerstand wurde von den eigenen Regierungen abgewürgt. Das kann eine Zeit lang funktionieren, aber irgendwann ist der Druck in der Gesellschaft zu groß, so dass sich reiche und arme, rechte und linke, religiöse und säkulare gemeinsam gegen die verkrusteten Diktaturen auflehnen, um sie loszuwerden.

Dr. Jochen Hippler von der Universität Duisburg Essen
Dr. Jochen Hippler von der Universität Duisburg Essen © WAZ

Also hat es unter der Decke schon lange gebrodelt?

Hippler: Die Ursachen für die Proteste haben sich schon lange aufgebaut. Die Mubarak-Diktatur in Ägypten beispielsweise hat über 30 Jahre lang mit Polizei und Geheimpolizei das Volk eingeschüchtert und somit zivilen Widerstand weitestgehend verhindert.

Die Schlagzeilen sind geprägt vom Begriff der Revolution. Sind wir gegenwärtig tatsächlich Zeitzeugen arabischer Revolutionen?

Hippler: Das müssen wir noch abwarten. In Ägypten und Tunesien zumindest ist es letztlich zu einem Militärputsch gekommen. In beiden Fällen sind die Diktatoren geflohen oder zurückgetreten, aber nur zum Teil aus Angst vor der Bevölkerung. Ausschlaggebend war vielmehr, dass das jeweilige Militär nicht mehr hinter ihnen stand. Der entscheidende Kampf hat jetzt erst begonnen. Wird es dem Militär gelingen die Bevölkerung zu kontrollieren, oder wird es irgendwann der Bevölkerung gelingen das Militär zu kontrollieren? Dieser Kampf wird noch fünf oder zehn Jahre dauern. Ob das zu einer Revolution führt, bei der die Menschen es schaffen sich selber zu regieren, oder ob es nur eine neue Phase der Eliten-Hierarchie wird, müssen wir abwarten. Jetzt kommt es drauf an, dass sich die Bewegung zu einer Opposition entwickelt.

Fanatische religiöse Gruppen, wie etwa die Muslimbrüder in Ägypten, werden vom Westen als nun als größere Bedrohung wahrgenommen. Sind die Bedenken berechtigt?

Hippler: Interessanterweise standen die religiösen Organisationen in allen betroffenen Ländern nicht in erster Reihe, sondern haben sich an die Proteste angehängt. Die Muslimbrüder in Ägypten, die wir ja immer im Verdacht haben, haben bereits erklärt, dass diese Revolution eine für Befreiung und Demokratie ist und keine islamische. In der Vergangenheit radikalisierten sich religiöse Gruppen immer stärker, wenn die Unterdrückung stark war. Je mehr politische Möglichkeiten gewährleistet wurden, desto gemäßigter und demokratischer waren sie. Insofern kann man jetzt zumindest die Hoffnung haben, dass in 20 Jahren die Muslimbrüder eine ähnliche Entwicklung machen wie die AKP in der Türkei. Also aus einem islamistischen Kontext sich in eine konservative aber demokratiekompatible Partei zu entwickeln.

Misst der Westen nicht mit zweierlei Maß, wenn er sich muslimischen Vereinigungen gegenüber kritisch äußert und gleichzeitig über Jahrzehnte undemokratische Regierungen unterstützt hat?

Hippler: Dass das Sprechen von Demokratie und Freiheitswerten nicht immer mit den Interessen die man vertritt, also Stabilität und Energieversorgung, übereinstimmt, ist sicher richtig. Aber es gibt noch einen anderen doppelten Standard. Im Nahen und Mittleren Osten sollte man natürlich vor manchen extremen religiösen Gruppen sehr vorsichtig sein, aber in den letzten 20 bis 50 Jahren sind die meisten Menschen vor allem von säkularen Diktatoren gefoltert worden.

Hat Demokratie in Arabien eine Chance?

Hippler: Wir werden sicherlich zunächst durch eine Periode der Unsicherheit gehen müssen. Die Demokratie in Europa hat sich ja auch nicht ohne Widersprüche und Konflikte entwickelt. Wir sollten ins Europa damit abfinden, dass Demokratie eben keine Sache ist, die Bürokraten am Schreibtisch entwerfen, sondern die Menschen sich erkämpfen, auch auf der Straße.

Heimkehr aus Libyen

Walter und Norma Rosenau warten auf ihren Sohn Daniel (23) der am Ende doch nicht in der Maschine sitzt und sich aus Malta meldet.
Walter und Norma Rosenau warten auf ihren Sohn Daniel (23) der am Ende doch nicht in der Maschine sitzt und sich aus Malta meldet. © WAZ FotoPool
Auf dem Flughafen in Frankfurt/Main landen am späten Dienstag Abend (22.02.2011) Mitarbeiter und Angehörige Deutscher Firmen aus Libyen. Auf Grund der Unruhen haben die Deutschen eine Lufthansa Maschine aus Tripolis genutzt um die Heimreise anzutreten.
Auf dem Flughafen in Frankfurt/Main landen am späten Dienstag Abend (22.02.2011) Mitarbeiter und Angehörige Deutscher Firmen aus Libyen. Auf Grund der Unruhen haben die Deutschen eine Lufthansa Maschine aus Tripolis genutzt um die Heimreise anzutreten. © WAZ FotoPool
Wartende Journalisten im Ankunftsbereich.
Wartende Journalisten im Ankunftsbereich. © WAZ FotoPool
Auf Grund der Unruhen haben die Deutschen eine Lufthansa Maschine aus Tripolis genutzt um die Heimreise anzutreten.
Auf Grund der Unruhen haben die Deutschen eine Lufthansa Maschine aus Tripolis genutzt um die Heimreise anzutreten. © WAZ FotoPool
Interview mit einem Heimkehrer.
Interview mit einem Heimkehrer. © WAZ FotoPool
Ankommende Fluggäste aus Tripolis.
Ankommende Fluggäste aus Tripolis. © WAZ FotoPool
Ankunft von Siemens Mitarbeitern. Diese werden an einem extra Tisch in Empfang genommen.
Ankunft von Siemens Mitarbeitern. Diese werden an einem extra Tisch in Empfang genommen. © WAZ FotoPool
Ankunft des Fluges.
Ankunft des Fluges. © WAZ FotoPool
Herzlicher Empfang für Eva King-Leonhard am Gate.
Herzlicher Empfang für Eva King-Leonhard am Gate. © WAZ FotoPool
Die ankommenden Libyen-Rückkehrer werden von einem Pulk Journalisten empfangen.
Die ankommenden Libyen-Rückkehrer werden von einem Pulk Journalisten empfangen. © WAZ FotoPool
Heimkehr aus Tripolis.
Heimkehr aus Tripolis. © WAZ FotoPool
Empfang im Kamerameer.
Empfang im Kamerameer. © WAZ FotoPool
Walter und Norma Rosenau warten auf ihren Sohn Daniel (23) der am Ende doch nicht in der Maschine sitzt und sich aus Malta meldet.
Walter und Norma Rosenau warten auf ihren Sohn Daniel (23) der am Ende doch nicht in der Maschine sitzt und sich aus Malta meldet. © WAZ FotoPool
Walter (Foto) und Norma Rosenau warten auf ihren Sohn Daniel (23) der am Ende doch nicht in der Maschine sitzt und sich aus Malta meldet.
Walter (Foto) und Norma Rosenau warten auf ihren Sohn Daniel (23) der am Ende doch nicht in der Maschine sitzt und sich aus Malta meldet. © WAZ FotoPool
Interviews am Flughafen.
Interviews am Flughafen. © WAZ FotoPool
Ankunft.
Ankunft. © WAZ FotoPool
Warten auf die Maschine.
Warten auf die Maschine. © WAZ FotoPool
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