Tripolis. . Außenminister Guido Westerwelle hat Libyens Machthaber Gaddafi mit Sanktionen gedroht, sollte das Regime weiterhin mit Gewalt gegen das eigene Volk vorgehen. In dem Land eskaliert die Gewalt. Profikiller sollen Demonstranten hingerichtet haben.
Nach dem blutigen Vorgehen gegen Demonstranten in Libyen hat Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) Machthaber Muammar el Gaddafi mit Sanktionen gedroht. "Sollte Libyen weiter mit Gewalt gegen das eigene Volk vorgehen, werden Sanktionen unvermeidlich sein", sagte Westerwelle am Dienstag vor Journalisten in Berlin. "Wir fordern die libysche Regierung auf, sofort die Gewalt gegen die Bürger ihres eigenen Landes zu stoppen."
Es sei Zeit für Libyen, aus den Ereignissen in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten zu lernen, sagte Westerwelle mit Blick auf den Sturz der dortigen Machthaber nach massiven Protesten der Bevölkerung. "Wer versucht Menschen, die für Freiheit, Demokratie und berufliche Chancen auf die Straße gehen, gewaltsam niederzuhalten, verspielt die Zukunft seines Landes." Gaddafi verspiele damit auch seine Zukunft, sagte Westerwelle. "Eine Herrscherfamilie, die das eigene Volk mit Bürgerkrieg bedroht, die ist am Ende."Die libysche Führung verliert zunehmend die Kontrolle über die Lage in ihrem Land.
Killerkommandos töten Demonstranten
Nach Korrespondentenberichten kann die Hauptstadt Tripolis nur mit Hilfe ausländischer Söldnertruppen gehalten werden. Teile der Armee kämpfen bereits auf Seiten der Opposition. Aus Protest gegen die Gewalt der Sicherheitskräfte gegen Regierungsgegner distanzierten sich am Montagabend weitere Diplomaten von dem Regime, weigerten sich Soldaten, weiter auf Demonstranten zu schießen. Machthaber Muammar el Gaddafi machte in einem wirren TV-Auftritt deutlich, dass er freiwillig die Macht nicht abgeben werde.
Die Lage in dem für ausländische Medien abgeschotteten nordafrikanischen Land spitzt sich weiter zu. Ungeachtet der Versuche von regimetreuen Sicherheitskräften und Söldnern, die Proteste blutig niederzuschlagen, weiteten diese sich weiter aus. Mehrere Städte vor allem im Osten des nordafrikanischen Landes sollen inzwischen unter Kontrolle der Regierungsgegner stehen. In der zweitgrößten Stadt Bengasi sollen ganze Militäreinheiten desertiert sein, wie die in Paris ansässige Internationale Menschenrechtsföderation berichtet. Unterschiedlichen Angaben zufolge wurden seit Beginn der Proteste vor einer Woche bis zu 400 Menschen getötet. Ausländische Killerkommandos sollen Demonstranten mit Kopfschüssen hingerichtet haben.
Libysche Diplomaten kündigen Gaddafi die Gefolgschaft
Berichte des arabischen Fernsehsenders El Dschasira, wonach die Luftwaffe Demonstranten in Tripolis und Bengasi angegriffen habe, wies Gaddafis Sohn Seif el Islam allerdings zurück. Die Streitkräfte hätten Munitionslager bombardiert, die weit außerhalb bewohnter Stadtgebiete lägen, aber keine Städte, wurde er vom Staatsfernsehen zitiert.
Aus Protest gegen die Gewalt kündigten mehrere Mitarbeiter der libyschen UN-Vertretung in New York Gaddafi die Gefolgschaft. In einer Erklärung riefen sie die libysche Armee auf, den Revolutionsführer und sein Regime zu entmachten. Nach Auffassung des stellvertretenden UN-Botschafters Ibrahim Dabbaschi ist das Ende des Machthabers nur noch eine „Frage von Tagen“.
Wirrer Auftritt im TV
Dabbaschi und seine Kollegen forderten, Gaddafi wegen der von ihm zu verantwortenden Verbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. Sie warfen ihm unter anderem „Völkermord“ an seinem eigenen Volk vor. Zuvor hatte bereits der einflussreiche katarische Theologe Scheich Jussef El Kardawi die libysche Armee zur Ermordung ihres Oberbefehlshabers aufgefordert.
Nach hartnäckigen Gerüchten, Gaddafi habe das Land bereits verlassen und sich nach Venezuela abgesetzt, brach der 68-Jährige sein tagelanges Schweigen und meldete sich im Fernsehen selbst zur Wort: 22 Sekunden lang. Er wolle damit zeigen, dass er sich noch in Tripolis befinde und nicht in Venezuela, sagte er in einer „Live“-Übertragung aus seiner Residenz, bevor er in einen Wagen stieg, um nach eigenen Angaben „die Jugend auf dem Grünen Platz“ zu besuchen.
Empörung über zügellose Gewalt
Im Ausland nimmt die Empörung über die zügellose Gewalt gegen die Demonstranten weiter zu. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon kündigte für Dienstagmorgen (Ortszeit) eine Krisensitzung des UN-Sicherheitsrats zur Lage in Libyen an. Er habe selbst 40 Minuten lang am Telefon mit Gaddafi gesprochen, sagte Ban in Los Angeles. Dabei habe er den Machthaber aufgefordert, die Gewalt zu beenden sowie die Rechte der Demonstranten zu respektieren. Auch US-Außenministerin Hillary Clinton forderte die libysche Führung auf, das „nicht hinnehmbare Blutvergießen“ sofort zu beenden. Die Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte (UNHCHR), Navi Pillay, hat eine internationale Untersuchung zum gewaltsamen Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen Demonstranten in Libyen gefordert. Ausgedehnte und systematische Angriffe gegen die Zivilbevölkerung "könnten Verbrechen gegen die Menschlichkeit bedeuten", erklärte Pillay am Dienstag in Genf.
Sie verurteilte die "Gefühllosigkeit", mit der die Behörden mit scharfer Munition gegen friedliche Demonstranten vorgegangen seien. Zugleich rief sie die internationale Gemeinschaft dazu auf, die Gewalt in Libyen zu missbilligen und ein eindeutiges Bekenntnis abzugeben, um sicherzustellen, dass "den tausenden Opfern dieser Unterdrückung" Gerechtigkeit widerfahre.
Fast alle EU-Staaten raten ihren Bürgern inzwischen von Reisen nach Libyen ab. Mehr und mehr Länder planen zudem die Evakuierung von Staatsbürgern aus dem nordafrikanischen Land. Ausländische Unternehmen ziehen bereits Personal aus Libyen ab. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) hat die Evakuierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen angekündigt. "Es sollen alle raus und wir helfen dabei", sagte er am Dienstag im ZDF-"Morgenmagazin". Es seien logistische Vorbereitungen getroffen worden. Über Details wollte sich Westerwelle nicht äußern. Das Auswärtige Amt habe eine Reisewarnung der höchsten und schärfsten Stufe ausgegeben.
Türkei will 25.000 Landsleute heimholen
Die Türkei will ihre rund 25.000 Staatsbürger mit Schiffen nach Hause holen. Zwei Passagierschiffe und zwei Tragflügel-Schnellfähren sollten im Pendelverkehr eingesetzt werden, berichteten türkische Nachrichtensender am Dienstag. Die prekäre Sicherheitslage lasse die Entsendung von Flugzeugen nicht zu, erklärten die Behörden. Bisher seien knapp 1100 Türken aus Libyen zurückgekehrt, erklärte Regierungssprecher Cemil Cicek.
Eine nach Libyen entsandte Maschine der Fluggesellschaft Turkish Airlines hatte am Montag nicht in Bengasi landen können und musste ohne Passagiere in die Türkei zurückkehren. Die Zahl der türkischen Staatsbürger in Libyen ist wegen des Engagements von rund 200 türkischen Unternehmen in dem Land relativ hoch. Insbesondere türkische Baufirmen haben erhebliche Summen in Libyen investiert und errichten dort Wohnhäuser, Einkaufszentren und Hotels.
Nach Presseberichten wurden bei den Unruhen allein im Osten Libyens fast 30 türkische Baustellen beschädigt. Rund die Hälfte der Projekte sei wegen großer Schäden nicht mehr zu retten, hieß es in den Berichten. Vielerorts sollen Baumaschinen gestohlen worden sein.(afp)