Duisburg. Frühkindlicher Autismus wird immer häufiger diagnostiziert. SPZ’s werden „geflutet mit Fällen“, sagt ein Arzt, der nach Erklärungen sucht.

Immer mehr Kinder in Duisburg fallen mit Autismusspektrumsstörungen auf. „Wir werden seit drei, vier Jahren überflutet mit Fällen“, sagt Dr. Guido Wolf, Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums (SPZ) am Helios St. Anna in Duisburg.

Die Kinder seien oft sehr unruhig, die Sprache kaum entwickelt, im Kindergarten gehen sie wenig in die Interaktion mit Gleichaltrigen, beschreibt Wolf, „der Förderbedarf ist sehr groß“. Als Sprecher der SPZ NRW weiß er: „Egal ob Siegen, Hagen oder Wesel: Frühkindlicher Autismus nimmt zu und keiner hat eine Erklärung dafür.“

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In Sozialpädiatrischen Zentren wird mit verschiedenen Methoden gearbeitet, um bestimmte Einschränkungen bei Kindern diagnostizieren zu können.
In Sozialpädiatrischen Zentren wird mit verschiedenen Methoden gearbeitet, um bestimmte Einschränkungen bei Kindern diagnostizieren zu können. © Getty Images | mmpile

Dass die Asperger-Variante des Autismus heute häufiger diagnostiziert wird, sei hingegen leichter zu erklären: „Solche Menschen galten früher mitunter als sonderbar, waren nicht im Mainstream verortet.“ Durch Serien wie Big Bang Theory oder Atypical und prominente Betroffene wie Greta Thunberg sei das Phänomen inzwischen in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Er bedauert, dass es für viele von ihnen keine ideale Förderung gibt. Kindergartenplätze seien ohnehin Mangelware, heilpädagogische Kitas aber eine echte Rarität, so Wolf. Dabei gebe es nur hier die richtige Umgebung für ein autistisches Kind.

Dr. Guido Wolf, Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums im Helios St. Anna-Krankenhaus in Duisburg.
Dr. Guido Wolf, Chefarzt des Sozialpädiatrischen Zentrums im Helios St. Anna-Krankenhaus in Duisburg. © Helios Duisburg | Helios

In Duisburg, aber auch in ganz NRW seien zudem die Wartezeiten für Therapieplätze enorm lang, insbesondere bei pädagogischen Angeboten müssten Familien bis zu einem Jahr warten. Bei den Logopäden und Ergotherapeuten sei es nicht ganz so dramatisch.

Beim Thema Wartezeit möchte er aber nicht nur auf andere zeigen. „Auch bei uns liegt die Wartezeit bei mehreren Monaten.“ Geplant sei eine Umstrukturierung des SPZ, um den Kindern eher gerecht zu werden.

LVR bestätigt: Mehr Kinder mit Entwicklungsverzögerungen

Auch der Landesverband Rheinland stellt „eine Veränderung bei den Arten der gesundheitlichen Einschränkungen fest, die Kinder in ihrer Teilhabe beeinträchtigen können“, so Pressereferent Till Döring. „Vor einigen Jahren waren es eher körperlich- oder sinnesbehinderte Kinder, die Unterstützung benötigten, um am Kita-Alltag teilzuhaben. Heute sind es Kinder mit Entwicklungsverzögerungen oder Formen von Wahrnehmungsstörungen, die den Großteil der gesundheitlichen Einschränkungen ausmachen.“

Bei kleinen Kindern könne man Autismusspektrumsstörungen nur schwer diagnostizieren. Auch mit der Diagnose bekomme nicht jedes Kind eine Integrationshilfe. Die Unterstützungsform hänge von der Teilhabeeinschränkung und von den Möglichkeiten der jeweiligen Kita ab.

LVR unterstützt in Duisburg 42 Prozent mehr Kinder im Kita-Alter

Ein Blick auf die offiziellen Zahlen, die nur die Kinder umfassen, die gefördert werden: Im Kindergartenjahr 2020/2021 haben insgesamt 596 Kinder aus Duisburg eine Unterstützung vom LVR erhalten, im Kindergartenjahr 2021/2022 waren es 847 – ein Plus von 42 Prozent. Einige Kinder haben lediglich eine Unterstützungsleistung erhalten, andere bekamen aufgrund der erheblichen Teilhabeeinschränkung mehrere Leistungen parallel. Die Zahl der Integrationshilfen sank leicht (190/170).

Der LVR betont, dass man neben solchen individuellen Unterstützungen vor allem darauf setze, das Setting in den Kitas insgesamt zu verändern: Kleinere Gruppen und zusätzliches Personal könnten dafür sorgen, dass Kinder mit einer Behinderung oder einer drohenden Einschränkung besser teilhaben könnten.

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Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es in Duisburg nicht genug Plätze für Kinder mit heilpädagogischem Förderbedarf in Kitas gibt. Michael Reichelt von der Lebenshilfe berichtet von Wartelisten für seine Kitas.

Familien herausgefordert durch Arbeitslosigkeit, Kriege und den Umgang mit sozialen Medien

Bei der Suche nach Ursachen für den verstärkten Unterstützungsbedarf für jüngere Kinder fällt der Blick schnell auf die Corona-Pandemie. LVR-Sprecher Till Döring sagt aber, dass auch „gesellschaftliche Herausforderungen wie Arbeitslosigkeit, Kriege und der Umgang mit sozialen Medien“ die Familien stark gefordert hätten und sich „unmittelbar auf die Entwicklung und Teilhaben von Kindern“ auswirken.

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Mutmaßungen, dass es mit der Zuwanderung zu tun haben könnte, seien mit Zahlen jedenfalls nicht belegbar, ergänzt Dr. Guido Wolf.

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>>UNTERSTÜTZUNG DURCH DEN LVR

  • Wann Menschen Unterstützung bekommen, wird nach dem Sozialgesetzbuch geregelt. Bei Kleinkindern reicht schon eine Verdachtsdiagnose, mit der sich Eltern an den LVR wenden können.
  • Kita-Träger können bei der Einschätzung helfen, welche Leistungen für das Kind hilfreich sind, sagt Till Döring vom LVR. Auch Leistungen von Krankenkassen oder anderen Rehabilitationsträgern würden in den Blick genommen.
  • Bei Frühförderungen – insbesondere im medizinisch-therapeutischen Bereich – teilen sich LVR und die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten.