Duisburg-Dellviertel. Ein komplettes Gemeindehaus in „City-Lage von Duisburg“ steht bei Immobilienscout zum Verkauf. Welche Gemeinde ausziehen will und warum.
Musiker könnten hier einziehen. Ein Fitness-Studio. Oder kleine Unternehmen, die sich zum Arbeiten einen gemeinsamen Workspace teilen wollen. Die Immobilienfirma, die das Objekt online anbietet, kann sich für den Standort jedenfalls eine Menge vorstellen. „Die Nutzungsmöglichkeiten der Immobilie sind vielseitig und bieten vielen Branchen den geeigneten Rahmen“, heißt es in der Anzeige auf Immobilienscout.
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1.195.000 Euro soll das „massiv gebaute“ Haus kosten, das ursprünglich aus dem Jahre 1961 stammt, im Jahre 1965 erweitert und 1992 umgebaut und saniert wurde. Auf insgesamt 270 Quadratmetern Wohn- und 1.630 Quadratmetern Nutzfläche befinden sich Büros, Gruppen- und Spielräume sowie Wohnungen. Es gibt einen Aufzug, mehrere teils behindertengerecht ausgebaute Sanitärbereiche, Foyers und eine Teeküche. Das wirklich Besondere sind aber mehrere große Räume, die genug Platz bieten für Versammlungen aller Art.
Gemeindehaus in Duisburg-City: Mehrere Säle bieten Platz für Hunderte Menschen
Allein im großen Saal, der sich über zwei Etagen erstreckt und über eine durch Lichteffekte inszenierte Empore verfügt, können mehr als 400 Menschen zusammenkommen. An den Wänden hängen ein großes Kreuz und eine Liedanzeige, die Fenster sind mit bunten Elementen verziert. Es ist nicht zu übersehen: Der Saal wurde bislang vor allem für Gottesdienste genutzt. Das Gemeindehaus, das von einem Moerser Immobilien-Service angeboten wird, gehört der Evangelisch-Freikirchlichen-Gemeinde (EFG) Duisburg-Mitte, die sich zu den Baptisten zählt und damit für die Gestaltung ihres Gemeindelebens und ihre Finanzierung selbst verantwortlich ist.
Schon seit längerem möchte die EFG die Immobilie an der Juliusstraße 10 aufgeben und umziehen. „Der Standort hat sich in den letzten Jahren aus Sicht der Gemeinde verschlechtert“, sagt Andreas Fischer von der Gemeindeleitung. Es sei nur schwer möglich, Kontakte ins Umfeld zu knüpfen. „Nachbarschaftsfeste, wie sie früher möglich waren, sind nicht mehr denkbar“, so Fischer.
Tatsächlich dürften viele Nachbarn wohl kaum Interesse an einer fröhlichen Kirchenfeier haben: Die Juliusstraße in Sichtweite des Stadtwerke-Turms verläuft parallel zu Charlotten- und Vulkanstraße. Dort befindet sich eines der größten Rotlichtviertel Deutschlands, das unter anderem durch den sogenannten „Rockerkrieg“ zwischen den Bandidos und den Hells Angels bundesweit in die Schlagzeilen geriet und bei manchem als „Wilder Westen des Ruhrgebiets“ gilt. „Knallen“ kann es hier jederzeit.
Weniger Besucher durch Corona-Pandemie
„Es ist schwer geworden, alltägliche Anknüpfungspunkte zu schaffen“, erklärt auch Andreas Fischer. Das vorbeilaufende Publikum bestehe hauptsächlich aus Berufstätigen oder „anderweitig Interessierten“, wie der Gemeindeleiter umschreibt. Auch mehrere Versuche, gemeinsam mit der Stadt Sprachkurse oder eine medizinische Versorgung für Obdachlose anzubieten, hätten nicht realisiert werden können.
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Die Kosten für den Unterhalt des Gebäudes ständen deswegen in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zur Nutzung. „Der Gemeindesaal ist für mehrere Hundert Besucher konzipiert. So viele Menschen kommen aber nur noch bei außergewöhnlichen Veranstaltungen“, resümiert Fischer. Wie bei vielen andere Gemeinden auch hätte Corona eine Entwicklung beschleunigt, die bereits vor der Pandemie begonnen hätte. Schon seit mehr als vier Jahren versuche man deswegen, die Immobilie an der Juliusstraße zu veräußern – bislang ohne Erfolg.
„Wir gehen die Situation aktiv an“
Sollte bis Ende des Jahres immer noch kein Käufer für das Gemeindehaus gefunden sein, will sich die EFG Alternativen überlegen und das Haus beispielsweise gemeinschaftlich mit Dienstleistern aus dem Bildungs- oder Kulturbereich nutzen. Als Opfer der Umstände sieht man sich dabei nicht. Im Gegenteil, betont Fischer. „Wir gehen die Situation aktiv an. Wir hoffen, nicht nur im physischen Sinne einen neuen Raum für uns zu finden, in dem wir Gutes in Duisburg bewirken können.“
>> Das Duisburger Rotlichtviertel früher und heute
- Das Sexarbeiter-Gewerbe rund um die Vulkanstraße hat Tradition. In den 1960er Jahren haben sich die ersten Etablissements niedergelassen, sie siedelten über von der anderen Seite der Altstadt.
- Die Geschichte der Prostitution in der Duisburger Altstadt geht schon auf das 19. Jahrhundert zurück. Die Sittenpolizei überwachte damals die Geschäfte im Rotlicht-Milieu, die laut Stadtarchiv als „Charakteristikum einer Hafenstadt“ geduldet wurden.