Duisburg. Der Krieg in der Ukraine verändert auch die Beziehungen zu China. Was das für Duisburg bedeutet, erklärt Prof. Dr. Markus Taube im Interview.

Der russische Angriff auf die Ukraine führt auch zu einer neuen Sicht auf die Beziehungen zu China. Was folgt daraus für Duisburg, das sich als „China-Stadt“ und Endstation der Neuen Seidenstraße sieht? Darüber spricht nach dem Parteitag der KP Chinas Prof. Dr. Markus Taube. Der renommierte Ostasienwissenschaftler der Uni Duisburg-Essen berät die Stadt bei der Entwicklung einer China-Strategie.

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Die Globalisierung werde neu definiert, sagen Sie. Was bedeutet das?

Markus Taube: Wir haben seit dem Fall des Eisernen Vorhangs eine Globalisierung mitgestaltet, die in erster Linie über ein ökonomisches Nutzenkalkül definiert war. Mit der Vermutung, der Systemwettbewerb sei zugunsten der Demokratien entschieden, haben wir die politischen Risiken weggeredet und uns auf eine ökonomische Win-Win-Situation fokussiert. Nun erfahren wir mit großer Brutalität, dass diese politisch-ideologischen Risiken weiter existieren.

Eine neue Sicht auf die Wirtschaftsbeziehungen zu China: Prof. Dr. Markus Taube, Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China an der Universität Duisburg-Essen (UDE) berät die Stadt.
Eine neue Sicht auf die Wirtschaftsbeziehungen zu China: Prof. Dr. Markus Taube, Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China an der Universität Duisburg-Essen (UDE) berät die Stadt. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Und nun?

Es gilt, uns neu aufzustellen, die Schönwetter-Globalisierung ist nicht mehr tragfähig. Wir müssen umstrukturieren, die neu erkannten Risiken einbauen, unsere Geschäftsmodelle vor allem bei der Versorgung mit Ressourcen umstellen. Das geht mit Wohlstandsverlusten und Kosten einher.

Ist das kurzfristig überhaupt möglich?

Nein, über drei Jahrzehnte gewachsene Abhängigkeiten lassen sich nicht über Nacht auflösen. Es gilt, mit Augenmaß zu schauen, wie man sie in neue Verbindungen überführen kann. Es gilt, bestehende Strukturen nicht einzureißen, sondern langsam herunterzufahren und gleichzeitig in neue Strukturen hineinzuwachsen. Das braucht Zeit – die Frage ist, ob wir sie haben.

Sie erwarten einen Rückgang des Ost-West-Transfers.

Ich gehe davon aus, dass wir weiter auch mit Asien intensive Beziehungen haben werden. Aber Unternehmen werden versuchen, klar abgegrenzte Lieferketten aufzubauen. Ich erwarte die Ausbildung dreier vergleichsweise autarker Produktionssysteme: Europa, Amerika, Asien. Diese werden untereinander weniger im Austausch stehen als bislang.

Die Beziehungen zu China werden auch für Duisburg schwieriger: Hafenchef Markus Bangen und OB Sören Link mit dem Düsseldorfer Generalkonsul Chinas, Chunguo Du (v.l.), beim NRW-China Business-Empfang am 2. September 2022 in der Mercatorhalle
Die Beziehungen zu China werden auch für Duisburg schwieriger: Hafenchef Markus Bangen und OB Sören Link mit dem Düsseldorfer Generalkonsul Chinas, Chunguo Du (v.l.), beim NRW-China Business-Empfang am 2. September 2022 in der Mercatorhalle © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Und China?

China ist Teil der in Ost- und Südostasien entstehenden Integrationsräume. Das ist gut, da es China in regelbasierte Strukturen mit starken Partnern einbindet. Daran sollte auch die neue Indopazifik-Strategie der EU ansetzen und China in einen größeren Kontext einbinden.

Ihre positiv formulierte Hoffnung lautet: Es gibt vielseitige Abhängigkeiten, die einen militärischen Konflikt um Taiwan verhindern.

Genau. Dass auf dem Parteitag die Ein-China-Doktrin nicht aufgegeben wurde, überrascht nicht. Peking sieht in Bestrebungen für eine formale Unabhängigkeit Taiwans einen Angriff auf eine Grundfeste des eigenen Selbstverständnisses. Aber Chinas wirtschaftliche Zukunft – und Xi Jinpings Macht – basiert auf den kleinen Chips des kleinen Taiwan. Militärisch kann man diese nicht bekommen. Im Gegenteil, jede militärische Aggression wäre für China ökonomischer Selbstmord. Aber wir haben durch den russischen Angriff auf die Ukraine gelernt, dass das allein noch kein Hinderungsgrund sein muss für Herrscher, die „übergeordnete“ Ziele verfolgen.

Was heißt das für Duisburg?

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Die Stadt ist eine zentrale Logistikdrehscheibe in Westeuropa. Das wird so bleiben. Die eiserne Seidenstraße zu nutzen, um das eigene Wachstum zu fördern, war ein legitimes Anliegen und bleibt eine gute Idee. Die Spielräume und Möglichkeiten werden aber kleiner. Was künftig möglich ist, muss auch in die gesellschaftlich-politische Lage in Deutschland und China passen.

Sollte Duisport sich also neu orientieren?

Man muss wissen: Das Chinageschäft hat nur einen geringen Anteil am Gesamtumsatz des Hafens. Außerdem wird dieses nicht wegbrechen, nur weil Cosco nicht mehr am neuen DG-Terminal in Ruhrort beteiligt ist. Das Terminal wird voll ausgelastet sein, wahrscheinlich auch mit Containern aus China. Vielleicht zeigt der Rückzug der Reederei aber, dass auch China die Verbindung neu bewertet. Das heißt: Auch der Hafen wird neu abwägen müssen, wie viel Potenzial die Seidenstraße künftig bietet, solange dieses oder ein ähnliches Regime in Russland an der Macht ist.

Die Ankunft des 10.000 Containerzugs aus China in Duisburg feierten Hafen und Stadt mit Vertretern Chinas im vergangenen Juli. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine beeinträchtigen die Verbindung durch Russland.
Die Ankunft des 10.000 Containerzugs aus China in Duisburg feierten Hafen und Stadt mit Vertretern Chinas im vergangenen Juli. Die Pandemie und der Krieg in der Ukraine beeinträchtigen die Verbindung durch Russland. © duisport | krischerfotografie

Sie arbeiten an einer Studie für die Stadt. Wie lautet ihre Empfehlung?

Es soll ja kein einmaliger Report sein. Wir sind im permanenten Dialog und versuchen Impulse und Einschätzungen zur jeweils aktuellen Lage zu geben und Optionen aufzuzeigen.

Das klingt nach Dauerauftrag.

Im Titel steht: Begleitforschung. So verstehe ich das auch. Die Herausforderungen verändern sich. Das zeigt die russische Aggression in der Ukraine, die massive Auswirkungen auf unser Verhältnis zu China hat.

https://www.waz.de/staedte/duisburg/partnerschaft-duisburg-wuhan-staedte-fuehren-keine-kriege-id235781185.htmlRechnen Sie mit Restriktionen auch im wissenschaftlichen Austausch mit China?

Wir freuen uns, wenn der Sprachaustausch für Studierende wieder möglich ist. Für sie ist es sehr wichtig, China zu erleben. Forschungskontakte pflegen wir vor dem Hintergrund deutscher Sicherheitsinteressen.

Auch das Duisburger Konfuzius-Institut muss seine Beziehungen zu China neu ordnen. Wie ist der Stand der Gespräche?

Mit Li Chao ist ein chinesischer Co-Direktor ernannt, aber er befindet sich noch in Wuhan. Die Vertragsverhandlungen laufen. Die deutsche Seite hat sehr klar gesagt, was in der Satzung des Trägervereins stehen kann und muss. Das wird jetzt diskutiert mit der Universität Wuhan. Es ist auch für die chinesische Seite ein Lernprozess. Ein Ende der Gespräche ist noch nicht absehbar. Ohne die Möglichkeit persönlicher Kontakte ist das nicht einfach.

China bleibt bei der Null-Covid-Politik. Überrascht Sie das?

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Nein. Egal was sie machen: Es ist nicht gut. Die chinesischen Impfstoffe wirken nicht wirklich und die nationalistische Impfstoff-Politik Beijings verhindert die Nutzung ausländischer Vakzine. Jetzt gibt es eine Bevölkerung, die nicht geimpft ist, und weiterhin über Lockdowns vor dem Corona-Virus isoliert werden muss. Eine Corona-Welle würde wohl zu vielen Toten und Erkrankten führen. Die Schäden dieser Politik in Form gesellschaftlichen Unmuts und wirtschaftlichen Verlusten sind aber immens. Tatsächlich ist es die Corona-Politik, die das Vertrauen westlicher Unternehmen in den Standort China am stärksten erschüttert hat.

Worauf kommt es an bei einer europäischen Strategie in Bezug auf China?

Wir wollen keinen Einfluss auf kritische Infrastruktur, wollen Erpressbarkeit verhindern. Die Kontrolle über den größten Teil der deutschen Gasversorgung in russische Hand zu geben – das ist unfassbar. Aber im Hamburger Hafen und auch in Duisburg ging es um eine Minderheitsbeteiligung an der Betreibergesellschaft eines Terminals, sonst nichts. Das finde ich akzeptabel. Wir sollten ein wenig smarter mit der Situation umgehen, ins Detail schauen, Hysterie herausnehmen. So lassen sich die besten Antworten für einen Strukturwandel finden.

ZUR PERSON: PROF. DR. MARKUS TAUBE

  • Markus Taube gilt als einer der renommiertesten deutschen China-Experten. Er hat Volkswirtschaft und Sinologie in Trier und in der Duisburger Partnerstadt Wuhan studiert und ist Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China der Mercator School of Management sowie Direktor der IN-EAST School of Advanced Studies an der Universität Duisburg-Essen. Vor seinem Wechsel nach Duisburg war er von 1996 bis 2000 am ifo Institut für Wirtschaftsforschung in München tätig.
  • Um die Zukunft des Duisburger Konfuzius-Instituts geht es derzeit auch in seiner Funktion als Ko-Direktor. Nach dem Eklat um die Absage einer Lesung aus einer Biografie von Adrian Geiges und Stefan Aust über Staatschef Xi Jinping auf chinesischen Druck im Oktober 2021 werden die Statuten des deutsch-chinesischen Trägervereins neu formuliert.