Duisburg. Es ist fast wie ein neuer Duisburger Stadtteil: Im Delta-Dorf können bis zu 2400 Geflüchtete aus der Ukraine leben. So sieht es dort aus.
Auf dem Gelände der ehemaligen Großdiskotheken Delta Music Park und Tentorium in Hamborn wächst Duisburgs größte Flüchtlingsunterkunft. Das „Delta-Dorf“ könnte bei höchster Auslastung rund 2400 Menschen Platz bieten, und wäre damit nicht viel kleiner als Stadtteile wie Ungelsheim oder Bissingheim, die knapp 3000 Einwohner zählen.
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Die Beschriftung der Taxispuren aus Hochzeiten des Duisburger Nachtlebens ist noch auf dem Asphalt zu erkennen, jetzt flitzt ein kleines Mädchen mit ihrem rosa Fahrrad darüber, vorbei an Zelten mit spitzen Dächern, wie man sie von Festivals kennt, in denen dann Crêpes verkauft werden oder Fanartikel. Jetzt ist darin die Rezeption untergebracht, das Welcome-Center und die Kleiderkammer, davor hat sich eine Schlange gebildet.
Delta-Dorf in Duisburg soll Geflüchteten helfen, „in Ruhe anzukommen“
Eine kleine Bimmelbahn steht abfahrbereit, sie pendelt zwischen dem Dorf und der Kraftzentrale im Landschaftspark. So sollen die Bewohner ihre sozialen Kontakte pflegen und die Angebote an beiden Standorten nutzen können.
Das „Delta-Dorf“ soll dazu dienen, „in Ruhe anzukommen“. Hier gebe es gutes Essen, soziale Kontakte, Unterstützung. Einige, die bereits in Wohnungen vermittelt wurden, seien wieder zurückgekommen, weil sie sich in der großen Stadt zu allein fühlten, berichtet Feuerwehrchef Oliver Tittmann verständnisvoll. Und mit Blick auf einen weißen Pudel, der gerade an der Leine aus einem Zelt herausgeführt wird, sagt er, dass es bislang kein einziges Problem wegen der Tiere gegeben habe.
Zeltstadt für Geflüchtete in Duisburg.
Schulzelt und eine Großküche für bis zu 5000 Leute
Während mit großem Gerät neue Zelte aufgebaut werden, sind die bestehenden bereits mit 658 Personen belegt, 511 Plätze seien frei, sagt Stadtdirektor Martin Murrack. Das Dorf ist eine ständige Bewegung: Aus dem Verpflegungszelt soll ein Schulzelt werden, das neue Zelt daneben wird die Kantine, daneben entsteht eine Großküche für die zentrale Versorgung. Damit könnten theoretisch sogar 5000 Leute bekocht werden, sagt Oliver Kersten vom gleichnamigen Feinkostbetrieb, der hier Seite an Seite mit der Lebensmittelaufsicht mal eben die Küche aus dem Zeltboden stampft.
Flexibilität ist hier Trumpf, allein der Speiseplan unterliegt dem steten Wandel dessen, was zu kriegen ist und was nicht. „Wenn alles reibungslos läuft, starten wir kommende Woche“, sagt Kersten optimistisch in die Leere hinein. „Und wenn nicht, ruft ihr die Feuerwehr!“, sagt Tittmann lachend. So läuft das hier. Man kennt sich, man rockt das. Mit Humor und Handschlag.
Kabinen möglichst mit Familien belegen
Insgesamt 20 Zelte werden bald aufgebaut sein, darunter neun Schlafzelte. Zwei 40-Tonner machten mit ihrer Ladung aus einer Wiese einen großen Sandkasten, über Spenden kamen Rutschen und Spiele, zwei Jungs stolpern mit viel zu großen Tennisschlägern hintereinander her.
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Solange es geht, wolle man die Kabinen mit maximal drei Menschen belegen und Familien zusammen lassen, sagt Feuerwehrchef Oliver Tittmann. Theoretisch könnte aber jede Kabine mit bis zu acht Personen ausgelastet werden. Ein Zelt, das auf Bewohner wartet, ist drinnen angenehm temperiert, die Dächer bestehen aus einer Thermoplane, damit sich die Zelte in der Sonne nicht so aufheizen. Sortiert werden sie nach Zahlen, für die Kinder helfen Tiersymbole, damit sie ihr Zuhause auf Zeit wiederfinden.
60 Euro pro Mensch pro Tag – „all inclusive“
In einem Zelt stehen Trockner und Waschmaschinen, in einem anderen sollen Jugendliche Ablenkung finden mit einem Billardtisch und Netflix-Account, „da laufen Filme auch auf ukrainisch“, erzählt Dorf-Chef Sebastian Eimers. Er hatte schnell beobachtet, dass diese Altersgruppe auf dem Areal „sehr verloren“ wirkte.
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Was das alles kostet? 60 Euro pro Mensch pro Tag – „all inclusive“, sagt Murrack. Die Kosten würden zum Teil von Bund und Land erstattet. „Ich rechne mit einem dreistelligen Millionenbetrag, durch die Erstattungen werde dieser vielleicht zweistellig“, sagt Murrack.
Gerechnet wird dabei auch pragmatisch: Der Internet-Verteiler war billiger gekauft als gemietet, bekommt nun das rote Feuerwehr-Branding und soll Duisburg perspektivisch auch über den Ukraine-Krieg hinaus bei Großveranstaltungen dienen. Ikea haben sie leergekauft, um genug Lampen, Betten, Pipapo zu haben. Weil der Duschcontainermarkt leer gefegt ist, wurden Alternativen in Katastrophenschutzmanier zusammengelötet. Die sind aber explizit als Reserve gedacht, etliche der begehrten Nasszellen stehen in Reihe, weil Duisburg schneller war als andere Kommunen.
„Ich rechne mit einem stetigen Zuzug, bis es Frieden gibt“
Angesichts der Berichte von zurückkehrenden Ukrainern: Für wen ist das alles? Die Dynamik des Zuzugs ist etwas abgeebbt, bestätigt Murrack, Duisburg habe sein Soll mit 117 Prozent übererfüllt und werde deshalb bei den zentralen Verteilungen nicht berücksichtigt. Dennoch kämen täglich neue Menschen an, Familienangehörige beispielsweise. „Ich rechne mit einem stetigen Zuzug, bis es Frieden gibt“, berichtet der Stadtdirektor.
Außerdem ist er im Gespräch mit dem Land, denn das suche noch einen Ort für eine Landesunterkunft. „Wenn das Land die Kapazitäten braucht, halten wir an der Kraftzentrale fest, sonst ziehen wir sie leer und verlegen die Menschen ins Delta-Dorf.“ Bis Ende Oktober ist der größte Veranstaltungsort des Landschaftsparks geblockt. https://www.waz.de/staedte/duisburg/aerger-wie-duisburg-wohnungen-fuer-gefluechtete-beschlagnahmt-id235040765.html
>>>SO VIELE UKRAINER LEBEN IN DUISBURG
- In Duisburg leben derzeit 2380 Flüchtlinge aus der Ukraine. 840 konnten laut Martin Murrack bereits in Wohnungen untergebracht werden, dafür seien 257 Wohnungen angemietet worden. Weitere 241 Wohnungen stünden zur Verfügung, die jetzt nach und nach belegt werden sollen.
- Als Zielmarke nennt Murrack 1600 Geflüchtete, die dezentral untergebracht werden.
- Verglichen mit 2015/2016 habe die Stadt schon jetzt mehr Geflüchtete in Wohnungen vermitteln können. Insgesamt laufe die aktuelle Herausforderung geräuschloser ab. Allerdings habe Duisburg im Vergleich zu Städten wie Köln einen Vorteil, weil dort der Wohnraum viel knapper ist.