Duisburg. Zwei Duisburger Musiker spielten in der Flüchtlingsunterkunft im Landschaftspark. Warum es ein hochemotionaler Konzertabend wurde.

„Musik ist die Sprache, die man überall auf der Welt versteht“, zitiert der Musiker Jupp Götz seinen verstorbenen Vater Sepp. So wahr wie am Donnerstagabend ist dieser Satz vielleicht noch nie gewesen. Gemeinsam mit dem Akkordeonisten Heinz Hox spielte Götz in der Flüchtlingsunterkunft in der Kraftzentrale des Landschaftsparks für Menschen aus der Ukraine. Der Abend entwickelte sich zu einem Plädoyer für die einzigartige Kraft der Musik – und zu einem Beispiel kindlicher Euphorie und Resilienz im Angesicht einer humanitären Katastrophe.

[Nichts verpassen, was in Duisburg passiert: Hier für den täglichen Duisburg-Newsletter anmelden.]

Schon der Soundcheck im geschäftigen Gemeinschaftsbereich der Kraftzentrale wird von jubelnden Kindern begleitet. Die Feuerwehr und das Team der Unterkunft haben eine kleine Bühne aufgebaut und Bänke aufgestellt, auf denen sich vor allem die Kinder versammeln. Aber auch die Erwachsenen freuen sich über die musikalische Abwechslung, das Konzert hat noch gar nicht angefangen, da schleppen die Hallenbewohner schon zusätzliche Bierbänke vor die Bühne.

Menschen streamen das Konzert aus Duisburg live in die Ukraine

Kein Wunder: Viele der Menschen wohnen schon seit sechs Wochen in der Kraftzentrale und sind dem Lagerkoller gefährlich nah. Die organische, handgemachte Musik von Götz und Hox ist da natürlich eine willkommene Abwechslung, und als die Musiker das Konzert beginnen, brandet einmal mehr Jubel auf.

Auch interessant

Und es entpuppt sich ein heimlicher Co-Star des Abend. Dolmetscherin Olga übersetzt die Ansagen von Jo Götz – und ist gleichzeitig Animateurin und Tanzpartnerin für die Kinder der Kraftzentrale. „Ich möchte euch alle willkommen heißen, schön, dass ihr da seid“, ruft Götz dem Publikum entgegen, und beginnt den Abend mit „Baker Street“. Überall in der Halle wandern die Mundwinkel zusehends nach oben, nicht wenige Menschen schicken das Konzert per Videotelefonie live in die ukrainische Heimat zu Freunden und Verwandten.

Kinder tanzen in der Duisburger Kraftzentrale auf den Bänken

In den ersten Reihen tanzen die Kinder schon nach wenigen Takten auf den Bänken und zaubern ein euphorisches Lächeln auf die Gesichter von Jupp Götz und Heinz Hox. „Das ist unglaublich“, wird Götz nach dem Konzert sagen, „bei allem was die durchgemacht haben, so eine Freude zu zeigen.“ Er hat Recht – und die Musik erweist sich wieder als der kleinste gemeinsame Nenner, als Kitt, der die Weltgemeinschaft zusammenhält.

Vergnügen ganz beiderseits: Jupp Götz (r.) und Heinz Hox freuten sich bei ihrem Konzert im Flüchtlingsheim im Duisburger Landschaftspark mindestens genauso sehr über das Publikum, wie sich die Ukrainer über die Musiker freuten.
Vergnügen ganz beiderseits: Jupp Götz (r.) und Heinz Hox freuten sich bei ihrem Konzert im Flüchtlingsheim im Duisburger Landschaftspark mindestens genauso sehr über das Publikum, wie sich die Ukrainer über die Musiker freuten. © Thomas Berns

Egal ob Peter, Paul and Marys „500 Miles“, Otis Reddings „Sittin on the Dock of the Bay“ oder der Klassiker „Country Roads“, das Publikum tanzt, klatscht, singt und jubelt hemmungslos. Und Götz und Hox freuen sich genau so, denn „das ist der schönste Applaus, den wir seit zwei Jahren bekommen haben.“

Großer Applaus für Sting-Songs in der Duisburger Kraftzentrale

Es ist eine unbeschwerte, ausgelassene Stimmung, die am Donnerstag die ganze Kraftzentrale ergreift, von den ukrainischen Kindern bis zum stämmigen Sicherheitsmann berührt die Musik wirklich jeden. Einen extragroßen Applaus gibt es, als Olga Sting als Urheber der nächsten beiden Songs ankündigt – die Stellungnahme der Musiklegende mit seinem Klassiker „Russians“ haben auch die Geflüchteten aus der Ukraine mitbekommen.

Zu Elvis Presleys „Can’t help falling in Love“ schwenken die Menschen die Handytaschenlampen, und zu CCRs „Bad Moon Rising“ mobilisieren die Kinder in der ersten Reihe noch mal die letzten Kraftreserven und werfen die Arme in die Luft. Das Konzert endet mit einem sanften, zuckersüßen „Moon River“ – und purer, unverdorbener Freude auf beiden Seiten der Bühne.

Wo man singt, da lass dich nieder

Vor dem Konzert wünschte sich Götz, dass die Menschen „eine Stunde die Welt vergessen können“. Dieser Wunsch ging in Erfüllung, für die Kraftzentralenbewohner wie für die Musiker selbst. Und so kitschig es klingen mag: In Zeiten, in denen Menschlichkeit und Frieden unendlich fern scheinen, gibt die Musik ein Stück Hoffnung wieder. Kein Lied drückt das so passend aus wie John Lennons „Imagine“ – oder ein berühmter Gedichtauszug: „Wo man singt, da lasse dich ruhig nieder, böse Menschen haben keine Lieder.“

>> MENSCHEN IN DER KRAFTZENTRALE HABEN ALLE FREIHEITEN

  • Die Menschen in der Kraftzentrale dürfen kommen und gehen, wie sie wollen. „Die sind hier ganz frei“, erklärt ein Vertreter der Feuerwehr am Rande des Konzerts. Auch Alkohol ist erlaubt, nur geraucht werden muss vor der Halle.
  • Von den rund 500 Menschen in der Kraftzentrale sind rund 120 Moslems. Die begehen den Fastenmonat Ramadan allabendlich in Zelten vor der Kraftzentrale, um die anderen Geflüchteten nach der Bettruhe um 22 Uhr nicht zu stören. Das Zuckerfest, und damit das Ende des Ramadans, ist in diesem Jahr am Sonntag, 1. Mai.