Duisburg. Hauptkommissar Werzinger war für alle ansprechbar: Nachbarn aus dem Dellviertel, Szene im Kant-Park und Personen von der Vulkanstraße. Rückblick.
Michael Werzinger ist auf Abschiedstour. Gut 45 Jahre war der Hauptkommissar im Polizeidienst, zuletzt als Bezirksbeamter für das Dellviertel und die Altstadt. „Kontaktbeamter“ lautet die Berufsbeschreibung und gut mit Leuten reden kann der 61-Jährige zweifelsohne. Er übte mit Kindern den Schulweg, hatte einen Draht zur Trinker- und Drogenszene im Kant-Park und auch der Rotlichtbezirk rund um die Vulkanstraße lag auf seiner Route.
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„Nicht jeder passt in diesen Bezirk“, weiß Werzinger. Er wollte nie tauschen. Mit 16 Jahren ist er zur Polizei gekommen – die Alternative wäre das Finanzamt gewesen. „Das hätte meine Mutter bevorzugt, aber der Werbeslogan der Polizei damals war: ,Bei der Polizei können Sie Hubschrauber fliegen, Motorrad oder Porsche fahren. Kein Tag ist wie der andere’“, erinnert sich der Hauptkommissar. Im Polizei-Porsche saß er nie, auf dem Krad nur für den Führerschein – aber kein Tag war wie der andere.
Duisburger Bezirksbeamter hatte nie Berührungsängste
Bevor der Volleyball-Bundesligatrainer in den Bezirksdienst versetzt wurde, war er Jahre lang bei der Hundertschaft, hat Demonstrationen gesichert und Fußballspiele begleitet. „In diesem Bereich ist man sehr repressiv unterwegs. Vielleicht haben sie mich deshalb nach Duisburg geschickt“, vermutet er. Doch über all die Jahre und im Umgang mit den unterschiedlichen Personen sei ihm immer wichtig gewesen, „Mensch zu bleiben“. Berührungsängste hatte er jedenfalls nie: „In der Szene ist eine hohe Fluktuation. Ich habe viele kommen und gehen, einige sterben gesehen. Wenn man mal dahinter guckt, weiß man, dass man sehr schnell in eine Situation kommen kann, in der man auf der Straße landet.“
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Die Politiker haben oft über besagte „Szene“ diskutiert. Als die Trinker vor dem Netto an der Kuhstraße saßen und dort ihr Bier kippten. Später, als sie Richtung Altstadt zogen oder wenn sie nun am Lifesaver-Brunnen hocken.
Auch die Umgestaltung des Kant-Parks sollte dafür sorgen, dass sich die Personen nicht mehr wohl fühlen. Genutzt hat es nichts. „Es gab immer den Kodex in der Szene, dass man Szene-Fremde in Ruhe lässt und dass der Spielplatz tabu ist“, weiß er und unterstützt deshalb die Aussage, dass der Kant-Park kein Angstraum sei. „Wenn man in die anderen Großstädte schaut, dann ist die Situation hier noch harmlos.“ Bloß: Werzinger ist kein Sozialarbeiter, er kann die Dinge nicht ändern – das müsste die Politik tun. „Der Nachteil der Polizei ist, dass wir immer zu spät kommen. Wir können aufklären, aber immer erst später.“
Die Rolle als „Freund und Helfer“ gefällt ihm – trotzdem kann er auch umschalten
Obwohl sich der Hauptkommissar selbst als „Spaßbacke“ bezeichnet, der immer einen Spruch auf den Lippen hat, kann er auch umschalten. Meist macht er einmal eine Ansage, dann ein zweites Mal. „Entweder machst du dich nackig oder ich mach das“, warnt er schließlich, wenn sich jemand einer Durchsuchung widersetzen will. Dann kapierten die Delinquenten schon, was die Stunde geschlagen hat und kooperierten. Aber jüngere Kollegen müssten diese Ansprache erst trainieren.
Wenn der Bezirksbeamte jemanden erreichen wollte, wusste er, wo er seine Pappenheimer findet. Meist ging es um kleinere Haftbefehle, weil Strafen nicht gezahlt wurden. „Die Leute haben ja kein Konto. Ich habe dann mit ihnen gesprochen, dass sie das Geld am Monatsanfang vorbeibringen, wenn es wieder welches gab.“ Die meisten hielten sich dran und kamen samt offenem Betrag zur Citywache.
In anderen Fällen streckte Werzinger auch mal fünf Euro Rezeptgebühr vor, damit der eine oder andere seine Medikamente abholen konnte. „Das Geld habe ich immer wiederbekommen.“ Den anderen hat er erst gar keine Euro geliehen – „Menschenkenntnis.“ Früher gehörte auch das „Haus am Hafen“ zu seinem Bezirk. „Manchmal, wenn ich in Kaßlerfeld Vertretung gemacht habe und im Wolfgang-Eigemann-Wohnheim vorbeigekommen bin, habe ich alte Bekannte wieder getroffen, die wieder auf die Beine gekommen sind.“
Abschied von seinen Männern im Kant-Park
Zuletzt hat ausgerechnet Google die Arbeit von Michael Werzinger erheblich erleichtert. Viele, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, verstanden die Amtsbriefe nicht – und auch nicht, was der Polizist von ihnen wollte. Früher musste er sich mit Händen und Füßen verständigen, später ging es dann mit Hilfe des Übersetzungsprogrammes. Und manchmal kamen die Leute dann selbst auf ihn zu und fragten, ob er ihnen helfen könne. Die Rolle als „Freund und Helfer“ gefiel ihm am besten.
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Auf seiner letzten Runde stoppt Werzinger natürlich auch im Kant-Park. Eine Handvoll Leute sitzt an diesem Morgen auf der langen Bank beim Bier – alte Bekannte. „Männer, ihr müsst jetzt ganz stark sein, heute bin ich zum letzten Mal da“, verkündet er breit grinsend. „Wie?“, fragt Bernd. „Gehste etwa in Rente?“ Werzinger nickt: „Jo.“ Ein anderer sagt: „Da müssten wir ja jetzt eigentlich einen ausgeben.“ Aber das Bier ist schon leer. „Wat machste denn zu Hause – Gartenarbeit?“, interessiert sich einer von den Männern. Der Bezirksbeamte verrät, dass er gerne reist und sich als Trainer weiter dem Volleyball widmen wird. „Mensch, wir kennen uns doch schon Jahre. Damals saßen wir noch beim Heiratsmarkt auf der Amtsgerichtswiese“, sinniert einer.
Werzinger unterhält sich eine Weile. Dann kloppt er Bernd zum Abschied auf die Schulter und schlendert zurück Richtung City-Wache. „Gut, dass ich damals nicht zum Finanzamt gegangen bin.“
>> Nachfolger beginnt im Mai seinen Dienst
Der Nachfolger von Michael Werzinger steht schon fest – er tritt seinen Dienst am 2. Mai an und teilt sich das Gebiet dann mit der Kollegin, die die Altstadt und die Innenstadt mitbetreut hat.
49 Bezirksbeamte gibt es in Duisburg – pro 10.000 Einwohner gibt es eine Stelle.