Duisburg. Seit zehn Jahren sind die Fußgängerzone und die Altstadt Michael Werzingers Revier. Er kennt seine Pappenheimer, weiß, wer in all den Jahren weiter abgerutscht ist. An einem Tag übt er mit Grundschülern für die Fahrradprüfung, dann ist er auf Streife an der Vulkanstraße. Tauschen möchte er nicht.

„Moin Chef.“ Klaus Lakus tippt sich an die Stirn, als er den Bezirksbeamten Michael Werzinger auf seiner Runde durch die Stadt sieht. Es ist elf Uhr morgens, Lakus hockt beim Bier. Seine Trinkkumpanen, die mit ihm vor den Pavillons an der Kuhstraße kauern, haben auch schon was weggebechert. „Alles gut?“, erkundigt sich Werzinger, und blickt in die Runde. Die Männer nicken. Seit zehn Jahren sind die Fußgängerzone sowie die Altstadt Werzingers Revier. Er kennt seine Pappenheimer, weiß, wer in all den Jahren weiter abgerutscht ist oder wer schon einmal gesessen hat. „Nicht jeder Beamte passt in diesen Bezirk“, weiß der 53-Jährige. Er ist der Ansprechpartner für alle: Obdachlose, zugewanderte Rumänen, Prostituierte oder die Grundschulkinder, mit denen er für die Fahrradprüfung lernt. Werzinger möchte nicht tauschen.

Mit 16 Jahren ist er zur Polizei gekommen – die Alternative wäre das Finanzamt gewesen. „Der Slogan war damals: ,Bei der Polizei können Sie Hubschrauber fliegen, Motorrad oder Porsche fahren. Kein Tag ist wie der andere’“, erinnert sich der Hauptkommissar. Im Polizei-Porsche saß er nie, auf dem Krad nur für den Führerschein – aber kein Tag ist wie der andere. Bevor sich der Volleyball-Bundesligatrainer in den Bezirksdienst versetzen ließ, hat er Demonstrationen gesichert oder war in Stadien unterwegs.

Immer was zu tun an der Charlottenstraße

Auf der Münzstraße spricht ihn ein älterer Herr an, gibt ihm einen Tipp, welche Ecke er sich mal anschauen soll. Auf dem Weg zur Charlottenstraße, erledigt er noch eine Halterermittlung. Die Stadt Regensburg sucht eine Frau, dessen Wagen geblitzt wurde. Das Auto ist auf eine Firma zugelassen, die schon längst nicht mehr existiert. „Die meisten empfangen einen freundlich“, weiß der Bezirksbeamte. Nur für Haftbefehle nimmt er lieber einen Kollegen mit.

An der Charlottenstraße, Hausnummer 77, ist immer etwas zu tun. Offiziell sind 171 Erwachsene und Kinder hier gemeldet, Rumänen zumeist. Es leben aber schätzungsweise 250 Personen in den Wohnungen. Die Familiennamen haben sie über die abgerissenen Briefkästen gekritzelt. Die Mülltonnen quellen über. Gegenüber blinkt die Werbung des Sexkinos. Schon von weitem sehen die Bewohner den Hauptkommissar. Einige verkrümeln sich diskret, andere scharen sich um ihn. Einer zückt ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft und stürmt auf Werzinger zu. Die Schulden soll er in Raten abbezahlen, sonst drohen ihm 119 Tage Haft. Nun will er wissen, ob er deshalb Probleme mit der Polizei bekommen kann. „Wenn du jeden Monat zahlst, ist es gut“, erklärt Werzinger in einfachem Deutsch. „Wenn nicht, musst du in Arrest.“ Der Mann nickt. „Ich versuche ihnen menschlich zu begegnen und zu helfen.“

Guter Ruf unter den Hilfsbedürftigen

An den Problemen ändern könne er nichts, dafür sei die Politik zuständig. Er kennt die Besitzer der Häuser und Bordelle, grüßt einen Sicherheitsmann der Bandidos. Aber Werzinger sagt auch: „Nach Einbruch der Dunkelheit gehe ich hier alleine nicht mehr hin.“ In einem der Etablissements trifft er einen weiteren ,Kunden’. „Du musst dich melden, sonst gibt’s Probleme“, rät er ihm eindringlich.

Vom Rotlicht-Milieu geht’s zum Kantpark. Er grüßt die Frauen und Männer, die an den Bänken zusammenstehen. Einer von ihnen taucht in einer schwarzen Jacke auf. Es ist eine „Supporter“-Jacke der Hells Angels. „Wie kommste denn daran? Du fährst doch höchstens Fahrrad“, fragt Werziner. „Hab’ ich gefunden. Die ist wenigstens warm“, erzählt der Mann. Sie wissen, Werzinger ist einer von den Guten. Die meisten haben sogar seine Handynummer. Wenn sie nicht mehr weiter wissen, melden sie sich. Manchmal auch nachts.