Duisburg. Markus Hanna ist in Duisburg geboren, hat hier Abitur gemacht und studiert. Absurd: Er soll er erst Syrer werden, um Deutscher sein zu können.
Mehr Duisburger geht nicht: Markus Hanna wurde im Bethesda-Krankenhaus geboren, hat am Landfermann-Gymnasium Abitur gemacht, an der Uni Duisburg-Essen (UDE) Mathematik studiert, ehe er ein duales Studium für Informatik bei der Telekom aufnahm. „Ich fühle mich wie ein spießiger Deutscher“, sagt der 25-Jährige, der seit frühester Jugend immer in Duissern gelebt hat. Doch ausgerechnet das – ein Deutscher – darf Markus Hanna nicht sein. Er ist seit seiner Geburt, wie sein fünf Jahre älterer Bruder, in Deutschland geduldet nach Paragraf 25, Absatz 5 des Ausländergesetzes – aus humanitären Gründen. „Eigentlich bin ich nichts“, sagt der junge Mann.
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Die Geschichte beginnt knapp zehn Jahre vor der Geburt von Markus Hanna in Aleppo. Dort beschließt sein Vater Hanna Hanna nach traumatischen Erfahrungen im Militärdienst, seine Heimat Syrien in Richtung DDR zu verlassen. Über Ost-Berlin – das Transitvisum trägt den Stempel vom 30.8.1986 – führt ihn bald der Weg in die Bundesrepublik und nach Duisburg.
„Da ging auch Joseph aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, weil er aus dem Hause und Geschlechte Davids war, um sich einzutragen mit Maria, seiner Angetrauten; die war schwanger. Es geschah aber, als sie dort waren, dass sich die Tage erfüllten, dass sie gebären sollte. Und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen, und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn in der Herberge war kein Platz für sie.“ (aus dem Lukas-Evangelium)
Vater betreibt seit 20 Jahren eine Schneiderei auf der Hansastraße
Hier lernt Hanna 1989 auch Nadia kennen, die Mutter, die eigentlich auf dem Weg nach Schweden war. Christin ist auch sie, deshalb geben sie ihren Söhnen die Namen der Evangelisten Matthäus und Markus. Den Vater kennen viele Duisserner aus seiner Schneiderei, die er vor 20 Jahren an der Hansastraße 96 eröffnete, nachdem er zuvor zehn Jahre in einer Matratzenfabrik gearbeitet hatte.
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Die junge Familie über Wasser zu halten, war für die Eltern zunächst wichtiger, als die deutsche Sprache so gut zu lernen, dass es für den zur Einbürgerung erforderlichen Sprachnachweis gereicht hätte. Beide leben deshalb seit vielen Jahren mit einer Niederlassungserlaubnis und einem unbefristeten Aufenthaltstitel in Duisburg. „Mein Vater hat erneut die Einbürgerung beantragt. Sobald er 60 ist, ist der Sprachnachweis nicht mehr erforderlich“, berichtet Sohn Markus.
Aus Angst vor Militärdienst: Eltern beantragten keine syrischen Pässe für die Söhne
So blieben die Eltern Syrer und auch ihre Söhne wurden keine Deutschen. Dazu hätten der Eltern ihre Heirat und die Geburt der Söhne bei der syrischen Botschaft anzeigen müssen, um dann ein Familienbuch ihres Herkunftslandes zu beantragen. „Mein Vater hat das nicht gemacht, weil er fürchtete, dass auch wir dann irgendwann in Syrien Militärdienst leisten müssen“, berichtet Markus Hanna.
Gekümmert haben sich die Hannas ab 2010, als die Söhne bald erwachsen wurden. Verwandte hätten das Verfahren in Aleppo in Gang gebracht. Als das syrische Familienbuch letztlich vorlag, kam der Bürgerkrieg. „Man hätte es persönlich abholen müssen, aber daran war nicht mehr zu denken“, sagt der 25-Jährige, der damit wie sein Bruder in der Zwickmühle sitzt.
Alle Dokumente seit der Geburt von der Stadt Duisburg ausgestellt
Kein deutscher Pass ohne syrischen Pass, so lautet die einfache Gleichung für beide. Sie sollen sich, so heißt es beim Duisburger Ausländeramt, zunächst um einen syrischen Pass bemühen, um dann einen deutschen zu bekommen.
„Irgendwie absurd. Ich war nie in Syrien, verstehe nur wenig Arabisch, habe mit diesem Land nichts zu tun“, sagt Markus Hanna. Zum Nachweis seiner Identität sei ein syrischer Pass für die Duisburger Ausländerbehörde wohl kaum erforderlich: All seine Dokumente, von der Geburtsurkunde bis zum Abiturzeugnis, hat die Stadt Duisburg ausgestellt.
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Sich ohne syrisches Familienbuch in der syrischen Botschaft registrieren zu lassen, sei zudem kaum möglich, berichtet er. „Für die Syrer existieren wir gar nicht. Ich müsste zwei syrische Staatsbürger, die zum Zeitpunkt meiner Geburt volljährige waren, als Zeugen beibringen. Das kann ich nicht.“ Sollte sein Vater bald eingebürgert werden, könnte es noch schwieriger werden: „Für die Registrierung der Geburt in Syrien müssen beide Eltern Syrer sein.“
Geburtsortsprinzip greift für vor 2000 geborene Kinder von Migranten nicht
So schwierig ist der Fall der beiden Brüder auch, weil sie vor dem Jahr 2000 zur Welt kamen. Für jüngere in Deutschland geborenen Ausländer oder Staatenlose greift das „Geburtsortsprinzip“, das die Einbürgerung erleichtern würde. „Ohne syrischen Nationalpass geht es nicht“, hörte er Anfang Dezember in einem Telefonat mit der Ausländerbehörde.
Weil seine befristete Aufenthaltsgenehmigung seit Ende September abgelaufen ist und die Behörde ihm bislang keine Fiktionsbescheinigung als Ausweisersatz ausgestellt hat, suchte sich Markus Hanna vor drei Monaten einen Anwalt. Urteile deutscher Gerichte, glaubt er, bestätigen seine Vermutung, dass seine deutsche Geburtsurkunde und weitere hier ausgestellte Zeugnisse für eine Einbürgerung ausreichen.
Tätig werden konnte der Anwalt bisher noch nicht. Um Akteneinsicht zu gewähren, braucht die überlastete Ausländerbehörde Zeit. Dabei möchte Markus Hanna nur erreichen, was für ihn selbstverständlich ist. „Ich möchte sein, als was ich mich fühle: Ein Deutscher.“
>> KEINE EINBÜRGERUNG: SO BEGRÜNDET DIE AUSLÄNDERBEHÖRDE
Obwohl er seit seiner Geburt in Duisburg lebt, sei es nicht möglich, Markus Hanna ohne syrischen Pass einzubürgern, erklärt das Ausländeramt der Stadt Duisburg auf Nachfrage. Dabei werde der Pass des Herkunftslandes der Eltern nicht etwa zur Klärung seiner Identität benötigt, sondern für die vorherige Änderung seines Aufenthaltsstatus.
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Der Duisserner ist geduldet aus humanitären Gründen (§ 25, Abs. 5 Aufenthaltsgesetz), „wegen guter Integration“. Dieser Status schließe aber die Erteilung eines unbefristeten Aufenthaltsrechts aus, das aber wiederum Voraussetzung für eine Einbürgerung sei. Von einer Passpflicht könne zwar für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Paragraf 25 abgesehen werden, nicht aber für eine Einbürgerung. „Die kann er derzeit nicht beantragen, weil er die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.“
Zum Geduldeten nach Paragraf 25 sei Markus Hanna geworden, weil seine Mutter zum Zeitpunkt seiner Geburt keine Aufenthaltserlaubnis hatte. Um einen unbefristeten Aufenthalt oder die Einbürgerung für sich selbst zu beantragen, „müsste Herr Hanna aber seinen Pass vorlegen bzw. zumindest ausreichende Bemühungen nachweisen, einen solchen in Syrien beantragt zu haben“, so die Behörde. „Das ist leider nicht der Fall.“
Ein Ermessen, vom gesetzlichen Katalog von Aufenthaltstiteln abzuweichen, bestehe „grundsätzlich nicht“, so die Behörde, von der Passpflicht könne nur in einem „schwer liegenden Fall“ abgesehen werden. Davon könne aber bei den Hanna-Brüdern „nicht die Rede sein“, da Syrer aktuell „recht problemlos“ einen Pass erhielten. Der sei auch den Eltern ausgestellt worden.
>> AMPEL-KOALITION: BLEIBERECHT NEU ORDNEN
- Im Koalitionsvertrag kündigt die neue Bundesregierung eine Neuordnung des Aufenthalts- und Bleiberechts an.
- „Wir werden … neue Chancen für Menschen schaffen, die bereits ein Teil unserer Gesellschaft geworden sind“, heißt es da. „Gut integrierte Jugendliche sollen nach drei Jahren Aufenthalt in Deutschland und bis zum 27. Lebensjahr die Möglichkeit für ein Bleiberecht bekommen (§ 25a, AufenthG).“
- „Besondere Integrationsleistungen von Geduldeten würdigen wir, indem wir nach sechs bzw. vier Jahren bei Familien ein Bleiberecht eröffnen (§ 25b AufenthG). Der bisherigen Praxis der Kettenduldungen setzen wir ein Chancen-Aufenthaltsrecht entgegen: Menschen, die am 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland leben, …, sollen eine einjährige Aufenthaltserlaubnis auf Probe erhalten können, um in dieser Zeit die übrigen Voraussetzungen für ein Bleiberecht zu erfüllen.