Duisburg. Sabri Aydin war 1961 einer der ersten Bergarbeiter in Duisburg. Mittlerweile gibt es vier Generationen. Wie bei ihnen Weihnachten gefeiert wird.
„Unser Opa ist wie der Weihnachtsmann, er geht von Tür zu Tür“, sagt Gökhan Aydin und lächelt. Sabri Aydin, geboren 1935 in Zongludak an der türkischen Schwarzmeerküste, ist ein Vorreiter und Vorbild. Schon vier Monate bevor das offizielle Anwerbe-Abkommen zwischen der Bundesrepublik und der Türkei 1961 geschlossen wurde, kam er nach Hamborn – und gehört damit zur ersten Generation der Gastarbeiter in Duisburg. Als sich in diesem Jahr das Anwerbe-Abkommen zum 60. Mal jährte, wurde Aydin nach Düsseldorf zu einem Empfang mit Ex-NRW-Ministerpräsident Armin Laschet eingeladen. Auch ein Museum, das die Geschichte der Gastarbeiter aufarbeiten möchte, interessiert sich für seine Erfahrungen. Mittlerweile leben vier Generationen der Familie in Laar.
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Zur Familie gehören insgesamt vier Kinder, zehn Enkel und 13 Urenkel – nicht zu vergessen zwei Hunde und drei Katzen. „Eigentlich kommt die ganze Familie nur an Geburtstagen oder zu Hochzeiten zusammen. Weihnachten bleiben die meisten bei sich“, weiß Ömer Aydin (61). In der Wohnung seines Vaters Sabri aber steht ein Tannenbaum, festlich geschmückt. Die ersten Geschenke für die (Ur-)Enkel liegen schon bereit.
93 Männer machten sich aus Zongludak auf den Weg nach Duisburg
Als Sabri Aydin 1961 nach Duisburg kam, hatte er von Weihnachten keine Ahnung. Die August-Thyssen-Hütte suchte Arbeitskräfte in Zongludak, ebenfalls eine Bergbaustadt. Sabri Aydin, damals 26 Jahre jung, sah seine Chance. „Es kam ein Direktor aus Deutschland und der wollte die Hände der Arbeiter sehen“, erinnert er sich. Er arbeitete zwar bei einem Bergbau-Unternehmen, war allerdings Telefonist. Hornhaut hatte er trotzdem an den Händen. „Ich bin immer viel gerudert.“
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Seine Hände wurden denn auch für kräftig genug befunden und für Sabri Aydin sowie 92 andere Bergleute ging’s nach Hamborn zur August-Thyssen-Hütte, Schacht Westende. „Deutschland kannte ich von meinem Onkel, er war während des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Ich war neugierig auf das Land und es hieß: Wir können uns die Arbeit anschauen und unsere Tickets werden bezahlt“, blickt der heute 86-Jährige zurück. Als sie ankamen, spielte sogar eine Kapelle.
Der erste Eindruck: Die Häuser und die Menschen sahen in den Augen der Gastarbeiter fast alle gleich aus. Untergebracht wurden sie in Wohnheimen. Aydin und die anderen bekamen den Betrieb erklärt und sogar einen Vorschuss von 20 D-Mark. Damit liefen sie etwa zum Markt in Alt-Hamborn und wunderten sich, dass Obst und Gemüse nicht kiloweise verkauft wurden so wie in der Türkei. Stattdessen gab’s die Bananen einzeln, als halbes oder volles Pfund.
Deutsch gelernt mit Inge Meysel und Willi Millowitsch
„Die Deutschen haben uns dann aufgeklärt. Ich habe mich immer viel unterhalten, aber einen Sprachkurs habe ich nie besucht.“ Da ihm das TV-Programm nicht gefiel, ging er stattdessen ins Kino – die gab es im Duisburger Norden in den 1960er Jahren noch zahlreich. „Laurel und Hardy“ alias „Dick und Doof“ gefielen ihm gut, doch da wurde ja nicht gesprochen. Deutsch lernte er stattdessen mit Inge Meysel und Willi Millowitsch.
1962 holte Aydin seine Frau mit den Söhnen Ömer und Yakup nach Deutschland. „Eigentlich war geplant, nach ein paar Jahren zurück zu gehen, doch dann kamen die Kinder in die Schule.“ Sabri Aydin zog aus dem Wohnheim für Gastarbeiter aus und bekam eine Werkswohnung. Als die Zeche 1968 geschlossen wurde, bekam er einen Job in der Kokerei und blieb dort bis 1984.
Dass der Besuch vom Nikolaus und Weihnachten in Deutschland eine große Sache sind, haben Yakup und Ömer mitbekommen, als sie beim SV Laar kickten. „Da haben wir dann Tüten mit Süßigkeiten bekommen.“
In der Vorweihnachtszeit wurden sie zudem manchmal zu ihren deutschen Klassenkameraden eingeladen. „Als wir in Duisburg zur Schule gegangen sind, gab es in Laar noch nicht so viele Türken. Die meisten kamen Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre“, erinnert sich Ömer Aydin (61).
Als der Sohn von Yakup, Hakan, auf die Welt kam, stellten sie irgendwann selbst einen Baum auf. „Wenn man im Dezember in Istanbul ist, sieht man dort auch ganz viele Tannenbäume. Nicht bei den Leuten zu Hause, aber in der Stadt und in den Geschäften“, schildert er. Und während man sich in Deutschland an Heiligabend Geschenke macht, bekomme in der Türkei der Besuch zu Silvester kleine Präsente.
Für die dritte und vierte Generation ist Weihnachten mittlerweile ganz normal. Bei Hakan Aydin (33) ist es zudem Multi-Kulti – seine Frau Natalia stammt nämlich aus Polen. „Als wir uns kennen lernten, war es überhaupt kein Problem, dass ich keine Muslima bin“, erinnert sich Natalia, wie sie Hakan in einer Shisha-Bar kennen lernte. Sie kam mit ihrer Mutter als Spätaussiedlerin nach Duisburg. Die Familie stammt von der Küste Polens. „Dort wird Weihnachten groß gefeiert und es gibt traditionell zwölf Gerichte. Viel mit Fisch; Pierogi, Kraut, Pilzen oder Rote-Beete-Suppe“, erzählt sie. Im Verhältnis zu den Feierlichkeiten in Polen falle ihr Fest eher klein aus. „Aber die Kinder freuen sich drauf und ich finde es viel schöner, meinen Kindern eine Freude zu machen“, erklärt Natalia Aydin.
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Wie sein Opa Sabri, sein Onkel Ömer und sein Cousin Gökhan arbeitet Hakan Aydin mittlerweile bei Thyssen. Hakan und Gökhan besuchten die Gesamtschule in Ruhrort und bewarben sich schließlich bei dem Konzern. „Das war bei uns auf der Schule alles Multi-Kulti, wir hatten keine Probleme“, blickt Hakan Aydin zurück. „Es ist ja auch ein Vorteil, dass wir so viele Sprachen sprechen“, findet Gökhan Aydin. „Erst in den vergangenen Jahren gab es vermehrt Vorurteile“, haben die Vertreter der dritten Generation beobachtet. „Gastarbeiter der ersten Generation waren und sind anerkannt. Später gab’s dann auch mal Neider“, erinnert sich Ömer Aydin. Er besuchte die Meisterschule und stieg bei Thyssen auf.
„Dede“ Sabri erzählt seine Lebensgeschichte inzwischen in Duisburger Schulen, geht zu Veranstaltungen mit Politikern und trommelt, wenn mal wieder die Zeitung vorbeischaut, die ganze Familie zusammen. Enkel Gökhan sagt stolz: „Nach Deutschland zu kommen war ein harter Weg für meinen Opa, aber ein Meilenstein für mich und die ganze Familie.“
>> August-Thyssen-Hütte warb um 1970 im größeren Stil an
■ Die August-Thyssen-Hütte war beim Einsatz von sogenannten „Gastarbeitern“ ein Nachzügler: Erst Ende der 1960er Jahre wurden in größerem Umfang Arbeitskräfte aus der Türkei angeworben, sagt Andreas Zilt, der Leiter des Corporate Archives in Duisburg-Ruhrort. „Durch die Werkserweiterungen war dann um 1970 der Punkt erreicht, dass zusätzliche Arbeitskräfte aus dem Ausland unumgänglich wurden“, sagt Andreas Zilt.
■ 1970 arbeiteten in Hamborn etwa 500 türkische Mitarbeiter. Um sich am Rhein einzugewöhnen, mussten sie fern von Heimat und Familie nicht nur kochen lernen, sondern vor allem Deutsch. Die Gewerkschaften und Betriebsräte suchten demnach den Kontakt und pflegten die Kameradschaft.