Duisburg. .
Wer sich mit Tayfun Demir trifft, braucht Zeit. Der Mann mit den feinen Gesichtszügen und den silbergrauen Haaren ist bekannt wie ein bunter Hund – bei türkischen Landsleuten und Deutschen gleichermaßen. Jahrelang hat sich der 61-Jährige um die internationale Abteilung in der Bücherei gekümmert, hat zuvor Bildungs- und Sozialarbeit geleistet und ist 2007 ins Referat für Integration gewechselt. Am Montag verabschiedet er sich mit einer Lesung. Gefeiert wird im „kleinen Kreis“ mit schätzungsweise 130 Leuten.
Seit 1976 lebt Demir in Duisburg. Als politisch Progressiver, der mit vielen türkischen Vertretern der 68er studierte, erlebte er den Militärputsch 1971 in der Türkei. Er und seine Mitstreiter gaben Zeitungen heraus, die dem Regime nicht passten. Kurz darauf wurde er verhaftet und wanderte mit anderen Künstlern und Kritikern in den Knast. „Das war eine schwere Zeit, vor allem für meine Familie. Wir standen als Anarchisten in den Zeitungen.“
Generalamnestie nach vier Jahren
Die Zeit nutzte er, um zu lernen. Ein Zellennachbar übersetzte ein Buch vom Türkischen ins Deutsche über die Palästina-Probleme. „Ich habe die Vokabeln nachgeschlagen und ihm angesagt, damit er flüssiger schreiben konnte.“ Vier Jahre lang mussten er und die anderen ausharren, bevor eine Generalamnestie ihnen die Freiheit wiederbrachte. Kurze Zeit später nahm Demir die Arbeit für die Zeitungen wieder auf – und sollte erneut ins Gefängnis. „Das hätte ich nicht geschafft, also bin ich raus.“
„Chance vertan“
„Damals hat Duisburg eine Chance vertan, als sie das frei werdende Kruppgelände nicht genutzt haben, ein neues Viertel am Rhein zu entwickeln. Ich hätte mich noch heimischer hier gefühlt.“ Allerdings genießt Demir es, mit seiner Frau und den Kindern in Duissern zu wohnen und alles zu Fuß zu erreichen. „Wenn ich in Berlin oder Istanbul bin, weiß ich, was für ein Stress mir erspart bleibt.“
Duisburg sei ein spannendes Pflaster gewesen, weil es hier so viele Arbeiter gegeben habe. Und: „Das Eschhaus hat mich geprägt“, sagt er. Später, Anfang der 80er, wohnte er mit Künstlern in einer WG. „Da bin ich angekommen in Duisburg.“ Integration war für den Vater von zwei Kindern, der alle großen Dichter auf Deutsch und Türkisch gelesen hat, nie ein Thema.
Leiter eines Bus-Projekts
Sein politisches Engagement für die „Föderation der Immigrantenvereine aus der Türkei“ gab er schließlich auf und heuerte bei der Stadt an. Wieder machte er Zeitungen. „Merhaba“ hieß das Blatt, dass die Türken über Müllabfuhr-Termine, Impfungen, Schulen und alles andere, was die Stadtgesellschaft zu bieten hatte, auf Türkisch informierte. 1979 wurde er Leiter eines Bus-Projekts. „Sonst kamen immer nur die Teppich- und Gemüsehändler zu den Migranten. Wir brachten Bildung und Informationen.“ Im Bus gab es türkische Bücher. Wer sie allerdings ausleihen wollte, musste in die Bücherei. „Wir hatten auch einen Bestand in anderen Sprachen.“ Allerdings waren die Türken immer besonders rege.
Liebe zur Sprache
Die Liebe zur Sprache und zum Buch treibt ihn seit der Grundschule um, dabei studierte er Maschinenbau. „In den ersten fünf Jahren bin ich bei meinen Opa am Vansee in Ostanatolien aufgewachsen. „Mein Opa hatte ein Buch. Eine 150 Jahre alte handgeschriebene Ausgabe des Korans, die er immer wieder gelesen hat.“ Erst in der Schule merkte der junge Tayfun, wie viel Literatur es auf der Welt gibt.
Künftig will er öfter in Istanbul sein. In Duisburg fühlt er sich heimisch, „aber ich werde nie in einer Stadt richtig ankommen, die nicht am Meer liegt.“ Der Vansee ist der größte See der Türkei. Als kleiner Junge war er für ihn das Meer.