Duisburg. Vom Urteil gegen den Ehemann von Mine O. bis zum Spiritus-Anschlag auf ein Handwerker-Paar: Diese Prozesse haben Duisburg im Jahr 2020 bewegt.
Im Jahr 2020 prägte die Corona-Pandemie auch die Tätigkeit der Gerichte. Zahlreiche Verfahren wurden im März und April verschoben, Strafprozesse erst einmal ausgesetzt. Ab Juni wurden dann Rückstände abgearbeitet. Aus Seuchenschutzgründen wurden Verfahren mit mehr als vier Angeklagten in der Regel geteilt.
Die Justizbeschäftigten arbeiteten zeitweise in Schichten, Prozesse begannen auch noch am späten Nachmittag. Den optischen Eindruck auf den Fluren des Duisburger Gerichts beherrschten Gesichtsmasken. In den Sälen gab es so viele Trenn-Glasscheiben, dass man manchmal den Eindruck hatte, in ein Spiegelkabinett zu kommen.
Und die Akustik, eh schon nicht die Beste, war so mies, dass gelegentlich am Grundsatz der öffentlichen Verhandlung gezweifelt werden durfte. Eiskalte Verbrecher, wirre Geister und andere illustre Persönlichkeiten gab es trotz allem auch im abgelaufenen Jahr reichlich vor Gericht. Ein Rückblick.
Duisburger kommen auf den Hund: Raub eines Pekinesen
24. Januar. Wegen besonders schweren Raubes stand ein Paar aus Neuenkamp vor dem Amtsgericht am König-Heinrich-Platz. Angeblich hatten sie einer Frau einen niedlichen Pekinesen zunächst geschenkt, dann aber 600 Euro Bezahlung verlangt, sonst müsse der Hund zurück gegeben werden. Diese Forderung sollen sie am 11. August 2017 erfolgreich durch Drohung mit einem Baseballschläger und einem Elektroschocker unterstützt haben.
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Ein Vorwurf, den die Angeklagten heftig bestritten. Es sei nie von einer Schenkung die Rede gewesen. Mit der neuen Besitzerin des Hundes sei eine Ratenzahlung vereinbart worden. Doch die Frau habe nie bezahlt. Zufällig sei man der Zeugin und dem Hund am Tattag begegnet, woraufhin die Frau Fersengeld gab und den Hund im Stich gelassen habe. Waffen habe man allerdings nicht dabei gehabt, dafür aber den nunmehr herrenlosen Hund mitgenommen. Schon zweimal hatte das Amtsgericht versucht die Sache aufzuklären. Auch diesmal konnten Zeugen nicht einmal von der Polizei vorgeführt werden. Nach derzeitigem Stand komme allenfalls eine Verurteilung wegen Unterschlagung in Betracht, meinten die am Verfahren beteiligten Juristen. Und stellten die Sache auf Kosten der Staatskasse ein.
Kindesmissbrauch: Duisburgerin schicke Aufnahmen an Geliebten
11.Februar. Wegen sexuellen Missbrauchs und Herstellung von Kinderpornografie verurteilte das Landgericht eine 37 Jahre alte Duisburgerin zu drei Jahren Gefängnis. Bereits zu Beginn des dreitägigen Prozesses hatte sie gestanden, mehrfach ihren zu Beginn der Taten neun Jahre alten Sohn missbraucht zu haben. Aufnahmen dieser Taten hatte sie ihrem Geliebten geschickt, dem sie sich in einer Ehekrise zuwandte und der sie erfolgreich dazu drängte, seine pädophilen Fantasien in die Tat umzusetzen.
Ein psychiatrischer Gutachter bescheinigte der Angeklagten eine schwere Persönlichkeitsstörung. Sie sei ihr Leben lang daran gewöhnt gewesen, dass ihr andere gesagt hätten, was sie zu tun und zu lassen habe. Nach einer bestimmenden Stiefmutter und dem Ehemann, mit dem sie seit 20 Jahren zusammen ist, sei es der Geliebte gewesen. Die Angeklagte habe durchaus gewusst was sie tat, habe ihre Handlungen aber nicht vollständig steuern können. Die Kammer billigte der bislang nicht vorbestraften Frau zu, dass sie bei den Taten nur eingeschränkt schuldfähig gewesen sei. Auch das Geständnis wirkte sich deutlich strafmildernd aus.
Versuchter Mord: Neumühler rauschte über Fußgängerbrücke
26. Februar. Wegen versuchten Mordes verurteilte das Landgericht einen 40 Jahre alten Neumühler zu neun Jahren Gefängnis. Am 17. Juli 2019 war er auf der Flucht vor der Polizei, die den notorisch ohne Führerschein fahrenden Mann kontrollieren wollte, über eine Fußgängerbrücke über die A 42 an der Stadtgrenze zu Oberhausen gerauscht. Dabei erlitt ein 38-jähriger Duisburger lebensgefährlich schwere Verletzungen unter deren Folgen er bis heute leidet.
Auf der Brücke hatten sich zur Tatzeit drei Personen befunden, darunter ein Rollstuhlfahrer. Die Kammer ging deshalb sogar vom versuchten Mord in drei Fällen aus. Der Angeklagte habe den möglichen Tod von Menschen billigend in Kauf genommen, als er die Absperr-Poller durchbrach und mit überhöhter Geschwindigkeit auf die nur drei Meter breite Brücke rauschte. Und das alles, um eine Straftat zu verdecken, nämlich sein erneutes Fahren ohne Führerschein.
Zehn Jahre Haft: Duisburger stach wild auf Lebensgefährtin ein
10. März. Im Streit stach ein 23-jähriger aus Duisburg am 14. Juli 2019 in Marxloh immer wieder auf seine Lebensgefährtin (25) ein. Bei der Obduktion wurden 55 Wunden gezählt. Das Landgericht verurteilte ihn wegen Totschlags zu zehn Jahren Gefängnis. Mit dem Urteil blieb das Gericht nur knapp unter dem Strafantrag des Staatsanwaltes, der zehneinhalb Jahre gefordert hatte.
Wäre es beim ursprünglichen Anklagevorwurf, nämlich einem Mord aus niedrigen Beweggründen geblieben, wäre eine Verurteilung zu lebenslänglicher Strafe unumgänglich gewesen. Doch das Gericht sah die Tat am Ende nicht als ausschließlich durch die Eifersucht des Angeklagten motiviert an. Ungewöhnlich waren die letzten Worte des 23-Jährigen in der Verhandlung, mit denen er die Tat noch einmal aus seiner Sicht wertete und um ein mildes Urteil bat. Der Vorsitzende Richter fasste das so zusammen: „Das ist blöd für uns beide. Sie ist tot und ich sitze im Knast.“
Deutliches Urteil gegen Vergewaltiger aus Meiderich
25. März. Mit einem deutlichen Urteil endete vor dem Landgericht Duisburg der Prozess gegen einen 25-Jährigen. Weil er am 27. Juli 2019 in Meiderich eine 13-Jährige vergewaltigte, muss er sechs Jahre hinter Gitter. Zur Tatzeit hatte sich der Angeklagte bei seiner Verlobten in Mittelmeiderich aufgehalten. Kurzzeitig blieb er mit zwei 13-jährigen Mädchen aus der Nachbarschaft allein. Diese Situation habe er ausgenutzt, um sich den 13-Jährigen unsittlich zu nähern, so das Gericht am Ende des mehrtägigen Verfahrens.
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Als eines der Mädchen die Wohnung verließ, um Hilfe zu holen, verging der sich an der anderen 13-Jährigen. Der Angeklagte hatte die Tat bis zuletzt bestritten. Vergeblich versuchte er, die Mädchen in ein schlechtes Licht zu rücken und sie falscher Beschuldigungen zu bezichtigen. Das Gericht war aufgrund von eindeutigen DNA-Spuren und den Aussagen der jungen Zeuginnen am Ende aber von der Schuld des 25-Jährigen überzeugt.
Acht Taten in nur einer Nacht: „Max Mustermann“ verurteilt
9. April Mit einer Verurteilung zu viereinhalb Jahren Haft endet vor dem Landgericht das zweitägige Verfahren gegen einen 27-jährigen Griechen ohne festen Wohnsitz. Der Angeklagte hatte weitgehend zugegeben, innerhalb von 15 Stunden acht Taten begangen zu haben. Unter anderem hatte er am Morgen des 11. Oktober 2019 an einer Tankstelle in Neudorf versucht, Zigaretten im Wert von 400 Euro mit einer Scheckkarte zu bezahlen, die auf „Max Mustermann“ ausgestellt war.
Vor allem Diebstahls- und Einbruchsversuche waren dem 27-Jährigen zur Last gelegt worden. Im Urteil ging es nur noch um drei Fälle. Denn die Richter hatten ernsthafte Zweifel, ob die zumeist von Misserfolg gekrönten Taten juristisch überhaupt schon als Versuch zu werten waren. Zu Gunsten des 27-Jährigen wertete die Strafkammer das Geständnis, vor allem aber die Drogensucht des Angeklagten. Ein psychiatrischer Gutachter hatte nicht ausschließen wollen, dass der Täter aus diesem Grund nicht voll zurechnungsfähig gewesen sei. Mit dem Urteil ordnete das Gericht deshalb auch die Unterbringung des 27-Jährigen in einer Entziehungsanstalt an.
Real-Satire: Prozess gegen Henryk M. Broder
13. Juli. Mit einem Freispruch endete vor dem Amtsgericht das Verfahren gegen Henryk Broder. Dem Journalisten und Autor aus Berlin war vorgeworfen worden, am 30. September 2016 in einem Zeitungsinterview die Duisburger Religionswissenschaftlerin und Publizistin Lamya Kaddor beleidigt zu haben. Sie hatte Broder zuvor ebenfalls in der Presse mitverantwortlich für eine gegen sie gerichtete öffentliche Hetz-Kampagne gemacht. Was Broder mit der Bemerkung kommentiert haben soll, die Frau habe einen an der Klatsche.
Gegen ihn war deshalb ein Strafbefehl wegen Beleidigung über 2000 Euro (20 Tagessätze zu je 100 Euro) erlassen worden, gegen den der 72-Jährige Einspruch eingelegt hatte. Im Mai 2019 hatte er deshalb erstmals vor dem Amtsgericht gestanden. Sein Anwalt hatte damals nicht nur auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung hingewiesen sondern auch den Nachweis gefordert, dass sein Mandant das überhaupt gesagt habe. Die Staatsanwaltschaft präsentierte beim zweiten Anlauf den angeblichen Autor des Interviews als Zeugen. Erwartungsgemäß machte der 40-jährige Journalist aus Berlin vom verfassungsmäßigen Recht seines Berufsstandes Gebrauch gemacht, zu seinen Quellen nichts sagen zu müssen. Vom Aufruf der Sache bis zum Freispruch vergingen nur etwa zehn Minuten.
Überraschung: Dealer warfen Drogen aus dem Fenster
28. August. Wegen Drogenhandels verurteilte das Landgericht einen 33-jährigen Duisburger zu dreieinhalb Jahren Haft. In seiner Wohnung beziehungsweise in einem Baum vor dem Haus an der Beethovenstraße in Rheinhausen, waren am 21. September 2019 rund 1,5 Kilo Marihuana gefunden worden. Als die Polizei vorne klingelte, waren die Drogen aus dem Fenster geflogen.
Dabei hatten die Ordnungshüter doch nur einen Diebstahl in der Nachbarschaft aufklären wollen. Doch der aus der Wohnung dringende Marihuana-Geruch entging den Ordnungshütern eben so wenig wie der krampfhafte Versuch des 33-Jährigen, sie nicht in die Wohnung zu lassen. Dort hielten sich auch zwei Mitangeklagte auf. Sie schlossen die Zimmertür. Mindestens einer von ihnen warf die Beutel mit dem Rauschgift dann aus dem Fenster.
Feuerteufel aus dem Duisburger Norden bestreitet Taten bis zuletzt
9. September. Wegen Brandstiftung verurteilte das Landgericht einen 60-jährigen aus Walsum zu fünfeinhalb Jahren Haft. Zugleich ordnete es die zeitlich unbefristete Unterbringung des Mannes in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Zwischen Dezember 2019 und Januar 2020 hatte er im Duisburger Norden 14 Autos angezündet. Es entstand ein sechsstelliger Sachschaden.
Gestanden hatte der Angeklagte nur die letzte Tat, bei der er auf frischer Tat erwischt worden war. Die übrigen Brandstiftungen, bestritt er. Doch am Ende ließen zahlreiche Indizien keinen Zweifel daran, dass der 60-Jährige alle ihm zur Last gelegten Taten begangen hatte. In dem Verfahren war es ursprünglich nur um den Antrag der Staatsanwaltschaft gegangen, den psychisch kranken Mann zum Schutz der Allgemeinheit in der Psychiatrie unterzubringen. Doch ein Gutachter hatte schon frühzeitig Zweifel angemeldet, ob der Beschuldigte bei allen Taten schuldunfähig gewesen sei. Im Urteil ging die Kammer davon aus, dass der 60-Jährige nur bei der letzten Tat aufgrund akuter Wahnvorstellungen nicht Herr seiner Handlungen gewesen sei.
Mord an Mine O.: Ercan E. zu lebenslanger Haftstrafe verurteilt
5. Oktober. Wegen Mordes an seiner Ehefrau Mine O. verurteilte das Landgericht den 29-jährigen Ercan E. zu lebenslanger Haft. Schon zu Beginn des mehrtägigen Verfahrens hatte der Angeklagte gestanden, die 26-Jährige am 7. September 2019 nach einem Streit in der gemeinsamen Wohnung erwürgt zu haben. Anschließend hatte er die Leiche zunächst in einer Garage versteckt und dann in einem Waldstück vergraben.
Der Ehemann hatte Mine O. zunächst selbst als vermisst gemeldet. Drei Monate später war die Leiche gefunden worden. Der 29-Jährige hatte der Polizei die Tat gestanden, die sich im Schlafzimmer ereignete, während der gemeinsame kleine Sohn im Wohnzimmer spielte. Das Gericht ging im Urteil von niedrigen Beweggründen aus. Die junge Frau hatte Affären, wollte der gewalttätigen Ehe entkommen und sich scheiden lassen.
Mordversuch mit Spiritus: Duisburger attackierte Handwerker-Paar
16. November. Wegen versuchten Mordes verurteilte die 5. Große Strafkammer des Landgerichts einen Wanheimerorter (63) zu zehn Jahren Gefängnis. Am 12. Mai hatte er in Homberg einen 52 Jahre alten Handwerker und dessen Ehefrau zu töten versucht, indem er das Paar mit Spiritus bespritzte und anzuzünden versuchte. Und das aus einem aberwitzigen Grund: Der Angeklagte gab dem Handwerker, den er persönlich gar nicht kannte, die Schuld daran, dass er seine Wohnung verlor. Dabei hatte der Betrieb des 52-Jährigen lediglich die Ursache eines Wasserschadens behoben.
Die Tat gelang dem 63-Jährigen nur deshalb nicht, weil sein Feuerzeug im entscheidenden Moment den Dienst versagte und der Handwerker ihn in Todesangst entwaffnen und aus seinem Laden drängen konnte. Das Gericht hatte keinen Zweifel, dass der Angeklagte heimtückisch handelte, weil das Handwerker-Paar, das den Mann zunächst für einen normalen Kunden hielt, mit keinem Angriff rechnete. Außerdem habe er aus niedrigen Beweggründen gehandelt, weil er sich für den Verlust seiner Wohnung rächen wollte. Die Verbindung zwischen der Beseitigung der Schadensursache durch den Homberger Handwerksbetrieb und den verlorenen Prozessen entspringe lediglich „der privaten Logik des Angeklagten“, resümierte der Vorsitzende. „Ein krasseres Missverhältnis zwischen Motiv und Tat lässt sich kaum denken.“