Castrop-Rauxel. . Ein Ehepaar ist in Castrop-Rauxel wurde vom 67 Jahre alten Nachbarn drangsaliert worden. Der Mann, der fremdenfeindliche Plakate aufgehängt hatte, wurde nun wegen Beleidigung verurteilt.
Auf dem Plan des Amtsrichters steht hinter dem Aktenzeichen eine Anklage wegen Beleidigung, „bloß ein Nachbarschaftsstreit“, sagen jetzt viele. Vor einem halben Jahr aber hat sich das anders angefühlt, für die Stadt Castrop-Rauxel, vor allem aber für Nejla Ibuk: „Wie kann man sowas nur sagen?“, bringt die Zeugin schluchzend heraus, zu ihr, die „seit vierzig Jahren in Deutschland“ lebt, die hier drei Kinder groß gezogen hat, Akademiker allesamt und „anständige Leute“. Aber dann habe sie Herr Z. auf den Parkplatz vom Supermarkt verfolgt und ihr durch das Wagenfenster zugerufen: „Türken dürfen hier nicht einkaufen.“
Die achtjährige Tochter des Nachbarn war damals dabei
Nejla Ibuk ist immer noch aufgebracht, so „aufgelöst“ wie an jenem Tag Ende März, als sie einem Bekannten davon erzählte. Sie hat extra aufgeschrieben, was ihr widerfahren ist, zwei Zettel voll, dass sie nichts vergisst. Herr Z. aber sitzt im Gerichtssaal, blickt über seine Brille mit Goldrand und wirkt amüsiert. „Wenn er ein Jugendlicher wäre...“, ergänzt die Zeugin, „aber er muss doch die Geschichte kennen und wissen, wie schlimm das ist!“ Herr Z. nämlich ist 67, Vater von fünf Kindern: Das Jüngste ist acht und war damals dabei. Gelacht habe es, erinnert sich Frau Ibuk, „wie sagt man: schadenfroh, weil er mich geärgert hat“.
Auch interessant
Nun war das nicht das erste Mal, und also nahm Familie Ibuk im April ihren Mut zusammen und zeigte den Nachbarn an. Auch, weil der zuvor ein Plakat aufgehängt hatte, deutlich sichtbar am Giebel des Gartenhauses: „Run the Türken out“, stand da und wurde von der Polizei abgehängt. Später pinselte Z. ein neues Schild in blutroten Lettern: „Auf – Auf ab in eure Heimat. Sie warten schon auf euch, bestimmt. Gut Flug.“ Das aber, behauptete er im August vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, habe nicht seinen Mitbewohnern im Doppelhaus gegolten – sondern Brieftauben.
Familie Ibuk war zunächst sprachlos, Castrop-Rauxel aber erhob seine Stimme. Lokalpolitiker erstatteten Anzeige wegen Volksverhetzung, der Bürgermeister hielt eine Rede gegen Fremdenhass, nach Ostern gingen Hunderte auf die Straße, demonstrierten gegen Rechtsextremismus. Der Nachbar, hieß es, „hört ganz sicher, dass das mit uns nicht zu machen ist“. Und Ahmet Ibuk, der Familienvater, Bergbauingenieur mit bald 50 Deutschland-Jahren im Lebenslauf, dankte den Menschen in der Stadt: „Dass Sie mich daran erinnert haben, stolz darauf zu sein, den Deutschen und den Türken in einer Person repräsentieren zu dürfen. Wir sind der Beweis, dass Integration funktioniert.“
"Immer wieder wechselseitige Nickeligkeiten"
Möglich, dass dazu aber manchmal auch ein typisch deutscher Nachbarschafts-Clinch gehört. Es sind keine Gartenzwerge zu sehen vor dem Bergarbeiter-Häuschen im Stadtteil Schwerin, in Sichtweite des Förderturms der alten Zeche Erin, nur Kürbisse am gepflegten Blumenbeet. Drinnen soll Vater Ibuk beim Renovieren die Küchenfliesen nebenan beschädigt haben – der Rechtsstreit läuft noch. Mehrere weitere Zivilsachen sind eingestellt; es gebe „immer wieder wechselseitige Nickeligkeiten“, sagt der Verteidiger von Herrn Z. So hätten Ibuks mehrfach wegen Ruhestörung die Polizei gerufen, „auf der Basis spielt sich das ab“.
Auch interessant
Wie auch immer, im Frühjahr ist Herr Z. zu weit gegangen. „Menschenverachtend“ nennt die Staatsanwältin seine „verbalen Äußerungen fremdenfeindlicher Art“, und mehr noch: Angeklagt hat sie auch eine Spuckattacke gegen eine Tochter der Familie, am Tag nach der Kundgebung. „So wurde ich noch nie behandelt“, erzählt das Opfer im Zeugenstand, der Ekel verursachte damals einen fiesen Ausschlag im Gesicht. „Türkenpack!“, soll der Nachbar gerufen haben. „Kein Mensch muss sich das bieten lassen“, sagt dazu die Anklägerin.
Herr Z. indes bestreitet, bis auf die Plakate, die waren schließlich zu sehen. Richter Derek Norahim glaubt den Zeugen, ihre Geschichten seien „keine ausgedachten Legenden“. Die Beleidigungen gingen über das Maß hinaus, mit dem er sonst täglich zu tun habe. 1500 Euro, urteilt Norahim, soll der 67-Jährige zur Strafe zahlen, fast das Doppelte des monatlichen Einkommens seiner Familie. Ob Ibuks erleichtert sind? „Es ist gut, dass er sieht, dass es so nicht geht“, sagt Ahmet Ibuk. „Er musste mal was merken.“ Nur: In einem Haus wohnen werden sie weiterhin.