Bottrop. Ein Klimakleber ist in Bottrop wegen Nötigung angeklagt. Die Aktion machte Schlagzeilen, weil Autofahrer die Blockierer von der Straße zerrten.

Vor dem Amtsgericht Bottrop hat der Prozess gegen einen der drei Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ begonnen, die wegen ihres Anklebens auf Fahrbahnen den Beinamen „Klimakleber“ bekommen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft Lasse S. (25) vor, am Morgen des 14. Juli 2023 die Fahrbahn der Essener Straße blockiert zu haben, um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen.

Dieser Blockadeversuch wurde schnell und rabiat unterbunden von Autofahrern, die die Demonstranten immer wieder von der Fahrbahn zerrten, bis die Polizei eintraf. Das Video von der Aktion ist nach Angaben der „Letzten Generation“ inzwischen weltweit 90 Millionen Mal geschaut worden. Auch im Prozess spielt es eine wichtige Rolle.

Angeklagter Klimakleber erscheint zum Prozess in Bottrop ohne Anwalt

Der Angeklagte war zum Prozess im Bottroper Gerichtssaal ohne Verteidiger erschienen. Vielleicht nicht der beste Plan, gab Amtsrichterin Nathalie Beben zu bedenken: „Die Rechtslage ist nicht ganz einfach.“ Gemeinschaftliche Nötigung in mittelbarer Täterschaft wirft die Staatsanwaltschaft Essen dem Angeklagten vor. „Ich sehe, dass ich mich selbst verteidigen kann“, entgegnet Lasse S.

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Eine halbe Stunde lang verliest er eine Erklärung, in der er seine Motive, seine Entwicklung zum Klimaaktivisten und den Ablauf der Aktion schildert. Wegen Corona habe er sein Sportstudium abgebrochen, wegen des Entsetzens über die weltweite Untätigkeit gegenüber dem Klimawandel seine Ausbildung zum Erzieher. „Es erschien mir absurd, einfach weiterzumachen“, sagt er. Widerstand sei für ihn „die einzige logische Reaktion“: „In meinen Augen ist es schlimmer, eine Katastrophe zu verursachen, als darauf aufmerksam zu machen.“

Klimakleber in Bottrop: Blockade mit Politiker-Masken

Um auf die Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen, setzte sich Lasse S. mit zwei weiteren Demonstranten am Morgen des 14. Juli gegen 9.15 Uhr auf die Fahrbahn der Essener in Höhe der Lehmkuhler Straße; in den Händen ein Banner, auf den Köpfen Gesichtsmasken von Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck und Verkehrsminister Volker Wissing. „Es kam keine richtige Blockade zustande“, sagt der Angeklagte. „Es konnten die ganze Zeit Autos passieren.“ So ist es, bestätigt Richterin Beben nach dem Abspielen eines der Videos von der Aktion: „Das Video bestätigt, dass man durchfahren konnte.“

Der Plan der drei Aktivisten: sich mit Sekundenkleber auf der Fahrbahn festzukleben. Aber nicht sofort, sagt Lasse S.: „Wir kleben uns immer erst an, wenn die Polizei eintrifft.“ Aber dann kam alles ganz anders: Etwa fünf Minuten nach Beginn der Sitzblockade sei die Situation eskaliert.

Fahrer stiegen aus ihren Autos und begannen, die Aktivisten von der Fahrbahn zu ziehen. Besonders aggressiv sei eine Frau aufgetreten, die eine 18-jährige Demonstrantin mindestens zweimal an den Haaren von der Fahrbahn gezerrt habe. Auch das ist auf dem 55 Sekunden kurzen Videoclip zu sehen, der sich an diesem Tag explosionsartig im Netz verbreitete. Ebenfalls zu sehen ist, wie die Männer immer aggressiver zu Werke gehen: „Wir wurden beschimpft und beleidigt.“

Bislang ist es nicht gelungen, Tatverdächtige hinsichtlich etwaiger Straftaten zum Nachteil der Klimaaktivisten zu identifizieren.
Leif Seeger, Sprecher der Staatsanwaltschaft Essen

Klimakleber von der Straße gezerrt: Suche nach tatverdächtiger Frau

Das Eintreffen der Polizei habe die Angriffe dann beendet. Die Aktivisten seien in Gewahrsam genommen und abends gegen 20 Uhr entlassen worden. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Essen auch gegen die blonde Frau im Video wegen der Vorwürfe der Körperverletzung und der Nötigung. Bisher aber mit überschaubarem Erfolg, sagt Leif Seeger, Sprecher der Staatsanwaltschaft Essen: „Bislang ist es nicht gelungen, Tatverdächtige hinsichtlich etwaiger Straftaten zum Nachteil der Klimaaktivisten zu identifizieren.“ Deshalb hat die Staatsanwaltschaft beim zuständigen Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Essen eine Öffentlichkeitsfahndung mit Fotos aus den Videos beantragt. Ein Beschluss liegt noch nicht vor.

Richterin Nathalie Beben hat den Prozess am Mittwoch vertagt. Sie will in die Urteilsfindung einfließen lassen, wie stark der Verkehr durch die Blockade tatsächlich behindert wurde. Dazu will sie Polizisten als Zeugen laden, die an jenem Morgen an der Essener Straße im Einsatz waren. Berücksichtigen muss sie ebenfalls die Ankündigung des Angeklagten: „Was wir tun, ist legitim und notwendig. Deshalb kann ich nicht anders und sage: Ich werde weitermachen.“