Bottrop. Das Ruhrgebiets-Gesetz löst 1974 Proteste um Stadtgrenzen aus. Die Kirchhellen-Ehe war für Zeitzeugin Erika Liesner die beste Option für Bottrop.

An der Emscher spricht man Klartext. Schon immer, wie man auf dem historischen Foto vom Anti-Eigemeindungsprotest vor dem Rathaus sehen kann. Aber schließlich ging es auch um nichts weniger als die Existenz von Bottrop als Stadt – und nicht bloß als Vorort („Arsch“?) von Essen. „Das wäre sicher die schlimmste Variante der zahlreichen Vorschläge gewesen, die im Zuge der großen Gebietsreform Mitte der 70er Jahre im Umlauf waren“, sagt Erika Liesner.

Die CDU-Frau gehörte zwar „erst“ dem neuen Stadtrat an, der 1976 gewählt wurde, war aber natürlich als Lokalpolitikerin und Ausschussmitglied an der politischen Diskussion beteiligt, hatte aber auch die Stimmung in der Bevölkerung hautnah mitbekommen. Interessant ist übrigens auch, dass sich sogar die Essener Lokalpolitiker (SPD wie CDU) gegen das vom Düsseldorfer Kabinett vorgeschlagene Szenario einer Eingemeindung in die große Nachbarstadt aussprachen, also gewissermaßen für Bottrop kämpften. Und am Ende wurde ja auch alles gut...

Dreiecksverhältnis von Bottrop, Gladbeck und Kirchhellen wurde eifrig diskutiert

Ausgelöst hatte die sich über Jahre hinziehenden Querelen genau jenes Ruhrgebiets-Gesetz, das am 8. Mai vor 50 Jahren in dritter Lesung vom Landtag beschlossen worden war. Pläne zur kommunalen Neuordnung kursierten schon seit den 60er Jahren. Auch das Dreiecksverhältnis von Bottrop, Gladbeck und Kirchhellen wurde schon vorher eifrigst diskutiert. Vor allem natürlich der Name, den das neue Gebilde bekommen sollte, denn Glabotki war ja tatsächlich nur eine Art Arbeitstitel.

Ende einer Menage a Trois: So sah WAZ-Karikaturist Klaus Pielert das so genannte Nikolausurteil vom 6. Dezember 1975 nach den Verfassungsklagen von Gladbeck und Kirchhellen. Aus für Glabotki.
Ende einer Menage a Trois: So sah WAZ-Karikaturist Klaus Pielert das so genannte Nikolausurteil vom 6. Dezember 1975 nach den Verfassungsklagen von Gladbeck und Kirchhellen. Aus für Glabotki. © WAZ | Zeichnung Pielert

Aber auch „Bottrop“ klang für die potenziellen Bräute „häßlich im Ohr“, wie der WAZ-Kommentator 1974 schrieb. Erika Liesner hat dieses Material akribisch gesammelt. Ein wertvolles und geordnetes Artikel-Archiv, wenngleich natürlich mit christdemokratischem Schwerpunkt. Aus dieser Sicht ist vielleicht auch ihre Aussage zu verstehen „Kirchhellen war näher dran an uns Bottropern als Gladbeck. Die wollten sich während der ganzen Verhandlungszeit nur dicke machen, mit Kirchhellen waren wir auf jeden Fall besser bedient.“ Und später kamen die absoluten CDU-Mehrheiten im neuen nördlichen Stadtgebiet natürlich der politischen Gesamtzusammensetzung zu Gute.

Glabotki lebte gerade mal ein knappes Jahr

Aber zunächst erfreute sich das neue kreisfreie Bottrop-Glabotki einer kurzlebigen Existenz, mit Theo Knorr als OB, der sich im internen Gerangel im Mai 1975 gegen den vorherigen und nachfolgenden Amtsinhaber Ernst Wilczok durchgesetzt hatte. „Wilczok wurde ausgetrickst“, zitierte die WAZ damals den WDR-Redakteur Werner Albertz, der immerhin acht Minuten über die Bottrop-Wahl im damaligen Format „Forum West“ berichtete. Die arrangierte Ehe hielt dann genau bis zum berühmten Nikolausurteil vom 6. Dezember 1975. Glabotki wurde geschieden, wie eine WAZ-Karikatur von Klaus Pielert humovoll zeigt. Für die Beteiligten war es aber bitterernst.

Andere Varianten wären noch gewesen: Grafenwald mit Bottrop kommt zu Essen; das übrige Kirchhellen mit Gladbeck kommt zu Gelsenkirchen. Die Essen-Variante löste natürlich in Bottrop die größten Proteste aus. Etwas Ähnliches hatte es vorher nur in Gladbeck gegen Bottrop gegeben. „Denn eigentlich konnte Bottrop ja mit den ursprünglichen Eingemeindungsplänen zufrieden sein, es wäre auf jeden Fall gewachsen, hätte mit dann gut 200.000 Einwohnern sicher politisch ein größeres Gewicht bekommen“, erinnert sich Erika Liesner.

Erika Liesner, bis 1994 Ratsfrau (CDU) und ehemalige Vorsitzende des Kulturausschusses (hier bei einem früheren WAZ-Gespräch) hat die Querelen der Gebietsreform Mitte der 70er Jahre als Politikerin miterlebt.
Erika Liesner, bis 1994 Ratsfrau (CDU) und ehemalige Vorsitzende des Kulturausschusses (hier bei einem früheren WAZ-Gespräch) hat die Querelen der Gebietsreform Mitte der 70er Jahre als Politikerin miterlebt. © FUNKE Foto Services | Heinrich Jung

Am Ende stand 1976 die kleine Bottroper Lösung (BotKi), wie sie bis heute besteht – mit Kirchhellen, das kurz zuvor noch seine neue alte Selbstständigkeit gefeiert hatte. Immerhin: Es wurde nicht zerstückelt. Auch der Rat von Kirchhellen stimmte schließlich eindeutig für diese Variante eines neuen Bottrop. „Und die dortigen Ratsherren haben ja auch gut für ihren Ort gesorgt, Kirchhellen hatte außerdem als grünes Dorf einen guten Ruf“, so die Gesamt-Bottroper Ratsfrau.

Bei der Kommunalwahl in Neu-Bottrop konnten die Christdemokraten trotz ihrer absoluten Mehrheit in Kirchhellen ihren OB-Kandidaten Bernhard Brinkert nicht gegen die SPD durchbringen. Man sprach lokal vom Wilczok-Bonus der SPD. Dafür legte die CDU bei der Bundestagswahl im Stadtgebiet um drei Prozentpunkte zu.

Die eigentliche Überraschung gab es allerdings bei der Wahl Ernst Wilczoks zum neuen Oberbürgermeister: Die Christdemokraten stimmten geschlossen für Wilczok, acht seiner Genossen gegen ihn. „Gründe dafür lagen wohl in der Vergangenheit der Wilczok-Partei.“ Erika Liesner kann das nur vermuten. Für sie steht fest: „Er hat sich immer für Bottrop eingesetzt, auch auf Landesebene.“ Aus heutiger Sicht zieht die inzwischen 92-jährige immer noch agile Zeitzeugin das Fazit: „Bottrop und Kirchhellen, das war keine Liebesehe, aber der Zusammenschluss hat sich für beide Seiten gelohnt.“