Bottrop. Dass es auf Bottrops Kirmes oft zu Ausschreitungen kommt, ist kein Geheimnis. Wie sicher fühlt sich eine Frau allein dort? Ein Selbstversuch.
„Hey Puppe“, was klingt wie der Anmachspruch in einer schlechten Jugendkomödie, ist tatsächlich fast das erste, was ich am Freitagabend beim Besuch der Herbstkirmes höre. Obwohl es gerade einmal 18 Uhr ist, habe ich als junge Frau allein auf der Kirmes schon jetzt ein ungutes Gefühl. Ein paar Meter gelaufen, komme ich am ersten Boxautomaten vorbei und mache unterbewusst automatisch einen kleinen Bogen darum.
Denn rund 30 junge Männer, von denen die meisten vermutlich noch als Jugendliche durchgehen würden, stehen laut grölend und pöbelnd vor dem Automaten und wollen sich scheinbar durch ihre Leistung an dem Automaten profilieren. Über mein eigenes Sicherheitsgefühl denke ich die ganze Zeit nach. Denn umso weiter ich in Richtung ZOB laufe, desto mehr Männergruppen kommen mir entgegen. Mindestens 15, manchmal sicherlich auch 40 Jugendliche sind als Gruppierungen unterwegs und geben mir durch ihre Auftrittsweisen und die laut-provokante Art, wie sie auf die restlichen Kirmesbesucher zu gehen, ein mulmiges Gefühl.
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Der ZOB ist unter Bottroperinnen und Bottropern für Gewalt und Angriffe bekannt: Vor allem während der Kirmes ist er ein Brennpunkt – auch wenn es nicht gleich zu Messerstecherein kommen muss. Denn Überfälle oder körperliche Angriffe sind dort und auf dem angrenzenden Berliner Platz keine Seltenheit und der ZOB daher vor allem abends am Wochenende für viele Einwohner ein Ort, den viele – vor allem Frauen – lieber meiden. Und auch bei Veranstaltungen wie der Herbstkirmes kommt es jedes Jahr aufs Neue zu brenzligen Situationen, Gewalt und Ausschreitungen. Ob ich mich hier sicher fühle? Ehrlich gesagt nicht wirklich.
Meist schüren größere Gruppen jüngerer Männer gezielt Unbehagen in der City
Spätestens als ich von den Bushaltestellen aus die Treppe zum Berliner Platz hinunter gehen will, muss ich an zwei großen Gruppen junger Männer vorbei, die gegenseitig wohl nicht besonders gut aufeinander zu sprechen sind. Es wird gepöbelt, beleidigt und auch hier werde ich erneut von gleich Zweien aus der Gruppe angesprochen. Geschätzt gerade einmal 16 Jahre alt sind die beiden und fragen mich ähnlich charmant wie zu Beginn meines Besuchs, ob ich nicht stehen bleiben wolle.
Ich bin froh, so schnell es geht zwischen den Männern hindurchzukommen und auf den Berliner Platz ausweichen zu können. „So ist das häufig, es ist kein Problem, das nur in Bottrop auftaucht.“ Am Berliner Platz angekommen erkundige ich mich bei einer Standbesitzerin nach ihrem Sicherheitsgefühl. Sie bemerke definitiv eine Zunahme an Gewalt und unschönen Situationen, so Janett Wilhelm. „Es gibt leider immer wieder Pöbeleien bei Veranstaltungen wie dieser“, weiß sie. Doch durch die erhöhte Position in ihrem Stand und Distanz zu den Besuchern fühle sie sich in ihrem Stand meistens sicher.
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„Als Besucher sieht das schon anders aus, da würde ich mich hier nicht so wohl fühlen denke ich“, sagt Schaustellerin. Und nicht nur ihr geht es so. „Ich fühle mich hier definitiv unsicher. Das Klientel, das hier unterwegs ist, also diese großen Gruppen von Jugendlichen, finde ich schon schwierig“, sagt Julia. Sie ist mit zwei Freundinnen auf der Kirmes und fühlt sich dennoch unwohl. „So ist das häufig, es ist kein Problem, das nur in Bottrop oder nur auf der Kirmes auftaucht, sondern an sehr vielen Orten so ist“, betont Julia. Sie habe auf der Kirmes bereits mehrere kleinere Pöbeleien gesehen und sei bewusst etwas früher gekommen, um vor der Dunkelheit vom Kirmesgelände zu verschwinden, so die 21-Jährige. Denn besonders am späteren Abend sei die Stimmung dort sehr geladen.
Das weiß auch Michael Althammer, Leiter des Ordnungsamts der Stadt. „Wir sind uns des Problems bewusst und dementsprechend mit erhöhter Sicherheits- und Polizeipräsenz hier“, sagt er. Denn dass es eine gesellschaftliche Dynamik gebe, in der Gruppierungen mit meistens anderem kulturellem Hintergrund gezielt zu Veranstaltungen wie der Kirmes kommen, sei deutlich, beschreibt Althammer. Die Polizei ist verstärkt vor Ort, doch das Problem scheint tiefergehend: „Wir möchten der Bevölkerung ein Signal senden: Wir sind hier und passen auf“, sagt der Ordnungsamtschef deutlich.
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Dass sich vor allem Familien nicht mehr auf die Kirmes trauen, sei erschreckend und könne so nicht hingenommen werden. Auf die Frage, wieso es überhaupt zu solchen Vorfällen bis hin zu Ausschreitungen komme, antwortet der Ordnungsamtschef prompt: „Langeweile. Was sollen die denn anderes machen? Die Jugendlichen haben nichts zu tun und es gibt kaum Angebote für sie, also kommen sie hier her und pöbeln rum“, so Althammer. Dies sei eben ein gesellschaftliches Problem, das gelöst werden müsse, um diese Art der Gewalt langfristig zu verhindern.
Zurzeit setzen Polizei und Ordnungsamt in Bottrop vor allem auf Platzverweise
Für den Moment sei eine erhöhte Polizeipräsenz jedoch die einzige Möglichkeit, Ausschreitungen auf der Kirmes zu verhindern. Und noch etwas habe sich das Ordnungsamt zusammen mit der Polizei im Vorfeld überlegt: Platzverweise sollen früh und präventiv ausgesprochen werden. „Wir wollen handeln, bevor etwas passiert“, erklärt Michael Althammer. Denn die Situation hochkochen zu lassen, das wolle hier niemand. So verspricht man sich von vorzeitigen Platzverweisen vor allem eine deeskalierende Wirkung.