Bottrop. Streit ums zweite Rathaus: Was soll Bottrop tun – groß bauen oder klein in Etappen? Zahlen über Zahlen zeigen, in welchen Dilemma der Rat steckt.
Der neue Verwaltungsbau neben dem historischen Rathaus existiert vorerst nur auf Papier und im Modell. Schimpfnamen hat der Rathausanbau aber längst. Als „Verwaltungspalast am Rathaus“ bezeichnet ihn die Bürgerinitiative Neustart Bottrop. In ihrem Newsletter titulieren ihre Vertreter den Neubau wegen der rasant steigenden Kosten als „Elbphilharmonie am Droste-Hülshoff-Platz“ – und die mehr als 860 Millionen Euro kostende echte Elphi im Hamburg wird immerhin zu den teuersten Gebäuden der Welt gezählt.
So teuer würde der neue Anbau ans Rathaus nun wirklich nicht. Gäbe es für die Stadt aber nicht sowieso günstigere Lösungen? Es gäbe sie vielleicht – allerdings andere, als sich die Neustart-Initiative für die Fußgängerzone wünscht.
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Um die 160 Millionen Euro könnte der Neubau des zentralen Verwaltungsgebäudes inklusive Tiefgarage kosten, und dies ohne die ja noch hinzukommenden Langfrist-Ausgaben für die Instandhaltung des Baus und die Zinsen für die Kredite, die die Stadt dafür aufnehmen müsste. Damit rechnen jedenfalls die von der Stadt mit einer neuen Kostenschätzung beauftragten Kommunalberater. Die Kosten für etwaige Risiken bei Bau und Planung des Neubaus haben diese dabei allerdings sowieso schon auf null gesetzt. Allein durch die Preissteigerungen fallen nach ihren Berechnungen im Vergleich zu den für 2023 veranschlagten 115 Millionen Euro aber mehr als 40 Millionen Euro an Mehrkosten an, bis der neue Bau überhaupt fertig wäre.
Für 570 Beschäftigte wäre nur im zentralen Neubau Platz
Die Berater des Stadtrates und der Stadtverwaltung blicken in ihrem Kostenvergleich 40 Jahre voraus. Inklusive der langfristigen Zinszahlungen für das kreditfinanzierte Objekt stehen bei einem Zinssatz von 4,25 Prozent in den Rechenmodellen der Berater für den Rathausanbau am Ende mehr als 325 Millionen Euro unter dem Strich. Gut 88 Millionen Euro fallen in den vier Jahrzehnten nach Fertigstellung außerdem noch für eine werterhaltende Instandhaltung des Neubaus neben dem historischen Rathaus an.
Als Alternativen für den Rathausneubau nehmen die Kommunalberater die von der Neustart-Initiative bevorzugte Nutzung der großen Gebäudekomplexe wie das leerstehende Hansacenter und den früheren Karstadt-Bau als zukünftige Verwaltungssitze in der Fußgängerzone gar nicht erst in den Blick, sondern haben neben angemieteten Büros auch andere Verwaltungsgebäude, die der Stadt gehören, im Auge. Die Berater taxieren den Wert der Gebäude und Grundstücke auf etwa 3,2 Millionen Euro. Allerdings könnte die Stadt darin nicht gut 570 Beschäftigte wie in dem geplanten Neubau, sondern nur etwas mehr als 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterbringen. Für die anderen gut 370 Beschäftigten müsste sie externe Büros mieten.
Veraltete Verwaltungsbauten lassen sich weniger als zehn Jahre nutzen
Zu den Bestandsgebäuden gehören zum Beispiel die frühere Agatha-Schule mit der Bußgeldstelle und dem Katasteramt am Eickholtshof und der Altbau an der Prosperstraße 71, in dem das Jugendamt untergebracht ist, außerdem das unter Denkmalschutz stehende Quartier für den Personalrat und das Wohnungsamt an der Moltkestraße 14 - 16 im Schatten des historischen Rathauses sowie die Unterkunft für das Ordnungsamt an der Böckenhoffstraße 40 und auch das Gebäude mit dem Straßenverkehrsamt an der Händelstraße 9. Das Stadtarchiv zählen sie ebenfalls noch mit.
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Drei dieser Gebäude sind so veraltet, dass sie sich nach Erkenntnissen der Berater nur noch weniger als zehn Jahre lang nutzen lassen. Die längste Nutzungsdauer von mehr als 30 Jahren schreiben sie dem Straßenverkehrsamt zu. Die Agatha-Schule ließe sich noch gut 15 Jahre brauchen. Das denkmalgeschützte Personalratsgebäude aber müsste in spätestens drei Jahren und das Jugendamt hinter dem Spielraum in fünf Jahren saniert oder zumindest letzteres eventuell durch einen Neubau ersetzt werden. Neubauten als Ersatz ziehen die Berater vor, weil die Stadt so höhere Werte schafft.
Zentraler Neubau auf den ersten Blick viermal so teuer wie kleinere Lösung
Während die Experten für den Rathausanbau von einer Bauzeit von etwas mehr als vier Jahren ausgehen, ließen sich Sanierungen der anderen Verwaltungsbauten jeweils in ein bis zwei Jahren erledigen und könnten auch in unterschiedlichen Etappen umgesetzt werden. Die Kosten für solche Sanierungen liegen nach ihren Berechnungen insgesamt bei etwa einem Viertel der Ausgaben für den Rathausneubau: Statt 157 Millionen Euro kostete die Stadt der von den Beratern aufgezeigte alternative Weg über Sanierungen und kleinere Neubauten um die 40 Millionen Euro. Inklusive der langfristigen Zinskosten für die über 30 Jahre lang laufenden Baukredite kommen sie unter dem Strich auf eine Summe von nicht ganz 80 Millionen Euro.
Die Berater gehen dabei davon aus, dass die Stadt die alte Agatha-Schule am Eickholtshof und die Unterkunft des Rechtsamtes an der Böckenhoffstraße neu bauen wird, weil deren Bausubstanz für Sanierungen inzwischen zu schlecht sei. Die werterhaltende Instandhaltung der kleineren Gebäude kostet die Stadt statt der 88 Millionen Euro in den kommenden 40 Jahren dann aber 97 Millionen Euro. Pro Jahr fallen dafür anstelle 900.000 Euro pro Jahr alternativ rund 990.000 Euro an. Hinzu kommen um gut 76 Millionen Euro höhere Mietausgaben für externe Büros und Dienststellen.
Je höher Preise und Zinsen steigen, um so weniger rechnet es sich
Dennoch stellen die Berater am Ende für den geplanten Neubau Aufwendungen von fast 311 Millionen Euro den Aufwendungen für kleinere Ersatzneubauten und Sanierungen vorhandener Gebäude in Höhe von insgesamt etwas mehr als 263 Millionen Euro gegenüber. Das auf den ersten Blick klar schlechtere Ergebnis für den zentralen Neubau täuscht allerdings, weil die Stadt ihre Aufwendungen ja steuerlich abschreiben kann und durch den großen Neubau auch höhere Werte in ihren Büchern stehen. Außerdem sehen die Berater bei Sanierungen fast doppelt so hohe Risiken für unvorhersehbare Kosten als bei einem Neubau. Nach 40 Jahren sei der Ressourcenverbrauch für beide Varianten annähernd gleich wirtschaftlich, heißt es daher.
Doch die Berater geben einen wichtigen Hinweis: Je stärker die Gesamtausgaben durch Preissteigerungen und andere Gründe steigen, um so weniger rechnet sich am Ende für die Stadt der geplante große Neubau neben dem Rathaus. Bei einem Kostenpuffer um sieben Prozent etwa wird der Weg über die kleinere Neubauten und Sanierungen der günstigere, bei einem Kostenplus um 13 Prozent zahlt die Stadt alles in allem für den zentralen Neubau schon mehr als 20 Millionen Euro drauf. Steckt die Stadt außerdem gezielt Geld in weitere kleinere Verwaltungsneubauten, verbessert sich die alternative Bilanz weiter.