Bottrop. Bei seiner Flucht vor sieben Jahren sprach Gwan Suliman (20) kein Deutsch. Jetzt hat der gebürtige Syrer in Bottrop sein Abi mit 1,0 bestanden.
Gwan Suliman will Medizin studieren. Also bewirbt er sich als nächstes um einen Studienplatz. Gerade erst hat der junge Bottroper sein Abitur gemacht – und was für eines! Mit der Traumnote 1,0 verließ der 20-Jährige die Janusz-Korczak-Gesamtschule. Als er ankam, sprach Gwan Suliman noch kein einziges Wort Deutsch. Im Frühjahr 2016 war seine Mutter mit ihm und seinem jüngeren Bruder vor Krieg und Verfolgung aus Syrien geflüchtet. „Ich hatte hier klasse Lehrer. Das hat mir sehr geholfen“, sagt Gwan Suliman dankbar.
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Sich zu engagieren, sich gerade auch in der Schule anzustrengen, bringt der gebürtige Syrer schon von Zuhause aus mit. Seine Eltern waren in Syrien Lehrer. Die Mutter unterrichtete an einer Grundschule. Gut drei Monate hatte die Flucht der Mutter mit ihren beiden Söhnen gedauert. Zu Fuß, durch Wälder, mit dem Auto oder dem Zug machten sie sich auf der sogenannten Balkanroute von Syrien über die Türkei, die Slowakei und Österreich auf den Weg nach Deutschland. Sein Vater, der nach einer schweren Erkrankung erst später nach Bottrop nachkam, war Sportlehrer.
An der Janusz-Korczak-Gesamtschule lernen junge Leute aus 49 Nationen
Anerkannt werden ihre Qualifikationen in Deutschland nicht, weiß der Sohn. Beide lebten ihren Kindern aber vor, wie wichtig es sei, etwas zu lernen. „Für viele geflüchtete Familien hat Bildung einen hohen Wert“, stellt Gesamtschulleiter René Heuwieser fest. Er weiß gut, wovon er spricht. An der Janusz-Korczak-Gesamtschule lernen Kinder und Jugendliche aus 49 Nationen. Der Einser-Abiturient ging seine schulische Ausbildung in Bottrop von Beginn an ehrgeizig an und besuchte als erste eine internationale Förderklasse in der Zweigstelle der Gesamtschule an der Beckstraße.
„Er hat ganz bei null angefangen“, sagt Schulleiter Heuwieser. Der Gesamtschüler hospitierte erst in den Fächern Deutsch, Englisch und Mathematik und stieg dann in der achten Klasse richtig in den Unterricht ein. So sehr brachte sich der Schüler ein, dass er auch versuchte, seinen Mitschülerinnen und Mitschülern die Augen zu öffnen: Wisst ihr eigentlich, was ihr hier habt und welche Chancen sich euch bieten, fragte der junge Syrer andere in der Klasse einmal aufgebracht, als sie mal nicht so mitmachten.
Schulsprecher, Sprecher im Jugendparlament, Vorsitzender der Jusos
Seinem Direktor bereitete das einiges Kopfzerbrechen, als er davon erfuhr. Heuwieser sorgte sich zunächst, dass der neue Schüler als sogenannter Streber abgestempelt werden könnte, der es in der Schule schwer haben würde. Doch es kam anders. Die Schülerinnen und Schüler wählten Gwan Suliman später sogar zu ihrem Schulsprecher. „Ich bin ganz einfach gefragt worden, ob ich das machen will“, sagt der Abiturient. Gwan Suliman wollte und engagierte sich über das Schulleben hinaus. Auch im ersten Bottroper Jugendparlament war der Gesamtschüler bis zur Neuwahl einer der beiden Sprecher.
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„Ich habe mir gesagt: Du bist jetzt hier. Deine Zukunft ist hier. Du musst jetzt Gas geben“, umschreibt Gwan Suliman seine Haltung. Dazu gehört für ihn auch, sich politisch zu engagieren. Er habe sich intensiv mit Politik befasst und sei zu der Erkenntnis gelangt: „Die einzige Partei, die für mich in Frage kommt, ist die SPD.“ Inzwischen macht der angehende Medizinstudent daher bei den Jungsozialisten in Bottrop nicht nur mit, sondern ist bis 2024 zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Gwan Suliman hofft daher auch, dass er einen Medizinstudienplatz an einer der Universitäten in der Nähe findet, um sich weiterhin in Bottrop politisch engagieren zu können.
Praktika in der Praxis für Oralchirurgie und in der Klinik für Neurologie
Der Berufswunsch stand für den jungen Kurden früh fest. „Als er zu uns kam, sagte er gleich: Ich werde Arzt“, erinnert sich Schulleiter Rene Heuwieser. Sein Schulpraktikum in der zehnten Klasse absolvierte Gwan Suliman dann im Bottroper Quantumhaus in der Praxis für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie im Team um Dr. Patrick Karschuck und Dr. Christoph Willamowski. Das Pflegepraktikum fürs Medizinstudium macht der 20-Jährige zurzeit in der Mannschaft um Prof. Dr. Carsten Eggers in der Klinik für Neurologie am Knappschaftskrankenhaus. „Sehr spannend und sehr anstrengend“, fasst der junge Kurde seine bisherigen Erfahrungen zusammen.
Für die 1,0-Gesamtnote im Abiturzeugnis brauchte Gwan Suliman insgesamt 823 Punkte, erreicht hat er 830 Punkte. Geschichte und Deutsch waren seine beiden Leistungskurse. Sozialwissenschaften und Mathematik die anderen Abiturfächer. Italienisch als Fremdsprache habe ihm nicht nur Spaß gemacht, sondern bei einem Trip nach Italien auch schon geholfen. Ein Stipendium der Start-Stiftung, die talentierte Schüler und Schülerinnen mit Einwanderungsgeschichte finanziell, aber auch mit Hilfe von Coaches fördert, ermöglichte es dem jungen Kurden, sich aufs Lernen zu konzentrieren.
Stiftungen helfen mit Stipendien beim Lernen und Studieren
Zur Bedingung macht die Stiftung gute Leistungen in der Schule und gesellschaftliches Engagement. Seine geflüchtete Familie könne zumindest finanziell nicht helfen. „Geld ist ja keines da“, sagt Gwan Suliman offen. Gesamtschulleiter Rene Heuwieser aber hat da einen weiteren Rat: Helfen könnten vielleicht ja die SPD-nahe Hans-Böckler-Stiftung mit einem Stipendium für Studierende oder Begabtenförderwerke. Zur Aufnahme in die Studienstiftung des deutschen Volkes wird Heuwieser seinen begabten und auch engagierten Einser-Abiturienten ja wahrscheinlich vorschlagen.
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Dass Kinder aus Flüchtlingsfamilien an Bottroper Schulen sehr gute Abiturnoten erreichen, ist kein Einzelfall. Vor zwei Jahren schaffte etwa Qussay Kisanieh an der Janusz-Korczak-Gesamtschule die Gesamtnote 1,1 im Abitur. Auch er war aus Syrien geflüchtet. Sein Berufswunsch: Arzt. Am Vestischen Gymnasium in Kirchhellen erreichte Shelan Rassoul (19) ebenfalls die Bestnote 1,0 im Abitur. Auch sie flüchtete mit ihrer Familie vor dem Syrienkrieg und möchte Medizinerin werden.