Bottrop. Susanna Horstmann (59) lebt und liebt ihren Job. Nach Jahren des Erfolgs folgen viele Krisen. Erlebt Bottrops letzte Videothek ein Happy End?
„Stirb langsam“, heißt ein Actionfilm mit Hollywood-Star Bruce Willis. Der Filmtitel ist irgendwie sinnbildlich für den Tod von Videotheken. Immer mehr verschwinden in Deutschland von der Bildfläche. Bottrop bildet eine Ausnahme. An der Essener Straße kämpft das Odeon-Video-Center um seine Existenz.
Susanna Horstmann ist die Inhaberin. Es ist das Jahr 1992, als sie in dem Job anfängt. Helmut Kohl ist Bundeskanzler, die Währung heißt Deutsche Mark und Bottrop hat die Postleitzahl 4250. Am 13. November 1992 wird von ihr und ihrem Mann die Familienvideothek „Odeon-Video-Center“, damals an der Peterstraße/ Schützenstraße, eröffnet. Inzwischen gehört die erste Etage dem Sanitätshaus Steinberg. Es sind Zeiten ohne Internet. Heute kaum zu glauben, aber wer die neuesten Filme sehen will, muss entweder ins Kino oder in eine Videothek.
Zahlreiche Videotheken prägten einst das Stadtbild. Zum Beispiel das große „Video & Sound“ an der Essener Straße. Oder „Megamax“ am Südring; wo einst die Hollywood-Blockbuster ausgeliehen wurden, sind mittlerweile Hundefutter und Co. bei Fressnapf vorrätig. Weitere Anlaufstellen für Filmliebhaber waren an der Horster Straße, Gladbecker Straße, Aegidistraße oder am Brinkmannsfeld. 2008 zieht Susanna Horstmann von der Peterstraße an die Essener Straße.
Videotheken waren Sehnsuchtsorte für Cineasten. In der Woche sind die Öffnungszeiten bis Mitternacht, freitags und samstags sogar bis 1 Uhr. An den Wochenenden habe es „gebrummt“, so Horstmann. Kunden stehen Schlange, um sich mit Komödien, Thrillern und Horrorfilmen einzudecken. VHS-Kassetten sind in den 80er- und 90er-Jahren das Nonplusultra. Die Regale mit Neuerscheinungen sind von oben bis unten voll. „Früher waren wir interessant für die Filmwirtschaft“, sagt Horstmann.
Von einem großen Hollywood-Film erhält sie bis zu 40 Kopien. Material für die Werbung wird gleich mitgeschickt. „Wir haben zu jedem Film vier bis fünf Poster, Plakate und Aufsteller bekommen. Heute bekommen wir nichts mehr.“ Im besten Fall wird ein Link angeboten, mit dem sie sich von einer Internetseite ein Plakat herunterladen und großflächig in einem Kopierladen ausdrucken kann. Horstmann entscheidet sich konsequent dagegen, weil sie die Arbeit und die Kosten hätte.
Eigenproduktionen von Streamingdiensten (Netflix, Apple, Amazon) werden ihr nicht zum Verleih angeboten. Früher erhielten Videotheken als Erste die Filme nach der Kinoveröffentlichung. Auch das hat sich geändert. Inzwischen laufen sie auf verschiedenen Bezahlsendern, erst Wochen später sind die Filme für sie erhältlich. Illegale Downloads sind ohnehin seit Jahren ein Problem. Videotheken sterben auf Raten. „Am 1. April löst sich unser Interessenverband auf“, sagt Susanne Horstmann. Zu wenig Mitglieder.
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Corona hat vielen Betreibern endgültig den Rest gegeben. 2021 hatte zuletzt eine Kollegin von Susanna Horstmann in Marl das Handtuch geworfen. Neben Bottrop ist nur noch „Atlantis-Megamax“ in Bochum im Ruhrgebiet geblieben. Horstmann erlebt hautnah den ganzen Pandemie-Vorschriften-Wahnsinn. Im Lockdown März 2020 wird ihr vonseiten des Ordnungsamtes freitags kurzerhand die Videothek geschlossen. Die Kunden, die ihre Ausleihen zurückgeben möchten, muss sie vertrösten. Am darauffolgenden Dienstag darf sie laut Ordnungsamt wieder öffnen. Das Wechselbad der Gefühle geht weiter.
DVDs, Blu-Rays oder Spiele dürfen ausgeliehen und verkauft werden - bis zum zweiten Lockdown im November. Die Videothek bleibt die ganze Zeit über geöffnet. In der Folge darf sie verleihen, aber plötzlich nicht mehr verkaufen. Wenn sie vermietet, ist sie Dienstleisterin, wenn sie verkauft, ist sie Einzelhändlerin. Dienstleistung ist laut Corona-Bestimmungen erlaubt, Einzelhandel nicht. „Das kann man doch nicht verstehen“, sagt sie. Die Verkaufsregale musste sie abdecken.
„Aus Angst vor Computerviren“: Männer leihen sich Pornos in der Videothek aus.
Eine Gruppe von Kunden halten ihr weiterhin die Stange. „Unser Erotikabteilung hält uns am Leben“, sagt sie. In Zeiten von diversen kostenlosen Portalen mit Hardcore-Filmen im Internet kommen sie dennoch zur Essener Straße. „Viele haben Angst davor, sich Filme auf diesen Plattformen anzuschauen“, sagt Susanna Horstmann. Zu groß ist die Angst vor einem schädlichen Computervirus. „Ich habe schon Kunden gehabt, die haben sich den Arbeitsrechner kaputtgemacht.“ Es sei vor allem die Generation „50 plus“, die zu diesem Kundenstamm gehören. Neugierige Blicke müssen sie nicht befürchten. Die Inhaberin legt größten Wert auf Diskretion. „Ich gehe damit um, wie mit einem Spielfilm. Ich habe keine Vorurteile. Und ich bin froh, dass ich diese Kunden habe.“
Der Fortbestand von Bottrops letzter Videothek ist eng mit ihrer eigenen Zukunft verknüpft. Viele Stammkunden sind längst zu einer zweiten Familie geworden. „Ich werde dieses Jahr 60“, sagt Susanna Horstmann. „Ich habe seit 2007 keinen Urlaub mehr gehabt. Ich will nicht ewig arbeiten.“
Sie möchte schauen, wie sich das erste Jahr nach der Pandemie entwickelt. „Im vergangenen Jahr habe ich am 13. November mein 30-jähriges Jubiläum gefeiert“, sagt sie. Zu dem Anlass hat sie an der Theke extra ein Plakat von 1992 aufgehängt. „Ich will damit zeigen, dass wir auch heute noch nicht teuer sind.“ Top-Filme kosteten damals zwischen zwei und vier Mark. Im Paketangebot kosten im Jahr 2023 drei Filme für drei Kalendertage acht Euro, ein Film pro Tag nur 1,50 Euro.
Aber die Sehgewohnheiten haben sich allerspätestens seit Corona verändert. Das weiß auch Susanna Horstmann. Und dennoch muss sie manchmal schmunzeln, wenn Kunden zu ihr kommen und sich Filme ausleihen, weil das Internet mal wieder eine Störung hat und sie deshalb keine Filme schauen können. Aber sobald die Störung behoben ist, sind sie nicht mehr in der Videothek zu sehen.
Das Odeon-Video-Center (Essener Straße 27-29) hat von Montag bis Samstag von 10 bis 19 Uhr geöffnet. Sonn- und Feiertags geschlossen. Mehr Informationen: https://odeon-bottrop.videotheken-online.com