Bottrop. 2014 kommt Eleonora Szalontai mit ihrem Mann nach Bottrop. Heute blickt die Ungarin erschüttert auf ihre ukrainische Heimat.

Mit Grenzen kennt Eleonora Szalontai sich aus. Sie stammt aus einer Familie mit ungarischen Wurzeln, wächst in der Ukraine auf, lebt später viele Jahre in Ungarn und seit 2014 in Bottrop. „Spätestens seit meine beiden Kinder 2017 und 2020 im Marienhospital zur Welt kamen, ist Bottrop meine Heimatstadt“, sagt die 32-Jährige und blickt von ihrer Wohnung auf die wenigen schönen alten Häuser, die noch an der Essener Straße stehen, aber auch das Wegekreuz, das Mitglieder der Herz-Jesu-Gemeinde regelmäßig schmücken und vor dem meistens ein Licht brennt.

Das steht vielleicht für den sprichwörtlichen Funken Hoffnung – auch für Bekannte und Freunde, die immer noch im 700-Seelen-Dorf in der Ukraine leben, „nur zwei Kilometer von der heutigen Grenze zu Ungarn entfernt“. Ein Ort, in dem immer noch viele Ungarn leben, in der Nachbarschaft mit Polen, Ukrainern und Menschen mit russischen Wurzeln. Der Begriff „Heimat“ scheint nicht so flexibel, wie die Grenzen dieser Region. Über die Jahrhunderte ging es hin und her zwischen der alten Habsburger Monarchie, der damals neuen Tschechoslowakei, später der Sowjetunion, Polen, auf der anderen Seite Rumänien und natürlich Ungarn.

Schock: Die alte Heimat wird 2022 erstmals von russischen Raketen getroffen

Nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine trafen im Mai 2022 erstmals auch russische Raketen diese südwestliche Region der Ukraine. „Und wir wissen von Freunden, wie es ist, wenn stundenlang der Strom ausfällt, die Wasserversorgung und zu waschen nicht mehr möglich ist“, sagt Eleonora Szalontai.

Sie kann sich nicht erklären, wie es soweit kommen konnte und hofft: „Dieser Alptraum soll endlich zu Ende sein, niemand soll mehr in der Ukraine sterben, auch wenn unsere nächsten Verwandten längst nicht mehr dort leben.“ Dort, heißt in den Karpaten – oder dahinter.

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„Ja, wir nennen die Gegend bis heute Transkarpatien, meine Familie hat immer noch ein Haus und etwas Land dort, obwohl meine Eltern nach Ungarn übergesiedelt sind“, sagt die junge Frau. Dass es für Minderheiten wie Ungarn oder Polen in der Ukraine vor dem Krieg nicht immer leicht war, erwähnt sie auch. „Aber eigentlich versuche ich, mich aus der Politik herauszuhalten.“

In ihrer penibel aufgeräumten Bottroper Wohnung erinnert erst einmal nichts an die wilde Schönheit Transkarpatiens. In einer Ecke im Wohnzimmer hat sie für sich ein Mini-Atelier eingerichtet. „An der Kunst will ich immer festhalten – und sie hält auch mich“, sagt Eleonora. An einer Wand hängen Hochzeitsfotos, zum Teil mit Bildern im Hintergrund, die die Absolventin einer ungarischen Kunsthochschule selbst gemalt hat. Kurz nach der Hochzeit bekommt ihr Mann eine Stelle bei einer Bottroper Spedition. 2014 ziehen beide nach Deutschland, während Russland sich die Krim einverleibt. Ein großer Schritt, nur sie beide, weit weg von der Familie.

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Das Ankommen ist schwieriger als gedacht. „Ich habe versucht, mir die deutsche Sprache beizubringen, indem ich gelesen, geschrieben und die Wörter gelernt habe“, erinnert sich die Neu-Bottroperin. Da sie neben dem Studium einmal eine Ausbildung zur Nagel-Designerin gemacht hat, wie es neudeutsch heißt, findet sie einen Job in einem Bottroper Nagelstudio. Eine erste große Enttäuschung.

Ihr Chef habe ihre damaligen Sprachschwierigkeiten ausgenutzt und sie regelrecht „abgezockt“. Auch bei der Wohnungssuche gebe es Vorbehalte, etwa wenn man die Sprache nicht perfekt spricht. „Auch wenn der Mann eine feste Arbeit vorweisen kann und man gepflegt und europäisch aussieht.“

Viele Deutsche wirken zunächst reserviert, manchmal auch distanziert

Inzwischen ist die erste zugige und im Sommer brütend heiße Dachwohnung passé. Im neuen Domizil haben die beiden Kinder ein schönes Kinderzimmer – sogar von Mama Eleonora künstlerisch gestaltet mit einem riesigen Baum an der Wand. Ihre Tochter besucht die Cyriakus-Kita. „Obwohl wir evangelisch sind, sogar reformiert, wie viele in Ungarn, nicht lutherisch.“ Die ersten Freunde in Bottrop sind Ungarn. Auch zu einigen Polen gibt es nette Kontakte. „Beide Nationalitäten können eigentlich gut miteinander, die Konfession spielt da gar keine Rolle“, lacht Eleonora Szalontai.

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Und der Kontakt zu deutschstämmigen Bottroperinnen und Bottropern? „Je mehr du die Sprache beherrschst, desto besser klappt das“, meint die Wahl-Bottroperin. Aber dass viele Deutsche etwas distanziert, reserviert seien, kann sie nicht abstreiten. Da hat sie erst in Bottrops Künstlerkreisen andere Erfahrungen gemacht. „Durch die Teilnahme und die gute Platzierung beim Art.Award haben sich tolle Kontakte ergeben, die Ausstellungserfahrung danach in der Pop-up-Galerie war auch total positiv.“

Und jetzt noch die Kunstgemeinschaft: „Meine erste Vereinsmitgliedschaft in Bottrop!“ Für Eleonora ein Gefühl des Aufgehobenseins und der Wertschätzung auf Augenhöhe. Eine gute Voraussetzung dafür, dass Bottrop für sie und ihre Familie immer mehr zur Heimatstadt wird. Einen Lieblingsort für Spaziergänge hat die Familie schon länger: Den Tetraeder samt Halde.