Bottrop/Essen. Peter Stadtmann soll jahrelang Krebsmedikamente gestreckt haben. Er muss lange ins Gefängnis. Außerdem darf er nie wieder als Apotheker arbeiten.
Sie zeigten Flagge. Ein Großteil der 52 Nebenkläger im Prozess gegen den Bottroper Apotheker Peter Stadtmann trug am Freitag zum Urteil eine cremefarbene Rose am Oberteil, war schwarz gekleidet. Es war ein Gedenken an die Patienten, die von ihm ihre Chemotherapien bezogen und den Kampf gegen die tückische Krankheit verloren hatten. „Wer schweigt,macht sich mitschuldig“, stand auf einigen der T-Shirts in Saal 101 des Essener Landgerichtes.
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Diese Demonstration der Opfer wird nicht der Anlass gewesen sein, dass Richter Johannes Hidding den Schluss seiner einstündigen Urteilsbegründung zu einem eindringlichen Appell an Peter Stadtmann nutzte. Es war eine vor allem menschliche Ansprache an den gerade verurteilten Bottroper. Hidding erinnerte daran, dass Stadtmann bislang zu den Vorwürfen geschwiegen hatte. „Das ist Ihr gutes Recht“, sprach er ihn direkt an, „aber Ihre Patienten warten auf Antwort. Sie wollen wissen, was geschehen ist. Sie wollen die Wahrheit hören.“
Zusätzlich zur Haft verhängt das Gericht ein Berufsverbot
Stadtmann, gegen den die Kammer neben den zwölf Jahren Haft ein lebenslanges Berufsverbot verhängt hatte, sei ja immer noch Apotheker, erinnerte Hidding. Habgier hatte das Gericht dem Angeklagten als Motiv für die Unterdosierung von Krebsmedikamenten bescheinigt. Er habe die teuren Wirkstoffe zwar den Krankenkassen berechnet, den Patienten aber vorenthalten, „um sein Luxusleben zu finanzieren“, etwa die teure Villa in Kirchhellen mit Wasserrutsche in den Pool. Vor diesem Hintergrund forderte Hidding ihn auf, in Zukunft nicht mehr zu schweigen: „Es wäre einfacher, wenn Sie die Interessen Ihrer Patienten über ihre eigenen stellen würden.“
Zuvor hatte der Vorsitzende der XXI. Essener Wirtschaftsstrafkammer mehrfach das Wort an die in der Mehrzahl weiblichen Nebenkläger gerichtet. 22 von ihnen nahmen an der Urteilsverkündung teil, zwei kamen im Rollstuhl. Erst in der vergangenen Woche war eine der Nebenklägerinnen an Krebs gestorben.
66 von 117 getesteten Medikamenten waren nicht in Ordnung
Das Gericht, so Hidding, sah natürlich die persönliche Betroffenheit. Aber es sah eben auch das Problem, dass rechtlich nicht festzustellen sei, wem die Wirkstoffe vorenthalten wurden und welche Folgen dies habe. Denn es seien im November 2016 bei der Hausdurchsuchung in der Alten Apotheke zwar 117 fertig hergestellte Medikamente sichergestellt worden, von denen seien aber nicht alle unterdosiert gewesen. Insgesamt waren „66 nicht in Ordnung“. Diesen Anteil habe man aber nicht komplett hochrechnen können, sondern mit Sicherheitsabschlägen und „im Zweifel für den Angeklagten“ 14.500 fehlerhafte Arzneien innerhalb von fünf Jahren festgestellt.
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Stadtmann habe nicht alle Arzneien selbst hergestellt, seine Mitarbeiter in der Apotheke durften dies auch alleine erledigen. Weil sie aus Angst vor eigener Strafverfolgung im Prozess geschwiegen hatten, könne die Kammer kein individuelles Fehlverhalten feststellen. Klar sei aber, dass Stadtmann für die Unterdosierungen verantwortlich sei. Hidding: „Er hat davon profitiert, es lag in seinem kriminellen Interesse. Denn was die Mitarbeiter machten, konnten sie nicht ohne sein Wissen und seine Billigung. Er hatte die volle Kontrolle.“
Neben den 14.500 Verstößen gegen das Arzneimittelrecht durch Unterdosierung sah die Kammer den Apotheker noch des Betruges gegenüber den Krankenkassen in 59 Fällen für schuldig. Weil das Gericht von einer kleineren Zahl unterdosierter Medikamente ausging als die Staatsanwaltschaft, kam sie auch auf eine geringere Schadenssumme in Höhe von 17 Millionen Euro.
Gericht geht von Habgier als Motiv aus
Auch über das Motiv hatte sich die Kammer Gedanken gemacht. „Es ist ganz schlicht Habgier“, gab Hidding die Überzeugung der fünf Richter wieder. Er erinnerte an die Rolle Stadtmanns als Mäzen und Gönner in Bottrop und sah deshalb auch dessen „Wunsch nach Anerkennung“ als Triebfeder. Weiter forschen nach den Beweggründen wollte die Kammer nicht. Die Nebenklageanwälte hatten in ihren Plädoyers immer wieder auf die angeblich dominante Rolle der Mutter hingewiesen.
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Harsche Kritik übte das Gericht an der Apothekenaufsicht, die kläglich versagt und die vorgeschriebenen Kontrollen nicht durchgeführt habe. Mehrere Behörden seien dafür verantwortlich gewesen: „Die Verantwortung war so aufgeteilt, dass niemand sie trägt.“ Hidding sprach von einem „Behördenversagen“. Erst im November 2016 seien die „Machenschaften“ des Apotheker durch den Einsatz „mutiger Menschen“ beendet worden. Das Gericht nannte dabei auch den leitenden Mitarbeiter der Apotheker, Martin Porwoll, der Anzeige gegen Stadtmann erstattet hatte.
Strafschärfend wertete die Kammer, dass Stadtmann die Taten „über Jahre systematisch geplant“ habe. Außerdem habe er Mitarbeiter eingebunden und ihnen dafür Geld gegeben. Der 48-Jährige, der am Tag der Urteilsbegründung den 48. Geburtstag „feierte“, habe die Alte Apotheke über Jahre in eine „kriminelle Einrichtung“ verwandelt. Hidding: „Die Taten sind so verwerflich, dass nur eine Strafe im oberen Bereich in Betracht kommt.“
Die Grenzen der Wahrheitssuche Die Grenzen der WahrheitssucheDie meisten Nebenklägerinnen zeigten sich nach der Verkündung zufrieden mit der Entscheidung. „Und wir sind froh, dass der Prozess nach 44 Tagen endlich zu Ende ist“, sagte eine von ihnen erleichtert.