Bottrop. Mehrere Menschen sollen den verurteilten Skandal-Apotheker Peter S. in Bottrop gesehen haben. Ist er wieder auf freiem Fuß? Die Hintergründe.
Es ist ein unscheinbares Mehrfamilienhaus aus den 1970er-Jahren am Rand der Bottroper Innenstadt. Mehr als ein Dutzend Parteien leben hier, auf einem Klingelschild oben rechts steht der Nachname des Apothekers, den das Landgericht Essen 2018 wegen Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz in mindestens 14.537 Fällen und Betrugs in 59 Fällen zu zwölf Jahren Haft verurteilt hat. Ist Peter S. nun, nach weniger als der Hälfte der Haftzeit, zeitweise wieder in Bottrop? In der Stadt, in der viele seiner Opfer leben, die sich mit Schrecken an ihn erinnern? Mehrere Menschen behaupten, ihn in den vergangenen Wochen gesehen zu haben.
Die Wohnung in dem Mehrfamilienhaus soll dem Vernehmen nach den Eltern von Peter S. gehören, eine Penthouse-Wohnung, in die Jahre gekommen, aber großzügig. Den Eltern gehört ebenfalls das Gebäude, in dem sich die Alte Apotheke befand, in der ihr Sohn Krebsmedikamente gestreckt, sich um Millionen Euro bereichert und die Gesundheit Hunderter Kunden aufs Spiel gesetzt hat.
Vor seiner Inhaftierung lebte Peter S. in einer Luxus-Villa in Kirchhellen. Für über elf Millionen Euro hatte er sie sich bauen lassen, mit 700 Quadratmetern Fläche und einer Rutsche aus dem ersten Stock ins Schwimmbad im Erdgeschoss. Im Zuge des Insolvenzverfahrens ist sie verkauft und bereits an den Käufer übergeben worden, wie Thomas Feldmann, Sprecher des Insolvenzverwalters auf Nachfrage sagt. Einen Verkaufspreis nennt er nicht, angeboten worden war sie für 5,7 Millionen Euro.
Bottroper Apotheker-Skandal: „Keiner weiß, warum es ihn hierher zieht“
Im Kreis der Opfer, die sich gut untereinander vernetzt haben, gibt es seit einigen Tagen nur ein Thema: Eines der Opfer sagt, es habe Peter S. in Bottrop gesehen, sogar die Alte Apotheke, heute City-Apotheke an der Hochstraße, soll er besucht haben. In zahlreichen Gesprächen sagen auch andere Bottroper, dass Peter S. durch die Innenstadt läuft. Offiziell mit seinem Namen sprechen will niemand, auch die Opfer wollen das nicht mehr, aber sie äußern ihre Fassungslosigkeit: „Keiner weiß, warum es ihn hierher zieht.“
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Nach einer Durchsuchung der Alten Apotheke im November 2016 war Haftbefehl gegen Peter S. erlassen worden. Der Whistleblower Martin Porwoll, der Peter S. seit der Kindheit kennt und als kaufmännischer Leiter in der Apotheke arbeitete, hatte die Ermittlungen ins Rollen gebracht. Die eineinhalb Jahre bis zum Prozess verbrachte Peter S. in Untersuchungshaft. Sie werden auf seine Gesamthaftzeit von zwölf Jahren angerechnet. Noch bis Ende 2028 müsste er laut Urteil in Gefangenschaft bleiben. Außer, er wird vorzeitig entlassen. Schon jetzt aber kann es sein, dass er das Gefängnis verlassen darf – vorübergehend.
Peter S. soll in der JVA Bielefeld-Senne im offenen Vollzug sein
Der heute 52-Jährige war zunächst in der Justizvollzugsanstalt Wuppertal inhaftiert, soll anschließend in die JVA Bielefeld-Senne überführt worden sein. Bielefeld-Senne ist die größte Haftanstalt Europas für den offenen Vollzug.
Weder die Landesjustizvollzugdirektion noch die JVA Bielefeld-Senne bestätigen, dass Peter S. in der ostwestfälischen Großstadt inhaftiert ist – aufgrund des Persönlichkeitsschutzes und des Rechtes auf Rehabilitierung gebe man keine personenbezogenen Auskünfte. Jens Seidler, stellvertretender Leiter der JVA, äußert sich trotzdem zu den Grundsätzen des offenen Vollzugs.
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„Um die Regeln festzulegen, erstellen wir nach einer Behandlungsuntersuchung einen Vollzugsplan, normalerweise jeweils für ein Jahr“, erläutert Jens Seidler. Darin werden die Lockerungsstufen festgehalten. Inhaftierte dürfen zunächst für fünf Stunden das Gefängnis verlassen, begleitet von Verwandten oder Freunden, die bei der JVA gemeldet sind.
Danach kann der unbeaufsichtigte Ausgang auf zwölf Stunden, später 20 Stunden pro Woche ausgeweitet werden, bis schließlich sogar das Schlafen außerhalb der JVA möglich ist, an bis zu 24 Tagen im Jahr, wie Jens Seidler sagt. „Es gibt auch Gefangene, die sieben Tage am Stück rausdürfen.“ Ein prominentes Beispiel ist Uli Hoeneß, der nach seiner Verurteilung und Inhaftierung wegen Steuerhinterziehung in den offenen Vollzug wechselte und nach einem Jahr im Gefängnis viele Wochenenden bei seiner Familie verbringen durfte.
„Der Gefangene von heute ist der Nachbar von morgen“
Grundlage für den Grad der Lockerung sind Faktoren wie Zuverlässigkeit, Absprachefähigkeit, Mitarbeit. Der offene Vollzug, so Seidler, soll so weit wie möglich angeglichen sein an den Lebensalltag. „Unser Auftrag ist es, auf das Leben in Freiheit vorzubereiten. Der Gefangene von heute ist der Nachbar von morgen.“ Ein Gedanke, der die Opfer von Peter S. aufschreckt.
Welche Haftbedingungen derzeit für den ehemaligen Apotheker gelten – dazu äußert sich niemand offiziell. Er soll bereits seit einem Jahr Freigang haben, einer Beschäftigung nachgehen und nur zum Schlafen in die JVA zurückkehren. Das sagen mehrere, die von den Medikamentenpfuschereien persönlich betroffen sind und den Weg von Peter S. verfolgt haben. Ein engagierter Privatdetektiv soll ihn beim Arbeiten in Bielefeld gesehen haben. Nun könnten die Lockerungen so weit fortgeschritten sein, dass er auch zu Hause übernachten darf, in Bottrop, der Stadt, in der fast jeder eines seiner Opfer kennt.
Bottroper Apotheker Peter S. könnte deutlich früher entlassen werden
Es könnte zudem sein, dass Peter S. deutlich früher aus der Haft entlassen wird als sein Strafmaß es vorsieht. Nach zwei Dritteln der Haftzeit, im Fall des Bottroper Apothekers also nach acht Jahren, ist eine vorzeitige Freiheit und das Aussetzen der Strafe zur Bewährung möglich, wenn dies laut Paragraf 57 des Strafgesetzbuches „unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann“.
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Bei der Entscheidung seien unter anderem „die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände ihrer Tat, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug sowie ihre Lebensverhältnisse“ zu berücksichtigen – und ebenso „die Wirkungen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind“.
Auch nach der Hälfte der Haftzeit wäre eine Freilassung möglich, allerdings an deutlich strengeren Kriterien bemessen – „sehr selten“ passiere das, sagt Jens Seidler. Die Entscheidung liegt dann bei der zuständigen Staatsanwaltschaft, die JVA spricht eine Empfehlung aus. Bislang, so sagt es die Essener Oberstaatsanwältin Anette Milk, gebe es noch keinen Antrag von Peter S. auf Haftentlassung. Sein Verteidiger äußert sich auf Anfrage nicht in der Sache.
„Wir haben Angst davor, was passiert, wenn wir ihn auf der Straße sehen“
Gut denkbar ist also, dass Peter S. spätestens in zwei Jahren eine vorzeitige Entlassung beantragt – und aufgrund von guter Führung auch bewilligt bekommt. Ebenso möglich ist es, dass er sich bis dahin regelmäßig in Bottrop aufhält.
Die Verkäuferin in einem Geschäft um die Ecke des Wohnhauses mit Peter S. Namen am Klingelschild hat den Apotheker noch nicht gesehen. Natürlich würde sie ihn erkennen, sagt sie, „und da wäre die ganze Straße in Aufruhr“. Bei den Opfern des Medikamenten-Pfuschers ist diese Unruhe längst angekommen: „Wir haben Angst davor, was passiert, wenn wir ihn auf der Straße sehen.“
Lebenslanges Berufsverbot
Gegen Peter S. ist ein lebenslanges Berufsverbot verhängt worden, gegen das er erfolglos geklagt hatte. Er darf nicht mehr als Apotheker arbeiten.
Peter S. war auch gegen das Urteil des Landgerichtes Essen vorgegangen. Seine Revision hatte der Bundesgerichtshof in Karlsruhe aber verworfen und das Urteil von Juli 2018 – zwölf Jahre Haft wegen Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz und Betrugs – zwei Jahre später bestätigt.