Bottrop. Was früher ging, in Job, Familie und Freizeit, funktioniert nicht mehr. Die Therapie im Reha-Zentrum am Knappschaftskrankenhaus Bottrop hilft.

Gerade noch steht sie mitten im Leben, wuppt Familie und Beruf, ist sportlich und voller Energie. Dann erwischt sie mit Mitte 30 das Coronavirus, „vor zwei Jahren, in der ersten Welle“. Und seither ist für Deborah (Name von der Redaktion geändert) absolut nichts mehr, wie es war. Post Covid hält die Bottroperin im Würgegriff. Aber sie kämpft.

Deborahs alte Leistungsstärke ist nach der Infektion dahin, Erschöpfungszustände und Konzentrationsschwäche bestimmen ihr Leben. Sie muss den fordernden Job als Projektmitarbeiterin in der Buchhaltung aufgeben, läuft von Arzt zu Arzt, fühlt sich oft unverstanden und von der Krankenkasse unter Druck gesetzt. Jetzt, nach vier Wochen in der neurologischen Reha-Klinik Bottrop, sieht Deborah endlich eine Perspektive für sich: „Ich weiß nun, womit ich mich abfinden muss. Aber auch, was ich trainieren kann.“

Post Covid-Fall: „Etwas stimmte nicht. Aber ich konnte dem Kind keinen Namen geben“

Denn klar ist heute, nach entsprechenden neuropsychologischen Testungen, endlich: „Mein Kurzzeitgedächtnis ist in Mitleidenschaft gezogen.“ Vorher wusste sie zwar, dass etwas nicht stimmt, „aber ich konnte dem Kind keinen Namen geben“. Eine Unsicherheit, die sie belastet hat.

In der Reha am Knappschaftskrankenhaus trainiert Deborah also nun vor allem für das Kurzzeitgedächtnis und die Konzentrationsfähigkeit. Sie hat erfahren, dass sich mit Übung kompensieren lässt, was das Kurzzeitgedächtnis nicht mehr leisten kann. Das macht der zweifachen Mutter Mut.

++++ Neuigkeiten aus Bottrop direkt ins Postfach: Hier kostenlos für den WAZ-Bottrop-Newsletter anmelden! +++

Auf ihrem an individuelle Erfordernisse angepassten Therapieplan stehen werktags unter anderem Physiotherapie, Ergotherapie, Neuropsychologie, Entspannung; nachmittags und am Wochenende setzt sie Trainiertes möglichst im Familienalltag um. Damit die 37-Jährige am Ende Termine nicht mehr vergisst, „Alexa“ sie nicht länger an Wichtiges erinnern muss, sie anderen nicht weiterhin alles mehrfach erzählt.

Post Covid-Reha: Patientin erhöht Fitnesslevel Schritt für Schritt

Auch ihren Fitnesslevel konnte Deborah in der Reha schon erhöhen. Das hatte sie zwar zuvor auch schon versucht, war es aber zu schnell angegangen, wie sie jetzt weiß. „Es ist wichtig, dass ich meine Leistungsgrenze nicht übersteige.“ Sonst machen die Beine schlapp und ihr Körper reagiert mit Fieber.

Auch interessant

Zwei Jahre mit solchen Beschwerden, das ist eine lange Zeit. Dabei verlief ihre Infektion damals, nach der Rückkehr aus dem Skiurlaub, „nicht schlimmer als eine Erkältung“. Als sie dann aber wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkam, traten die Folge-Symptome deutlich zu Tage. Früher hatte sie sich Konten, Aufgaben, Projektdetails locker merken können – vorbei. Trotz aller Anstrengung. „Ich habe gemerkt, was vorher meine Stärke war, das funktioniert nicht mehr“, erzählt Deborah. Von der ständigen Erschöpfung ganz zu schweigen, mit Luftproblemen noch obendrauf.

Stefanie Josten, Leitende Oberärztin Klinik für Neurologie und Reha-Zentrum Prosper am Knappschaftskrankenhaus Bottrop.
Stefanie Josten, Leitende Oberärztin Klinik für Neurologie und Reha-Zentrum Prosper am Knappschaftskrankenhaus Bottrop. © KKH

Die Mutter von zwei kleinen Kindern wollte nicht einfach abwarten, ob sich ihr Zustand bessert, sondern die Sache angehen. Doch immer wieder wurde sie ausgebremst. So sei zum Beispiel ihr hart erkämpfter PCR-Test, der die Infektion ja erst offiziell belegt, im Chaos der ersten Corona-Wochen verschwunden. „2020 waren die Labore noch überlastet“, daran erinnert Stefanie Josten, Leitende Oberärztin am Reha-Zentrum Prosper.

Die Folge: Ohne dieses Dokument wurde die Bottroperin nicht an der Post-Covid-Ambulanz an der Essener Uni-Klinik angenommen; der PCR-Nachweis der Covid-Infektion sei dort nämlich Zugangsvoraussetzung. „Ohne Test ist man kein offizieller Fall, bekommt auch eigentlich keine Reha“, so Deborah. Ein Dilemma, das sich letztlich für sie auch mit Hilfe des sozialmedizinischen Dienstes habe lösen lassen.

Bottroper Neurologin: Es handelt sich um stille Symptome

Zudem gehört die Bottroperin zu den ersten Fällen, bei denen ja vieles noch sehr unklar war. Spät erst sei überhaupt auf die neurologischen Aspekte geschaut worden. „Erst wurde mir immer gesagt, es ist meine Psyche“, erzählt Deborah. Was sie übrigens heute noch spürbar anpackt: „Das hat mich damals am meisten fertig gemacht.“ Denn: „Ich fühle mich lebensfroh – nicht depressiv.“

Medizinerin Stefanie Josten ergänzt: „Das Problem ist, dass es sich um stille Symptome handelt. Da ist die Gefahr hoch, entweder als depressiv, psychisch erkrankt oder als Simulant eingestuft zu werden.“

Die Neurologin findet grundsätzlich: „Der Name der Krankheit ist nicht entscheidend. Wichtig ist, dass die Patienten wieder zurückfinden in den Alltag.“ Der erste Schritt dahin ist eine vernünftige Ausschlussdiagnostik. Ist zum Beispiel wirklich kein Hirntumor für die Symptome verantwortlich? Keine Multiple Sklerose? „Es gibt keine glasklare Definition von Long Covid oder Post Covid.“ Doch wenn vor der Infektion mit dem Corona-Virus noch alles gut gewesen sei und andere Erkrankungen ausgeschlossen wurden, liege der Zusammenhang nahe.

Bottroper Reha-Klinik wartet auf weitere Post Covid-Patienten

Zurzeit ist Deborah die einzige Post Covid-Patientin in der Reha-Klinik Prosper. Oberärztin Stefanie Josten: „Wir wundern uns so ein bisschen, wo die Patienten mit Post Covid bleiben.“ Man gehe davon aus, dass zwei bis fünf Prozent der Covid-Erkrankten unter Langzeitfolgen leiden. „Das müssen sehr viele Menschen sein“, meint Stefanie Josten. Bei gut 41.000 offiziell gemeldeten Coronafällen in Bottrop würden alleine zwei Prozent schon 820 Betroffene ausmachen. Und darunter dann auch welche mit neurologischen Defiziten, wie sie im Reha-Zentrum Prosper am KKH behandelt werden.

Auch interessant

Dort werden immer Funktions- und Fähigkeitsstörung zusammen betrachtet. Josten erklärt das am Beispiel von Deborah. „Die Funktionsstörung ist die mangelnde Merkfähigkeit. Daraus resultiert als Fähigkeitsstörung die fehlende Berufsfähigkeit.“ Im besten Fall könne eine Heilung erzielt werden. Und im zweitbesten Fall die Adaption. Was bedeutet: „Man lernt, damit umzugehen und geht in die Krankheitsverarbeitung“, erklärt die Oberärztin.

Das Gehirn ist flexibel – es können sich neue Netzwerke bilden

Eine Prognose in Deborahs Fall möchte sie nicht stellen, aber: „Erfahrungsgemäß ist das Gehirn flexibel. Es können sich neue Netzwerke bilden.“

Nach dem Besuch der Reha ist Deborahs Weg noch nicht zu Ende. „Hier kann immer nur der Start sein“, betont Josten. Deborah ist motiviert: „Ich weiß, ich habe ein Anrecht auf Ergotherapie und werde weitermachen.“ Sie hat in der Reha auch computergestützte Trainingsprogramme kennengelernt, die sie daheim nutzen möchte. Und eine Rückkehr ins Arbeitsleben ist tatsächlich wieder vorstellbar.

Junge Patienten leiden stärker

An der Uniklinik in Essen ist eine Post Covid Ambulanz angesiedelt. Von Post Covid spricht man bei einer Dauer der Beschwerden von mehr als zwölf Wochen.

Die Essener Mediziner haben seit dem Start im Mai 2020 über 1000 Patienten untersucht, zwei Drittel waren Frauen. „Der Großteil war zwischen 30 und 50, aber ich sehe auch jüngere Patienten“, sagte Dr. Margarethe Konik, Oberärztin in der Post Covid Ambulanz, zuletzt im Rahmen der Gesundheitswochen in Essen. Die Jungen litten oft noch stärker darunter, wenn sie ihre Kräfte verlieren.

Zu den beobachteten Symptomen zählen Luftnot, Erschöpfung, Kopfschmerzen, Konzentrationsprobleme, „Brain Fog“ (Nebel im Gehirn).

Kontakt zur Post Covid Ambulanz: nachsorge-covid@uk-essen.de. Kontakt zum Reha-Zentrum Prosper: 02041 15-1740 (Sekretariat)