Bottrop. Vor 32 Jahren stampft Ingo Brzoska eine Musikschule aus dem Nichts aus dem Boden. Nun geht er – nicht ganz schweren Herzens – in den Ruhestand.
Eigentlich hat Ingo Brzoska gar nicht mehr gedacht, bei der Stadt ein Bein auf den Boden zu bekommen. Denn lange bevor er sich sich 1989 für die Leitung der neu zu gründenden städtischen Musikschule interessiert, hat er seine Stelle beim Personalamt gekündigt – und damit auch ein sicheres Beamten-Dasein aufgegeben. Denn nach seiner abgeschlossenen Fachhochschulausbildung zum Diplom-Verwaltungswirt und dieser Stelle, entscheidet er sich für ein weiteres Studium, das der Musik an der Wuppertaler Hochschule.
Der klassische Gitarrist spielt Konzerte, unterrichtet, leitet später sogar für eine Zeit eine Musikschule. „Eine kleine, im bergischen Hückeswagen“, so der gebürtige Bottroper, der immer eher ein Mann der leisen Töne ist. Aber immerhin: Selbst Hückswagen hat ein solches Institut, als man sich in Bottrop bewusst wird, die einzige kreisfreie (Groß-)stadt Deutschlands zu sein, die noch keine städtische Musikschule hat. „Eine Rückständigkeit, die sicher auch so empfunden wird, vor allem vom damaligen Kulturdezernenten Klemens Kreul und Kulturamtsleiter Bergermann, die sich für die Musikschule stark machen“, erinnert sich Ingo Brzoska. Auch die Rückendeckung durch die Fraktionen im Rat steht. So beschließt Bottrop im Jahr, als europaweit der Eiserne Vorhang bröckelt und kurz darauf fällt, eine Musikschule zu gründen.
Anfang quasi aus dem Nicht: „Wir hatten damals noch einmal Anmeldeformulare“
„Wir hatten nichts, noch nicht einmal Anmeldeformulare“, erinnert sich Brzoska, der zum 1. Januar 1990 tatsächlich als Musikschulleiter eingestellt wird. Seine Kündigung Jahre zuvor hat ihm offensichtlich nicht geschadet, auch seine Verwaltungskenntnisse kann er nun wieder einsetzen. Räume gibt es an der Hochstraße, wo auch Bibliothek und Kulturamt zu der Zeit untergebracht sind. Denn: „Der Umbau des alten Jungengymnasiums zum Kulturzentrum verzögert sich.“
Dozenten, Instrumente oder Notenmaterial gibt es noch nicht. Aber die Bottroper scheinen auf diese Einrichtung gewartet zu haben. „Mit 200 Anmeldungen wäre man in der Verwaltung zufrieden gewesen“, so Brzoska. „Als wir nach den Sommerferien 1990 an den Start gingen, hatten wir von jetzt auf gleich aber 680 Schülerinnen und Schüler.“
Der neue Leiter verwaltet, organisiert, unterrichtet. Musikalische Früherziehung (MFE) ist zu der Zeit noch neu – und absolut gefragt. „In den Hochzeiten hatten wir zum Teil 24 MFE-Gruppen, da geht es für Kindergartenkinder um Singen, Tanzen, Instrumentenkunde, erstes Instrumentenspiel, kurz: ums Heranführen an musikalische Ausdrucksformen“, sagt der Lehrer. Schnell wird die Musikschule zu einem Zentrum, zum Treffpunkt für die Musikerinnen und Musiker der Stadt. Sie unterrichten dort und/oder gründen Ensembles, die bis heute bestehen.
Die Chöre von Gerd Müller, die sogenannten „Müller-Chöre“, singen nun unter den Fittichen der Musikschule. Neues, wie „All Woman“ unter Ruth Miketta, wird mit zunächst drei Sängerinnen aus der Taufe gehoben. Bigband, Jazz, Holz- und Blechbläser-Ensembles, Streicher, Klavier, Musical, klassischer Gesang: Das zuvor nur an der VHS bestehende (Gitarren-)angebot wächst um ein Vielfaches. Und 2014 tritt Brzoska mit „seinem“ Kirchhellener Zupforchester sogar auf der Weltausstellung in Mailand auf. Für ihn eines der Highlights der regelmäßigen Abstecher.
Bottroper Musikschule: Große Aufführungen hauseigener Produktionen
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Zu den hiesigen Höhepunkten gehören früh die großen Aufführungen hauseigener Produktionen alle zwei Jahre im Lichthof der Berufsschule. Wenige Jahre nach der Gründung stemmt die Musikschule sogar die Oper „Maria de Buenos Aires“ des Tango-Komponisten Astor Piazolla. „In Bottrop war die deutsche Erstaufführung, auch wenn diese Blumen immer der Einspielung auf Initiative von Gidon Kremer zugedacht werden“, sagt Ingo Brzoska.
Zwei Musikerinnen, die heute überregional touren, sind damals dabei: Franziska Dannheim, bald wieder mit ihrer „Oper legere“ in Bottrop zu Gast, singt die Titelpartie. Carmela de Feo, heute als La Signora deutschlandweit unterwegs, übernimmt den Akkordeon-Part. Für manche, wie Musical-Sänger Thomas Hohler oder Orchestermusikerinnen und -musiker, öffnet die Musikschule auch den Weg zu einer späteren beruflichen Karriere.
Nach zehn Jahren Unterricht und Verwaltung kommt Entlastung für den Chef: „Seitdem haben Jürgen Slak und ich uns die Leitungsstelle geteilt, eine ideale Konstruktion, denn zwei Köpfe haben mehr Potenzial als einer und überhaupt sehen wir uns mit allen der heute rund 50 Dozentinnen und Dozenten als Team mit flacher Hierarchie, modernes Management eben. Auch künftig ist das meines Erachtens eine sinnvolle Konstruktion“, findet Ingo Brzoska.
Bottroper Sinfonieorchester gründet sich vor sieben Jahren
Jüngster Ensemble-Zuwachs ist das vor rund sieben Jahren gegründete Sinfonieorchester Bottrop, ein Zusammenschluss von etwa 70 Profis, die sich der Pflege des symphonischen Repertoires widmen. Höhepunkte bisher waren die Begleitung von Haydns „Die Schöpfung“ zum 100-jährigen Bestehen des Musikvereins und die Eröffnung von „Orgel Plus“ 2019 mit der großen Sinfonie für Orgel und Orchester von Camille Saint-Saens unter Brzoskas Leitung.
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Und dann natürlich „Katzengold“ – die Bottrop-Revue zum Stadtjubiläum im Lichthof. Ohne Ingo Brzoska? Weder damals noch heute – Ruhestand hin- oder her. Viele Arrangements stammen aus seiner Feder, die musikalische Leitung liegt – bald wieder – bei ihm. Und Gitarre spielt er dann auch wieder. Nur nicht wie geplant ab Montag als Open-Air. Das wurde aus Kosten- und Organisationsgründen leider abgesagt. Aber der Lichthof kommt wieder ins Spiel. Genaues weiß man noch nicht. „Aber wenn, dann bin ich auf jeden Fall musikalisch im Boot, nur die Organisation tue ich mir nicht mehr an.“
Schließlich ist der 65-Jährige im Ruhestand, de facto zumindest, wegen über 500 Überstunden. Offiziell verlässt Ingo Brzoska die Musikschule im Februar. Aber ganz sicher wird er die neue Lebensphase nicht nur in Haus und Garten verbringen. „Musik und vor allem die Gitarre bleiben meine Leidenschaft.“