Bottrop. Diese Bottroper Geschichten gingen unter die Haut: Vom Long-Covid-Patienten über den Tod Ludger Stratmanns bis zum alten Hunde-Herrn im Tierheim.
Einige Geschichten haben uns in diesem Jahr besonders bewegt. Ein Überblick.
Das Protokoll eines Long-Covid-Patienten
Im zweiten Jahr in Folge hat die Corona-Pandemie das Leben der Menschen beruflich wie privat auf vielerlei Weise bestimmt. Was es heißt, unter Long Covid zu leiden, das weiß Tim (Name geändert). Er berichtete unter anderem von ständiger Erschöpfung, Konzentrationsschwäche, extremer Vergesslichkeit, Lähmungserscheinungen, seitdem er akut an Corona erkrankt war. Schwere Vorerkrankungen mögen das ihre dazu beigetragen haben; quälend sind die Symptome für Tim in jedem Fall: „Ich will, dass ich wieder funktioniere. Und nicht ständig höre: Darüber haben wir doch schon gesprochen. Oder: Dir ist schon wieder etwas runtergefallen.“
Familienvater erleidet schweren Arbeitsunfall
Bei einem Arbeitsunfall in Bottrop ist Lukáš Lajzas im Frühsommer sechs Meter in die Tiefe gestürzt und schwer verletzt worden. Der 33-jährige Familienvater, der aus Tschechien stammt und in Bottrop als Leiharbeiter tätig war, wurde zunächst im Gelsenkirchener Bergmannsheil behandelt, lag dort im künstlichen Koma. Sein Freund und Kollege Matej Mrazik startete damals einen bewegenden Spendenaufruf, zuallererst, damit der 33-Jährige zu seiner Familie mit zwei kleinen Kindern nach Tschechien gebracht werden konnte. Gespendet werden konnte über die Internet-Plattform Gofundme - und dort ist mit Datum von September die traurige Nachricht zu lesen, dass Lukáš Lajzas an den Folgen seines Unfalls letztlich verstorben ist.
Bottrop sein Doktor ist gestorben
Es war im August eine traurige Nachricht für die Stadt und das ganze Ruhrgebiet: Dr. Ludger Stratmann ist tot. Der Bottroper Arzt, der als Kabarettist eine deutschlandweite Fan-Gemeinde hat, verstarb plötzlich und unerwartet im Alter von 73 Jahren in seinem Haus. Freunde, Kollegen, Weggefährten sagten mit warmen Worten Adieu, und gerade auch in Bottrop löste der Tod des Doktors viel Bestürzung aus. Beigesetzt wurde der Ruhrgebietskabarettist unter großer Anteilnahme auf dem Parkfriedhof in Bottrop.
Missbrauchsopfer erheben ihrer Stimme
Zur Aufarbeitung des Missbrauchs in der katholischen Kirche soll im Ruhrbistum die Gründung eines Betroffenenbeirats beitragen. Rund 40 Männer und Frauen kamen im Sommer zu einem ersten Treffen in Mülheim zusammen - darunter auch Dirk Bongartz und Stephan Bertram. Beide litten als Kinder in Bottrop unter dem selben Kaplan, der heute längst als vielfacher Täter bekannt ist. Beide schwiegen lange über das, was ihnen durch den als charismatisch geltenden Kirchenmann widerfuhr - heute aber brechen sie das Schweigen. Was für die beiden Männer, inzwischen über 50, auch nach so vielen Jahren immer noch alles andere als leicht ist. „Ich habe ein so schweres Trauma, dass ich nachts wach werde, nassgeschwitzt. Dass ich diesen Menschen immer noch rieche und schmecke“, sagt Stephan Bertram. Und: „Ich nehme das mit bis ins Grab.“
Langes Warten in der Kindernotfallambulanz
„Das grenzt doch an Fahrlässigkeit beziehungsweise unterlassene Hilfeleistung.“ Die Mutter eines Eineinhalbjährigen, der gestürzt war, wartete im Herbst rund vier Stunden mit ihrem an der Zunge verletzten Sohn in der Notfallambulanz der Kinderklinik am Marienhospital - viele Eltern fühlten und ärgerten sich mit ihr. Ja, wichtige Notfälle gehen vor, betonte die Bottroperin, die während des Wartens in der Ambulanz auch einen Rettungswagen hat vorfahren sehen. Aber fast vier Stunden mit einem kleinen, wenn auch anfangs quietschfidelen Kind warten zu müssen? Immerhin sei ihre Kleidung voller Blut gewesen, doch wohl ein Zeichen dafür, dass sie nicht wegen einer Lappalie gekommen seien. Wobei sie die akute Blutung hatte selbst stillen können, aber abklären lassen wollte, ob die Wunde genäht werden muss.
Der Kinderklinik-Chefarzt hatte im Nachgang dieses Falls die Abläufe in der Kindernotfallambulanz erläutert. Grundsätzlich gilt dort das Prinzip, dass den Kindern zuerst geholfen werden soll, die das am dringendsten benötigen. Dazu werden sie bei der Ankunft medizinisch eingeschätzt. Das MHB hat sich zur Aufgabe gemacht, keinen Patienten abzuweisen, egal wie groß der Andrang ist. Im Herbst sorgte eine Infektionswelle dafür, dass die Kinderkliniken landauf, landab voll waren.
Das Haus, in das der Halloween-Horror einzog
Vielleicht bewegt es nicht das Herz, bringt dafür aber die Nerven zum Flattern: das Halloween-Horror-Haus, das Kerstin Beck zusammen mit ihrem Mann eingerichtet hat. Über Jahre hat sie Exponate für ihr Gruselkabinett gesammelt, manch Stück auch selbst hergestellt. Dazu kommen Sound- und Lichteffekte, ein Heulen und Flackern, das niemanden kalt lassen kann. Den gruseligen Irrgarten, eingerichtet in einem leerstehenden Friseursalon, öffnet sie auch für Besucher. Das stößt in den sozialen Netzwerken auf große Resonanz.
Szenemitglieder betonen: Niemand muss Angst vor uns haben
„Niemand muss Angst vor uns haben“, sagt Tim (46). Seit mehr als 30 Jahren ist er in der Drogenszene unterwegs. Er gehört zu denjenigen, die sich tagsüber am Berliner Platz und ZOB treffen, dort ihren Tag verbringen. Andere Freunde habe er nicht mehr, und auch wenn die Gruppe manchmal lauter sei und Mitglieder alkoholisiert, passe man aufeinander auf. „Wir sorgen dafür, dass keine Passanten belästigt werden, und wenn jemand zu betrunken ist, dann schicken wir den durchaus nach Hause.“ Tim nutzt auch das „Szenefrühstück“, ein 14-tätiges Angebot, bei dem Suchtkranke und Ehrenamtliche aus der Gemeinde St. Cyriakus zusammen kommen. Es gibt inzwischen viele Stammgäste aus der Szene, die für ein paar Stunden Ablenkung dankbar sind - und dafür, sich einmal nicht ausgegrenzt zu fühlen. Die ehrenamtliche Helferin Tina sagt: „Das sind ganz normale Menschen, die allerdings ein Suchtproblem haben.“ Und: Eine Platte, die gebe es in jeder Stadt.
Tiergeschichten, die zu Herzen gehen
Im Schnitt leben 200 Tiere im Bottroper Tierheim – und eines besonders lang: Mischlingshündin Sina stellte in diesem Jahr mit elf Jahren bei den Tierfreunden einen traurigen Rekord auf. Pflegerin Miriam Kusche bezeichnete sie als „alte Dame, die sehr speziell ist“. Ein alter Hunde-Herr ist Chihuahuah-Mix Nico, der mit 14 Jahren noch im Tierheim gelandet war. Sein Frauchen musste ihn aus Krankheitsgründen abgeben. Mit seinen sanften Augen und kecken Ohren eroberte er viele Herzen im Sturm: Mehr als 30 Hundefans riefen für ihn im Bottroper Tierheim an -Weihnachten konnte der fast taube und blinde Rüde schon in seinem neuen Zuhause in Essen feiern. „Vielleicht hat Nico noch ein paar schöne Jahre bei uns“, hofft sein neues Frauchen Rita Ringleb (69).