Bottrop. In zehn Jahren hat sich die Zahl der Wohnungslosen auf fast 450 mehr als verdreifacht. Politik stärkt die Beratung und plant weitere Maßnahmen.

Immer mehr Menschen in Bottrop sind wohnungslos. Die Evangelische Sozialberatung (ESB) betreut Menschen in Bottrop, die keine Wohnung mehr haben, bietet ihnen unter anderem eine Meldeadresse. Das bedeutet: Wer keine eigene Wohnung mehr hat, kann sich unter der Adresse der ESB melden und sämtlich Post – etwa von Ämtern – wird dorthin gesandt. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Menschen, die diese Meldeadresse nutzen, stark angestiegen. Waren es in 2010 noch 132 Personen, die über die ESB gemeldet waren, so waren es im Jahr 2020 schon 445. Damit hat sich die Zahl mehr als verdreifacht.

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Und dabei handelt es sich nur um diejenigen, die bei der ESB gemeldet sind und beraten werden. Wer anderweitig Hilfe sucht, am Borsigweg untergebracht ist oder sich ohne öffentliche Unterstützung durchschlägt, der taucht in dieser Zählung gar nicht auf.

ESB-Mitarbeiter Felix Brill stellte diese Entwicklung im Sozialausschuss vor und machte deutlich, welchen Aufwand die Beratungsstelle betreiben muss. Denn alle, die die ESB als Meldeadresse nutzen, seien verpflichtet, mindestens zweimal in der Woche ihre Post abzuholen. Aus diesen Besuchen resultierten oft genug weitere Aufgaben und Beratungen, die die Mitarbeiter leisten müssen.

Es dauert länger als in der Vergangen, bis die Menschen eine neue Wohnung finden

Zusätzlich bietet die ESB auch die freiwillige Geldverwaltung für ihre Klienten an. Heißt: Gemeinsam mit den Klienten versuche man gemeinsam eine sinnvolle Geldeinteilung zu erreichen, so Brill. Dazu gehöre auch, dass im Zweifel Gläubiger oder Justizkasse bedient würden, wenn nötig. Für rund 100 Menschen verwaltet die ESB das Geld. Insgesamt, so Brill, hätten im vergangen Jahr 721 Menschen die unterschiedlichsten Hilfen und Angebot der ESB nachgefragt. Das heißt aber auch: Die kommen teils öfter, die Zahl der eigentlichen Beratungen liegt noch höher.

Den ESB-Verantwortlichen sind in den vergangenen Jahren noch weitere Dinge aufgefallen. Nicht nur die Zahl derjenigen, die keine eigene Wohnung haben, sei gestiegen. Auch die Verweildauer in den Meldelisten der ESB sei immer länger geworden. Bedeutet: Es dauere auch immer länger, bis Menschen, die eine Wohnung verloren haben, eine neue finden. Wohlgemerkt: Das heißt nicht, dass sie in der Zwischenzeit auf der Straße leben. Vielfach kommen sie bei wechselnden Freunden und Bekannten unter, schlagen sich so durch.

Schwierige Lage auf dem Bottroper Wohnungsmarkt

Die Zahl derjenigen, die in Bottrop tatsächlich auf der Straße leben, ist sehr gering. Brill: „Ad-hoc fallen mir da nur drei Menschen ein, die wir aber auch in unterschiedlicher Intensität betreuen.“ Es sei immer auch die Frage, wie viel Betreuung und Unterstützung der Einzelne wünsche. „Wir können niemanden zwingen“, stellt Brill klar.

Es sei aber schwieriger geworden, geeigneten Wohnraum für ESB-Klienten zu finden, sagt der Sozialarbeiter. Die Klienten seien teils vorbestraft oder hätten auch negative Schufa-Einträge, hätten ihre Wohnung verloren, weil Mieten nicht gezahlt wurden – entsprechend aufwendig sei es, nun wieder eine Bleibe zu finden, schildert Brill den Sozialausschussmitgliedern die Schwierigkeiten, mit denen er und seine Kollegen konfrontiert sind. Hinzu komme die generell schwierige Lage auf dem Wohnungsmarkt.

Bottroper Politik beschließt personelle Stärkung der ESB

Als Sofortmaßnahme beschließt der Ausschuss daher eine personelle Verstärkung der Beratungsstelle. Die ESB erhält eine halbe Stelle, befristet bis Ende 2022. Ein „Tropfen auf den heißen Stein“, wie die Grünen urteilen, doch Brill sieht darin erstmal eine „Riesenhilfe“. ÖDP-Ratsfrau Marianne Dominas mahnte angesichts der „erschreckenden Zahlen“ ernsthaft zu untersuchen, „was wir dauerhaft machen könne, damit die Zahlen nicht weiter steigen“.

Anlaufstelle für Alleinstehende

Die ESB sei primär Anlaufstelle für Alleinstehende Wohnungslose, erläutert Felix Brill. Im vergangenen Jahr standen 445 Menschen auf der Meldeliste der Institution. 354 davon waren Männer, demgegenüber standen 91 Frauen.

Daneben zählt die ESB auch die jungen Wohnungslosen unter 25 Jahren separat. Davon standen im Jahr 2020 111 auf der Meldeliste der ESB.

Tatsächlich laufen da beim Sozialamt schon die ersten Bestrebungen. Darüber berichtet Karen Alexius-Eifert den Ausschussmitgliedern. Derzeit werde ein integriertes Handlungskonzept „Hilfen in Wohnungsnotfällen“ erarbeitet. Ein Planungsbüro ist beauftragt, da gehe es auch um Anknüpfungen an bestehende Netzwerke in Bottrop. Die Beratungsstellen werden auch in die Konzepterarbeitung eingebunden. „Wir wollen letztlich präventiv denjenigen Hilfestellungen leisten, die von dem Problem bedroht sind“, nennt Karen Alexius-Eifert einen Schwerpunkt des Konzept.

Neues Konzept wird voraussichtlich Anfang 2022 fertig sein

Höchstwahrscheinlich Anfang nächsten Jahres werde man es dem Ausschuss vorlegen. Das erklärt auch die Befristung der neuen ESB-Stelle. Sollte sich aufgrund des Konzepts noch Veränderungsbedarf ergeben bei den Beratungsstellen, sollten sich vielleicht auch Schwerpunkte verschieben, sei man dann flexibler, erläuterte der Ausschussvorsitzende Matthias Buschfeld.