Bottrop. Mit der Aufenthaltsdauer wandeln sich die Fragen. Erfahrungsberichte aus dem Bottroper Quartierszentrum Startklar und dem Jugendmigrationsdienst.

„Mit jeder Frage, die ich habe, komme ich hierhin“, sagt Samer Smeer. Der 48-Jährige kommt aus Syrien, lebt seit vier Jahren in Bottrop – und weiß, dass er im 2016 eröffneten Quartierszentrum Startklar in Stadtmitte immer Hilfe findet. Drei Berater von den drei Sozialverbänden DRK, Awo und ASB unterstützen das Zusammenleben aller Bewohner im Quartier. Rund 80 Prozent der Ratsuchenden sind aktuell Geflüchtete wie Samer Smeer. Bis Ende 2019 wurden immerhin fast 16.780 Beratungsgespräche bei „Startklar“ durchgeführt. Dazu kommen (kreative) Kurse und tägliche Angebote zur Kinderbetreuung in der Gruppe „Spielen und Sprechen“.

Zwei Berater im Bottroper Quartierszentrum Stadtmitte haben selbst Fluchterfahrung

Das Beraterteam vom Bottroper Quartierszentrum Startklar (v. li.) Sarah Kühnert, Rola Aboalnaaj, Asaad Osso mit Kunde Samer Smeer.
Das Beraterteam vom Bottroper Quartierszentrum Startklar (v. li.) Sarah Kühnert, Rola Aboalnaaj, Asaad Osso mit Kunde Samer Smeer. © FUNKE Foto Services | Thomas Gödde

Zwei der Berater, Rola Aboalnaaj und Asaad Osso, haben selbst eine Fluchtgeschichte. In der Beratungsstelle wird deshalb neben Deutsch, Englisch und Spanisch auch Arabisch, Kurdisch und ein bisschen Persisch gesprochen. „Es schenkt den Kunden Vertrauen, wenn sie in ihrer Heimatsprache ein Problem schildern können“, sagt Quartierszentrumsleiterin Sarah Kühnert. Und: „Wir sind die Schnittstelle zwischen den Bewohnern und den Behörden. Man hat keine Angst, hierher zu kommen.“

Und Beratungsbedarf ist da, auch fünf Jahre nach dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise. „Die Themen haben sich gewandelt“, berichtet Kühnert. „Am Anfang war es für die Menschen wichtig, Fuß zu fassen und einen Aufenthaltstitel zu bekommen.“ Mit der ersten eigenen Wohnung kamen neue Probleme: Handy-Verträge und ihre Fallen, Auseinandersetzungen mit Stromanbietern, die Bedeutung von Kündigungsfristen: „Wir haben da schon mehrere Veranstaltungen zusammen mit der Verbraucherzentrale gemacht.“

Die Arbeitsaufnahme geht mit vielen Fragen einher

Auch die Arbeitsaufnahme ging mit vielen Fragen einher – zum Beispiel zu den Steuern. Samer Smeer hat hier etwa erfahren, dass er als Familienvater die Steuerklasse wechseln kann. Und dass er ruhig von einem Teilzeitjob in eine Vollzeitstelle wechseln kann, ohne dass die Steuern für ihn zu hoch werden. Und dann die Steuererklärung! „Es ist nicht einfach – aber du musst lernen und immer fragen“, ist Smeers Motto.

Zu den aktuellen Beratungsthemen zählen etwa Corona-Vorschriften, Soforthilfen für Unternehmer, Asylanträge für Neugeborene, Anmeldung in Kita und Schule.

Der Erwerb der deutschen Sprache bleibt ein wichtiges Thema

Die Startklar-Fußballmannschaft beim Jusos-Fußballturnier.
Die Startklar-Fußballmannschaft beim Jusos-Fußballturnier. © Startklar

Ein bleibend wichtiges Thema von Anfang an: der Spracherwerb. Kühnert: „Auf den Integrationskurs hat man am Anfang teils ein Jahr gewartet“. Deshalb bot und bietet Startklar niederschwellige Sprachkurse an, mit Kinderbetreuung, was besonders für junge Mütter bis heute wichtig ist – das seien die, die sonst auf der Strecke bleiben. „Dort lernt man auch etwas über die Bottroper Geschichte und die Regelstrukturen hier. Zum Beispiel, warum es wichtig ist, mit den Kinder zur U-Untersuchung zu gehen“.

Andererseits hätten viele am Anfang unterschätzt, dass man nicht so schnell Deutsch lernt, dass man auch sofort arbeiten gehen kann, berichtet Asaad Osso. Und sofort Geld zu verdienen war ein häufiger Wunsch: „Auch ein Grund dafür ist, dass ein Fluchtweg 5000 bis 15.000 Euro pro Person gekostet haben kann.“

Tanzkurs und Teilnahme am Fußballturnier fördern die Integration

Und was ist das Herzstück von Starklar? „Der niederschwellige Sprachkurs“, sagt Sarah Kühnert. „Der Tanzkurs für Frauen verschiedener Nationalitäten war auch schön“, ergänzt Rola Aboalnaaj; nach der Corona-Krise soll es damit weitergehen. Aktuell gibt es in Kooperation mit dem Quartierszentrum Prosper III stattdessen im Freien einen Fahrradkurs.

„Für mich ist das Herzstück das Fußballturnier“, unterstreicht Asaad Osso. Und meint die Fußballturniere der Jusos, an denen Osso im Sinne der Integration mit gemischten Teams seit 2016 teilnimmt. Samer Smeer, selbst bei der Freiwilligen Feuerwehr, rät: „Jeder sollte einen Freiwilligenjob machen – das ist gut für Kontakte!“

Caritas berät in Bottrop junge Zugewanderte im Jugendmigrationsdienst

„Es ist ein anderes Arbeiten als vor fünf Jahren“, sagt Fachbereichsleiterin Bettina Beusing, verantwortlich für den Fachdienst für Integration und Migration bei der Caritas. „Es ist nicht so wie damals, dass 20 Leute gleichzeitig an der Tür stehen“ – bei noch nicht aufgestocktem Personal. Dafür haben die Menschen, die zur Beratungsstelle an der Prosperstraße 35 kommen, heute komplexere Fragestellungen als vor fünf Jahren, zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise. „Die, die schon früh nach Deutschland gekommen sind, gehen jetzt in Richtung Einbürgerung.“ Viele Fragen drehen sich um die Verbesserung des Aufenthaltsstatus’, Beruf, Familiennachzug.

Bettina Beusing vom Fachdienst für Integration und Migration bei der Caritas heißt mit ihrem Team Flüchtlinge in der Beratungsstelle an der Prosperstraße willkommen.
Bettina Beusing vom Fachdienst für Integration und Migration bei der Caritas heißt mit ihrem Team Flüchtlinge in der Beratungsstelle an der Prosperstraße willkommen. © FUNKE Foto Services | Lutz von Staegmann

Speziell für zugewanderte – und nicht nur geflüchtete – Menschen im Alter von zwölf bis 27 Jahren gibt es bei der Caritas den Jugendmigrationsdienst (JMD). Essayas Lule hilft seit 2018 in Bottrop u.a. bei der Beantragung von Sozialleistungen, bei ihm geht es um Themen wie Spracherwerb, Schule, Qualifikation, Familie bis hin zur Integration in der Freizeit. „Hauptsächlich nutzen 16- bis 25-Jährige den JMD, in den meisten Fällen in den Lebensabschnitten, wo es um den Übergang von der schulischen in die berufliche Ausbildung und dann in Arbeit geht“, so Lule. Themen des Aufenthaltsrechts seien wichtig, „weil viele sich bei Volljährigkeit ihre rechtliche Situation angucken müssen“.

Zu den Ratsuchenden zählen unbegleitete minderjährige Ausländer (kurz: Uma), die ohne Eltern oder erwachsene Verwandte nach Deutschland geflüchtet sind. Beusing: „Sie bekommen einen Aufenthaltsstatus und dürfen bis zum 18. Lebensjahr auf jeden Fall im Land bleiben. Sie werden über die Jugendhilfe versorgt. Doch mit dem 18. Geburtstag endet das – dann müssen sie sich selber kümmern.“ Das sei für viele zunächst einmal schwierig.

Ein großer Wunsch: die Eltern nach Deutschland nachzuholen

Uma seien in der Regel junge Männer in einem Alter ab 15, 16 Jahren. Ihre Geschichten sind unterschiedlich. Es kann den Wunsch – und die Erwartungshaltung von zu Hause – geben, die Eltern nachzuholen. Beusing: „Das muss bis zum 18. Geburtstag geklärt sein, danach geht das nicht mehr. Sie müssen also einen Antrag stellen zum Familiennachzug. Und selbst wenn das klappt, gibt es oft Probleme.“ Die Kinder seien hier erwachsen geworden – während die Angehörigen im Krieg blieben.

Ein hoher Anteil gerade der jungen Flüchtlinge sei seiner Erfahrung nach sehr integrationswillig und unternehme dafür vieles, sagt Lule. Angefangen beim Schulabschluss bis zur Arbeitsaufnahme, wobei viele auch Geld in die Heimat schickten. „Am Anfang war es für uns frustrierend, weil die Vorrangprüfung oft dafür gesorgt hat, dass die Stellen für die Flüchtlinge dann weg waren – das hat oft viel zu lange gedauert.“ Nicht zuletzt hätten viele Geflüchtete den Wunsch, mit der einheimischen Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Auch hier macht die Caritas verschiedene Angebote.

>>WEITERE INFOS UND KONTAKT

Das Quartierzentrum Startklar erhielt zunächst eine Landesförderung. Seit Juli 2019 wird es durch städtische Mittel gefördert. Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrt in Bottrop betreuen die Einrichtung. Dort gibt es auch eine wöchentliche Pflegeberatung. Kontakt: 02041 37249-63/-64.

Im Fachdienst für Integration und Migration der Caritas sind mehrere Angebote gebündelt, etwa die Flüchtlingsberatung, die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer oder der Jugendmigrationsdienst. Alle Ansprechpartner sind zu finden auf www.caritas-bottrop.de

Insgesamt verstehen sich die Behörden, Beratungsstellen und Ehrenamtlichen in Bottrop als Netzwerk, in dem miteinander kooperiert wird. Unterstützungsangebote sammelt das Integrationsportal des Referats Migration auf www.bottrop.de/zuwanderung

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